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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

welche noch wenig bekannt sind. Abraham Lincoln ist so arm gestorben, wie er sein Amt angetreten hatte. Wir wissen, daß er einen ganzen Jahresgehalt von 25,000 Dollars dem Staatsschatze geschenkt hat, wenn nicht mehr. Er entnahm während seiner ganzen Amtsdauer überhaupt nie mehr daraus, als er dringend brauchte, um dem Schatzsecretair die Mittel zu wichtigeren Zahlungen nicht zu schmälern, und verwandte öfters seine geringen Ersparnisse zum Ankaufe von Unions-Schuldscheinen, um ein gutes Beispiel zu geben.

Sein Leben war oft, ja fortwährend bedroht gewesen, seit er Präsident geworden war. Die Verschwörung ist bekannt, welche ihm bei seiner ersten Durchreise durch Baltimore am 1. März 1861 das Leben rauben wollte. Er wußte, daß seitdem im Auf­trage der Jefferson Davis’schen Regierung nicht weniger als vier Mal Anschläge auf sein Leben der Reife nahe gewesen und nur durch ein Zusammentreffen von Umständen vereitelt worden waren. Trotzdem litt er nie, daß umfassende Vorkehrungen zur Sicher­stellung seiner Person getroffen wurden, die ihn vom täglichen Umgange mit allen Schichten des Volkes hätten abschneiden müssen. Wir wissen jetzt aus guter Quelle, daß er noch voriges Jahr auf einer Reise nach Westpoint die Straßen von New-York allein und zu Fuße durchwandelt hat, wo er doch doppelt soviel bittere Feinde als Anhänger zählte. Als er am 3. April d. J. fast ohne Be­gleitung in dem eben gefallenen Richmond einritt und ihn Jemand auf die Gefahr eines Meuchelmordes und die traurigen Folgen desselben für das Land aufmerksam machte, antwortete er nichts als: „In den Händen des Vicepräsidenten (seines Nachfolgers) sind die Geschäfte des Landes vollkommen sicher.“

Der merkwürdigste und am längsten verkannte Zug an ihm war der, daß er, obwohl rasch entschlossen„ wo es rasches Han­deln galt, doch alle wichtigeren Schritte lange und reiflich über­legte. Er pflegte allen denen, welche ihm zu Maßregeln riethen, die er hernachmals ausführte, so viele gegentheilige Gründe zu entwickeln, daß es den Anschein gewann, als sei er ein Gegner dieser Maßregeln. Es geschah dies aber nur, um Alles zur Sprache zu bringen, was sich für und wider die Sache geltend machen ließ. War dies längere Zeit hindurch und Vielen gegen­über geschehen, so faßte er (und in den wichtigsten Fällen) seinen Entschluß, ohne vorher sein Cabinet um Rath zu fragen, weil er die Verantwortlichkeit dafür Niemandem als sich selbst aufbür­den wollte, und so erschienen seine Entschlüsse gewöhnlich uner­wartet und plötzlich. Hierher gehören z. B. alle seine Botschaften in der Emancipationsfrage, welche sein eigenstes Werk sind. Ein­mal gefaßte Beschlüsse machte er nie rückgängig, so wohl hatte er sie vorher überlegt, trotzdem daß er sonst so gutherzig und schwach erschien.

Bei einem so wenig ehrgeizigen Manne mußte es auffallen, daß er selbst seine Wiederwahl im Jahre 1864 betrieb, oder wenigstens seine Beamten für sich in diesem Sinne wirken ließ. Wir waren einer von denen, welche ihm dies zum Vorwurf machten. Das Räthsel ist seitdem gelöst. Bei der genauen Kenntniß des amerikanischen Volkscharakters„ welche er besaß, wußte er, daß unter den unionstreuen Bewerbern um die Präsidentschaft im Jahre 1864 keiner mehr Aussichten hatte als er selbst und daß jede Zersplitterung der unionstreuen Stimmen vermieden werden mußte, sollte die Union gerettet werden, und nur durch Aufstellung des stärksten Candidaten vermieden werden konnte. Die „Unionsligue“, eine geheime Verbindung von mehr als einer Million Unionstreuer, hatte ihn schon im Anfange dieses Jahres zu ihrem Can­didaten ausersehen. Diese Candidatur ausschlagen hieß den Wahl­sieg der Unionstreuen gefährden und die Emancipation in Frage stellen, die Union selbst auf’s Spiel setzen. Der Ausgang hat seine Voraussicht gerechtfertigt. Außerdem hielt er einen Wechsel der Administration während der Dauer des Bürgerkrieges für ge­fährlich und verglich einen solchen mit dem Verfahren jenes Mannes, „der die Pferde wechseln wollte, während er einen mäch­tigen Strom zu überschreiten hatte“. – Das werthvollste Zeugniß, welches wir jetzt besitzen, mißt ihm durchaus keinen persönlichen Ehrgeiz während jener Wahlbewegung bei. Bezeichnend hierfür ist eines von jenen guten Witzworten, durch welche er sich so sehr populär gemacht hat. Bekanntlich war er unerschöpflich im Er­zählen von Anekdoten, welche er bei passenden Gelegenheiten an Stelle einer Antwort vortrug, und die er mit der stehenden Ein­führung begann: „Das erinnert mich an eine Geschichte, welche ich einmal gehört (oder erlebt) habe.“ Als man ihm nun im Sommer des vorigen Jahres viel von seinen günstigen Wahlaus­sichten sprach, meinte er gutmüthig: „Es scheint, die Strömung geht durchaus in derselben Richtung, wie in der Straße von Gibraltar, in welche der atlantische Ocean hineinströmt, obwohl man das Gegentheil erwarten sollte.“

„Wissen Sie nicht, Herr Präsident,“ fiel hier einer der An­wesenden ein, welcher ihm den Glauben beibringen wollte, daß eine große Anzahl Unionstreuer gegen seine Wiederwahl wirkten, „wissen Sie nicht, daß es damit ist, wie mit dem mittelländischen Meere, welches nach neueren Entdeckungen eine starke Unterströ­mung aus der Straße von Gibraltar hinaus besitzt?“

„Ist es so?“ erwiderte Lincoln sehr ruhig, „nun, das erinnert mich allerdings an keine Geschichte, die ich je gehört hätte.“

So war der schlichte Mann, der sich ohne alle glänzende Begabung rein durch eigene Anstrengung und gewissenhafte Pflichterfüllung zu einer der stolzesten Stellen in der Welt hinaufgear­beitet und der in derselben, groß wie keiner seiner Vorgänger in gewissenhafter Pflichterfüllung, das schwer gefährdete Leben der Nation vom Untergange gerettet hat. Ein „selbstgemachter Mann“, wie es die englische Sprache schön bezeichnet, war er der beste sinnbildliche Vertreter einer „selbstgemachten Nation“.

Sein Nachfolger, der bisherige Vicepräsident Andrew Johnson, ist es kaum minder. Geboren 1811 im Staate Nordcarolina in den ärmlichsten Umständen, war er zuerst Schnei­dergesell, lernte erst von seiner Frau, einem trefflichen Weibe, lesen und errang durch eiserne Ausdauer und Willensstärke nach und nach eine politische Stellung nach der andern, bis er Reprä­sentant in der Gesetzgebung von Tennessee (zweimal) wurde, wohin er ausgewandert war, und dann, trotz der bitteren Feindschaft der großen Sclavenhalter-Aristokratie, Gouverneur dieses Staates und Senator im Unionscongresse. Er war von jeher ein Vertreter der ärmeren Weißen des Südens gegenüber dem Sclaven-Junker­thume und hat den Haß desselben reichlich empfunden, die Ge­brechen der Verfassung der südlichen Staaten aus eigener trauriger Erfahrung kennen gelernt. Wie er im Congreß von jeher einer der eifrigsten Verfechter der „Heimstätte-Bill“ und beim Ausbruche der Sonderbündelei deren schärfster Gegner war, so bewährte er sich seit 1862 als Militär-Gouverneur des eroberten Tennessee, das ihm seine Rückkehr zur Unionsgesinnung verdankt. Man sagte ihm nur die Schwäche nach, daß er am 4. März 1865 bei seiner Einführung als Vicepräsident im Senat des Congresses im trunkenen Zustande gewesen sein sollte. Diejenigen aber, welche ihn genauer zu kennen behaupten, erklären jene Thatsache dahin, daß er, als Mitglied eines Mäßigkeitsvereins, seiner Vereinspflicht stets getreu, an jenem Morgen einen betäubenden Trank erhalten – man spricht sogar in parteifeindlicher Absicht. Die Nation kommt ihm mit einem ehrenden Vertrauen und einer einmüthigen Unterstützung entgegen und erwartet von ihm Strenge gegen die verantwortlichen Häupter des Sonderbundes, Milde gegen die verführten und unterdrückt gewesenen südlichen Massen. Und wenn irgend Jemand der ge­eignete Mann ist, um die richtigen Mittel zur schnellen Beruhigung des Südens zu finden, so ist es der Südländer und arme Weiße Johnson, welcher aus eigener Erfahrung weiß, daß „Aristokraten nichts lernen und nichts vergessen“ und daß unerbittliche Strenge gegen sie Barmherzigkeit gegen die von ihnen so lange unterdrückten Schwarzen und ärmeren Weißen des Südens und eine Wohlthat für das ganze Land ist.

Auch so noch freilich wird die gerechte Strenge eines demo­kratischen Volkes weit zurückbleiben hinter jener, mit welcher in anderen Ländern Hochverrath an der Monarchie heimgesucht zu werden pflegt. Die durchgreifendste Maßregel wird höchstens darin bestehen, daß allen thätigen Rebellen das Stimmrecht und die Wählbarkeit entzogen wird, während nur den eigentlichen Häuptern Vermögens-Einziehung droht, der Strang aber ganz Wenigen – die ihn verdient haben.



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