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beide Mal habe er sich dem römischen Imperium unterworfen. Diese Macht stamme von Gott, von ihm und nicht vom Papste sei sie abzuleiten. „Weil aber der Mensch nicht blos der irdischen Glückseligkeit, sondern auch des ewigen Heils bedürfe, so sei für diesen letzten Zweck der Papst eingesetzt und dem gemäß gezieme es sich, daß der Kaiser dem Papste, wie der Erstgeborene dem Vater, Ehrfurcht beweise.“

Dante setzte ideale, unausführbare Hoffnungen in die Wiederaufrichtung des Kaiserthums. Schon längst aber genügte das Kaiserthum den neuen politischen Zuständen nicht mehr, die Umwandlung der Gesellschaft forderte andere staatliche Formen. Die drei Blüthen des Mittelalters, das Papstthum, das Kaiserthum und die Ritterschaft, waren im Welken begriffen. Der Römerzug Heinrich des Siebenten erinnert darum an die Thaten Don Quixote’s: er will ein Gestorbenes wieder lebendig machen, gesprungene Triebfedern noch wirken lassen. Wie einst Johannes der Täufer dem Erlöser, so bereitete Dante durch seine „Monarchia“ und begeisterte Flugschriften, die er an die Völker und Fürsten Italiens erließ, seinem Helden den Weg. „Trockene, o du schönste der Jungfrauen,“ schreibt er, Italien meinend, „deine Thränen und lege die Miene der Traurigkeit ab, denn er ist da, der fromme Heinrich, der zweite Moses, welcher sein Volk frei machen wird vom Druck der Aegypter“ – vom Joche der Schwarzen, von der Last der Volksherrschaft.

In der Lombardei war es, wo Dante die Zusammenkunft mit dem Kaiser hatte, um diesen, den Ausländer, fußfällig anzugehen, mit starker Hand dem Parteigetriebe in Florenz ein Ende zu machen. Diesen bezeichnenden Moment hat der ausgezeichnete Dresdener Künstler zum Gegenstande unserer Abbildung gewählt. Während nun Heinrich von Stadt zu Stadt zog, um kleine Fehden zu schlichten und die Parteien zu versöhnen, die zum Schwert griffen, sobald er den Rücken gewandt, eilte Dante ihm voraus nach Toscana, 1311, und saß im Thurm von Porziano einige Wochen lang in ehrenvoller, leichter Gefangenschaft, da die Grafen von Porziano im obern Arnothale, nur wenige Meilen von Florenz, einen Feind der mächtigen Stadt nicht wohl durch ihr Gebiet ziehen lassen durften. Von hier aus schrieb er dem Kaiser einen zornigen Mahnbrief, er solle nicht länger in der Lombardei zögern, Toscana versäumen. „Erröthe also, daß Du Dich von einem kleinen Winkel der Erde festhalten lässest, Du, den die ganze Welt erwartet. Möchte es der Weisheit des Augustus nicht entgehen, daß die toscanische Tyrannei sich befestigt im Vertrauen auf Deine Säumniß und daß sie täglich den Trotz der Bösen aufreizt, neue Kräfte sammelt und Frechheit auf Frechheit häuft!“ Wie hört man aus jedem Wort den italienischen Parteimann heraus, der um jeden Preis seine Gegner vernichten und in die Vaterstadt, aus der er vertrieben, heimkehren will! Seine Heftigkeit erbitterte im nothwendigen Gegensatz die herrschende Partei in Florenz: durch das Gesetz des Podestà Baldo d’Apuglione wurden beinahe alle Verbannte im April 1311 zurückgerufen, Dante schloß man von dieser Gnade aus. Der Kaiser aber ging nicht auf Florenz los; er begab sich nach Rom, wo er die Kaiserkrone aus den Händen eines Cardinallegaten empfing, und als er am 19. September 1312 vor der Arno-Stadt erschien, mußte er nach kurzer Zeit die Belagerung wegen der Schwäche seines Heeres aufgeben; binnen Jahresfrist starb er, am 24. August 1313, in Buonconvento am Fieber.

Mit dem Tode des Kaisers erlosch für Dante jede Hoffnung auf die Verwirklichung seiner politischen Ideale. Eine zwiespältige Kaiserwahl zerriß Deutschland, die Päpste ließen sich dauernd in Avignon nieder, in Italien wütheten nach wie vor Nachbarfehden, Parteikämpfe ohne Ende. Wieder irrte Dante von Ort zu Ort, verweilte jetzt an dem Hofe Can Grande’s in Verona, dann bei Guido Novello da Polenta in Ravenna. Einmal bot sich ihm Aussicht zur Heimkehr nach Florenz; Freunde hatten sich für ihn bei der Regierung verwandt, aber die Bedingungen, unter denen man ihm die Rückkehr gestatten wollte, verletzten sein hochgesinntes Herz; er sollte sogleich begnadigt werden, wenn er eine gewisse Geldsumme zahlen und öffentlich Abbitte thun würde. Darüber schrieb er zurück: „Fern sei’s von einem Manne, der Gerechtigkeit predigt, Geld denen zu zahlen, die ihm Unrecht gethan; fern sei von einem Manne, der sich der Philosophie ergeben, die feige Demuth irdisch gesinnter Herzen, daß er sich wie ein Schmachbedeckter zur Buße stelle. Ich kehre mit Ehren heim – oder nie! Kann ich das Licht der Sonne und der Gestirne nicht überall erblicken? Brod wird mir nicht mangeln.“ Stolz, starr, in sich verschlossen war dieser Mann. Can Grande lachte einmal über seinen Hofnarren und wandte sich mit halb vorwurfsvoller Frage an den Dichter: „Warum kann mich nur dieser Thor unterhalten und Du nicht, mit all’ Deinem Witz?“ – „Gleich gesellt sich zu Gleich,“ entgegnete ihm Dante. Die Mönche eines in düsterer Einsamkeit in den Apenninen gelegenen Klosters fanden ihn öfters in ihren Kreuzgängen auf und niederwandeln. „Was suchst Du hier?“ fragte einer verwundert den ihm fremden Mann. „Den Frieden,“ antwortete er. Die längste Zeit verweilte er in Ravenna, hier soll er, nach Boccaccio’s Erzählung, sich mit dem Studium der italienischen Sprache und Literatur beschäftigt und Schüler herangebildet haben. Hierher kamen auch zwei seiner Kinder, die bis dahin bei der Mutter in Florenz verweilt – eine Tochter, die Nonne in Ravenna ward, und Jacopo, sein zweiter Sohn, in dessen Armen er starb; der älteste, Pietro, hatte ihn in die Verbannung begleitet. Dante verschied in Ravenna am 14. September 1321. Im Dichterschmuck, mit dem Lorbeerkranz wurde seine Leiche von den angesehensten Bürgern in die Hauptkirche getragen, der Herr der Stadt, Guido Novello, hielt ihm die Leichenrede. Fünfzig Jahre nach seinem Tode errichteten die Florentiner einen Lehrstuhl an ihrer Universität, Dante’s Gedicht zu erklären, und wünschten seine Leiche von Ravenna herüberzubringen. Jene Stadt aber wollte die Gebeine des größten Dichters nicht aus ihren Mauern lassen.

Ueber die Bedeutung der „göttlichen Komödie“, der dichterischen Hauptschöpfung Dante’s, ist viel gestritten; die einen haben nur Allegorien darin sehen wollen, die andern sie ein politisches Gedicht genannt. Zuletzt ist dann noch behauptet worden, die „göttliche Komödie“ sei das Geheimbuch der ghibellinischen Partei gewesen. Jedem Leser aber fällt auf, daß sowohl in der Hölle wie im Fegefeuer sich Ghibellinen und Guelfen finden, daß Dante mit großer Gerechtigkeit gegen seine Zeitgenossen verfuhr. Der sündige Mensch sieht in der Hölle alle Laster, die ihn im irdischen Leben beflecken können; den steilen Berg des Purgatoriums hinanklimmend erkennt er seine Fehler und Schwächen und wird, je weiter er steigt, je mehr seine Reue und die Süßigkeit der Betrachtung in ihm zunimmt, desto edler und heiliger. Die Schilderung des Paradieses, die sich daran knüpft, entbehrt jedes menschlichen Interesses, sie ist ein künstlicher, in Verse gebrachter Tractat über die mittelalterliche Theologie, der von den Zeitgenossen des Dichters am meisten von den drei Theilen der „göttlichen Komödie“ bewundert wurde. In diesen Rahmen hat nun Dante seine Erfahrungen, Kenntnisse, Anschauungen gebracht; Alles, was ihn je beseelte, Liebe, Freundschaft, tödtlicher Haß, seine kaiserlichen Ideale, seine politische Leidenschaft, sein Trotz, sein Stolz, die Männer, denen er begegnete, die Künstler, die er ehrte, sein Gegensatz zu den Päpsten und dem Dogma von der weltlichen Macht der Kirche: hier lebt es, unvergeßlich, in glühenden Farben. In diesem Sinne ist die „göttliche Komödie“ auch ein politisches Gedicht. Nur thut man dem Dichter unrecht, wenn man über diese einzelnen Anspielungen den ethischen und moralischen Charakter des Ganzen vergißt. Der Retter und Heiland Italiens, dessen er so oft erwähnt, ist nicht nur ein politischer Befreier des Landes, ein Staatsmann oder ein Feldherr; bei Dante verbindet sich der Gedanke der politischen Wiederherstellung des Imperiums zugleich mit dem einer vollständigen, sittlichen Wiedergeburt des Menschengeschlechts. Darum ist er ein Dichter für alle Zeiten und Völker; haben auch „das Fegefeuer“ und „das Paradies“ für uns Nordländer, die einer andern Auffassung des Christenthums huldigen, nach sechs Jahrhunderten an Glanz und Bedeutsamkeit verloren, so bleibt doch „die Hölle“ eines der mächtigsten Werke, welche der dichterische Genius geschaffen. Den Italienern aber ist Dante Dichter, Patriot und Prophet zugleich. Das einige Italien, das er herbeisehnte, vor den Augen derer, die jetzt leben, erhebt es sich wie ein Phönix aus der Asche und der Knechtschaft von Jahrhunderten. An Dante wie an unserm Schiller wird es offenbar, daß die Kunst, um zu wirken, um wahrhaft von Geschlecht zu Geschlecht fortzuleben, ein Vaterland haben und sich an die ewigen Ideen der Freiheit und der Menschlichkeit anschließen muß.



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