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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Ausführung der nothwendigen Vorarbeiten zur Versammlung angelegen sein, die im vorigen Jahre wegen der politischen Verhältnisse, welche einen großen Theil fleißiger Besucher aus dem nördlichen Deutschland fern gehalten hätten, ausgesetzt wurde.

Die Lehrer Deutschlands haben diesmal Leipzig zu ihrem Versammlungsorte gewählt, nicht blos deshalb, weil diese Stadt sich von allen Seiten am leichtesten erreichen läßt, sondern auch, weil das Schulwesen derselben, weithin bekannt wegen seiner guten Einrichtungen, einer genaueren Kenntnißnahme von Seiten einer größeren Anzahl von Lehrern werth sein dürfte. Und dieselben werden sich freuen, wenn sie finden, wie die Bürgerschaft der Stadt, deren Rührigkeit und Wohlhabenheit sich von Jahr zu Jahr gesteigert haben, auch nicht zurückgeblieben ist in der Sorge für die Jugendbildung; sie werden zugeben, daß mit vollem Rechte Leipzig einer der ersten Plätze unter den deutschen Städten in Bezug auf die Sorge für die Schule eingeräumt werden muß. Denn nicht allein, daß die Stadt aus eigenen Mitteln zwei Gymnasien, eine Handels- und eine Realschule erhält, sie hat auch das Elementarschulwesen durch die zahlreich besuchten Bürger-, Frei- und Armenschulen so vollständig in die Hand genommen, daß von eilftausend Schülern noch nicht eintausend in Privatanstalten unterrichtet werden, während doch in vielen andern Städten, wie z. B. in Hamburg, das Privatschulwesen weit umfangreicher ist, als das öffentliche. Die Opfer, welche die Stadt Leipzig besonders in neuerer Zeit für ihre Schulen gebracht hat, legen ein herrliches Zeugniß von dem Interesse der Bürgerschaft für das Erziehungs- und Unterrichtswesen ihrer Jugend ab und beweisen, wie die Leipziger das wohl beachtet haben, was einst Luther den Rathsherren aller Städte deutschen Landes an’s Herz legte: „daß sie die größte Sorge auf’s junge Volk haben möchten, weil ja das einer Stadt bestes und allerreichstes Gedeihen, Heil und Kraft sei, daß sie viel feiner, gelehrter, vernünftiger, ehrbarer, wohlgezogner Bürger habe, die darnach Schätze und alles Gut sammeln, halten und recht gebrauchen können.“

Da es nun die Volksschule mit einer Seite des deutschen Culturlebens zu thun hat, die der Stolz der Nation und die sicherste Bürgschaft für ihre Stellung in der Zukunft ist, und da sich in ihrer Geschichte das Streben des deutschen Volkes nach allgemeiner Bildung abspiegelt, so dürfte es nicht ohne Interesse sein, in kurzen Zügen einen Ueberblick über das öffentliche Volksschulwesen in Leipzig zu geben und zu zeigen, wie es sich aus den früheren, bescheidenen Anfängen allmählich zu dem großen, organischen Ganzen, das es in unseren Tagen repräsentirt, herangebildet hat. Wird doch ein Jeder leicht einen ähnlichen Entwickelungsgang anderwärts nachweisen können und erkennen, daß nicht durch Einflüsse von außen her, sondern allein aus dem Bildungstriebe des Volkes die gemachten Errungenschaften hervorgegangen sind.

Die Volksschule nach unsern jetzigen Begriffen, die sich der Bildung und Erziehung jedes einzelnen Kindes ohne Unterschied annimmt, war dem ganzen Mittelalter noch fremd und ist erst ein Ergebniß der neueren Zeit. Bis zur Reformation war die Jugenderziehung zumeist in den Händen der Geistlichen und wurde nur in den an den Klöstern und Kirchen errichteten Schulen gepflegt; so in Leipzig in der St. Thomas- und in der später gegründeten Nicolaischule.

Erst gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts, als sich eine größere Theilnahme für die Kinder aus ärmeren Ständen zeigte, die im Allgemeinen weder die erwähnten beiden sogenannten lateinischen Schulen besuchen, noch sich Privatunterricht erzeugen konnten, der nach und nach in Leipzig ziemliche Ausdehnung gewonnen hatte, wurden die Anfänge zu den Bürger- und Volksschulen, wie sie noch jetzt bestehen, gemacht. Es fanden sich wohlwollende Bürger, wie der Kaufmann Schwabe, der Graf Hohenthal, der Buchhändler Wendler, die aus eignen Mitteln Schulen stifteten und Lehrer besoldeten. So ehrenvoll für die Stifter diese Bestrebungen waren, so blieben sie doch unzureichend. Erst der unermüdlichen Thätigkeit des in jeder Beziehung um Leipzig hochverdienten Bürgermeisters Dr. Müller und den rastlosen Bemühungen des edlen Superintendenten Dr. Rosenmüller, der 1785 von Gießen nach Leipzig berufen wurde, war es vorbehalten, einen tüchtigen Grund zum Elementar- und Bürgerschulwesen in Leipzig zu legen. Ihr Werk war insbesondere die Gründung der Rathsfreischule, in welcher Kinder vermögensloser Eltern zweckmäßigen Unterricht erhalten sollten. Sie ward am 16. April 1792 mit einhunderteinundsiebzig Schülern und Schülerinnen eröffnet und ihre Organisation und Leitung dem bekannten Pädagogen Karl Gottlieb Plato anvertraut. Reges Leben und Streben beseelte bald Lehrer und Lernende. Lange Zeit ist diese Schule ein Vorbild für die andern Anstalten geblieben, die später errichtet wurden und gleiches Ziel mit ihr verfolgten, und wenn auch nicht dem Namen, so doch in der That und ihrem Plane nach die erste Bürgerschule der Stadt gewesen. Plato’s, seiner Mitarbeiter und Nachfolger Verdienste um die Bildung der Stadt sind niemals vergessen worden, und ihre Namen erwecken noch heute Achtung und Dankbarkeit in Tausenden. Schon dreiundsiebzig Jahre besteht die Anstalt, mit der seit einiger Zeit die 1787 vom Buchhändler Wendler gegründete Freischule vereinigt ist, in voller Thätigkeit, und es gehen täglich gegen achthundert Kinder, von neunzehn Lehrern in vierzehn Classen unterrichtet, in ihr ein und aus. Sie wird jetzt von dem als Lehrer und Collegen gleich hochgeschätzten Director Schott geleitet.

Die schönen Erfolge, die in dieser Schule erreicht wurden, erregten auch in dem bemittelten Bürgerstande den Wunsch, einer ähnlichen Anstalt für ihre Kinder sich bedienen zu können. Es bleibt stets eine interessante und wichtige Aeußerung der damaligen Zeit und ein schönes, ehrenvolles Zeugniß für das ernste Streben nach einer tüchtigen Jugendbildung, als am 25. Febr. 1795 die Obermeister von fünfundzwanzig Innungen, die gesetzlichen Vertreter der Bürgerschaft, an den Rath die Bitte richteten: „Derselbe wolle, aus ganz besonderer Milde und Güte, zur Bildung der Jugend, sowohl männlichen als weiblichen Geschlechts, ihnen eine allgemeine Bürgerschule, in welcher die Kinder gegen ein billiges Schulgeld einen ebenso wohlthätigen als zweckmäßigen Unterricht in dem Maße, als die armen Kinder in hiesiger Freischule erhalten, genießen können, zu schenken gnädig und hochgeneigt geruhen.“ Das Gesuch ward berücksichtigt und, nachdem Riß und Voranschlag zu einem der Stadt würdigen Schulhause gemacht worden waren, im nächsten Jahre der Beschluß gefaßt, eine allgemeine Bürgerschule auf der alten Moritzbastei, auf der Südseite der Stadt, zu errichten. Man hoffte, einen Theil der früheren Festungswerke als Grundmauern des neuen Gebäudes benutzen zu können, hatte sich aber doch in deren Stärke geirrt und mußte einer Senkung durch riesige Gewölbe vorbeugen. Daher kam es, daß der Bau gewaltige Summen verschlang und man Bedenken trug, ihn fortzusetzen. Doch die Innungen, von denen das erste Gesuch ausgegangen war, wünschten dies dringend, trotzdem ihnen eröffnet wurde, daß die Kosten bis zur Vollendung und Einrichtung der Schule wohl leicht sich auf mehrere Tonnen Goldes belaufen dürften. Das Haus war kaum zur kleineren Hälfte fertig, als man an die Eröffnung der Schule dachte. Der Rath ernannte Ostern 1803 zum Director der neuen Anstalt den zeitherigen Gymnasial-Rector in Bautzen Ludwig Friedrich Ernst Gedike, der sich schon in mehreren bedeutenden Lehrämtern in Berlin, Breslau und zuletzt in Bautzen durch seine großen pädagogischen Gaben, durch seine Gelehrsamkeit und die Reinheit seines Charakters ausgezeichnet hatte. Im zweiundvierzigsten Jahre seines Lebens stehend, kam er nach Leipzig und setzte seine ganze volle Manneskraft daran, die neugegründete Schule zu einer tüchtigen Bildungsstätte deutschen Bürgerthums zu machen.

Erst am 2. Jannar 1804 konnte die Schule mit 265 Kindern eröffnet werden, deren Zahl aber im Laufe des Jahres noch auf 600 stieg. Die Urtheile über die Anstalt lauteten von Seiten der Bürgerschaft sowie der speciellen Fach- und Berufsgenossen immer günstiger und erfreulicher, so daß sie bald ähnlichen Schulen in andern Städten als Muster aufgestellt werden konnte. Der Bau des Mittelgebäudes und des linken Seitenflügels war noch nicht vollendet, als am 19. October französische Truppen die Stadt besetzten. In der nun folgenden Drangsalszeit konnte nichts für den Ausbau dieser Theile geschehen, und erst seit dem Jahre 1833 steht das Haus in seiner jetzigen Gestalt da und bietet in derselben eine der schönsten architektonischen Zierden der Stadt dar, wie dies das Hauptbild unserer Illustration zeigt. Als die Octobertage von 1813 hereinbrachen, ward sogar die Schulanstalt aufgelöst und das Gebäude mit allen Räumen in ein großes Militärhospital verwandelt. Erst im Juni des folgenden Jahres, nachdem am 4. März die letzten russischen Reconvalescenten das Schulhaus verlassen hatten, konnte

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