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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Frauen hinkommen, und wenn die Zahl der jährlich dort abgehaltenen Wäschen seit 1861 nur von 16,000 auf 18,500 gestiegen ist, so liegt der Grund tröstlicher Weise in dem seither eröffneten zweiten Waschhause. Daß aber auch hier ein Uebelstand herrscht, läßt sich schwer übersehen; so hoch der mit Dach- und Seitenfenstern versehene Raum auch ist, Augen, Haut und Lungen leiden unter dem sich anhäufenden Dampfe, der zugleich auf die Riechnerven nichts weniger als angenehm wirkt und, sich an den Wänden als Wasser absetzend, das ganze Local dauernd feucht macht. Man sollte sagen, unsre Zeit, die in dieser Beziehung Alles kann, müßte da leicht Rath zu schaffen wissen.

Prächtig aber ist der von unten auf geheizte Trockenofen mit seinen dreiunddreißig Querstangen, die in bequemster Weise herausgezogen, mit Wäsche behängt und wieder eingeschoben werden können. Daß man seine Benutzung mit 50 Cent. per Stunde bezahlt, ist nicht mehr als billig, und doch hat man auch für Diejenigen gesorgt, denen jeder Preis zu hoch sein und die Zeit zum Abwarten des Ofens fehlen dürfte. Für sie ist der Allen unentgeltlich zugängliche, auf beiden Seiten mit Jalousien versehene Speicher, wo die Wäsche in freier Luft trocknet, ohne daß Jemand dabeizustehen braucht. Leider soll es vorkommen, daß Frauen mehr Wäsche abnehmen, als sie aufgehängt hatten, und das Zurückbringen des Überschusses im Drange der Geschäfte vergessen. Um diesem Uebel abzuhelfen, schlug ich vor, nur Engel in der Cité zuzulassen; der Arbeiter aber meinte ziemlich trocken, man brauche den Speicher blos in schließbare Verschläge zu theilen und die Schlüssel jedesmal beim Hausmeister abgeben und wiederfordern zu lassen. Da sich der Pfarrer auf seine Seite schlug, so war ich überstimmt.

Aus der General-Reinigungs-Anstalt waren wir bald in dem imposanten Institute für leibliche und geistige Ernährung der Arbeiter angekommen, denn das ringsum frei an der Place Napoléon liegende große Gebäude mit zierlich in Schweizerstyl aufgeführtem Treppenüberbau und reizendem Gärtchen davor, auf das wir direct zuschritten, enthält Bäckerladen, Restauration und Bibliothek, letztere allerdings mit einem besondern Eingange. Ich hatte gehört, daß man dort spottwohlfeil essen könne, und mir eine beliebige, leidlich unsaubere Spelunke mit abschreckenden Beispielen von Aufwärtern und einer Art von Speisen gedacht, die den unschätzbaren Vorzug habe, schon vor dem Genusse satt zu machen. Wie ward ich enttäuscht! Durch ein breites Vorhaus, auf dessen linker Seite der freundliche Brodladen liegt, während sich auf der rechten eine kolossale Küche mit blitzend blanken Heerden, Geschirren und Köchinnen in’s Unendliche verliert, gelangten wir in den lichten Speisesaal, der durch einen auf die gegenüberliegende Hinterthür zuführenden, von manneshohen Breterwänden eingefaßten Gang in zwei gleiche Hälften getheilt ist. Jede Hälfte ist so breit, daß zwischen zwei Reihen in die Quere gestellter Tische noch ein bequemer Durchgang bleibt. Der ganze Raum faßt 250 Personen und muß doch dann und wann zu klein sein; wenigstens deutet darauf das von der Verwaltung vorbehaltene Recht, jedem Speisenden nur einen halbstündigen Aufenthalt zu gestatten. Und in Wahrheit mich wundert, daß nicht halb Mülhausen dort zu Mittag ißt. Denn mit einer Abonnementskarte versehen, die vierteljährlich nur 75 Cent. kostet und bei Familien von jedem beliebigen Mitgliede benutzt werden kann, oder gegen ein Eintrittsgeld von 5 Cent. pro Mahlzeit findet man dort das gesundeste, appetitlichste und schmackhafteste Essen zu einem für die dortigen Verhältnisse fabelhaft billigen Preise. Eine schwarze Tafel an der Wand trägt das Verzeichniß der vorhandenen Speisen, und Jeder wählt nach Herzensgelüsten. Die fette Suppe kostet 10, das Rindfleisch 15, das Gemüse 10 Cent., und die Portionen sind so wohlgemessen, daß selbst ein Habgieriger unter Beifügung eines Stückes Brod zu 5 Cent. mit diesen drei Gerichten auskommen, also für 40 Cent. vollständig diniren kann. Ist er vielwillig, wählerisch, so wird er zwar die magere Suppe zu 5 Cent. Andern überlassen, hat aber noch eine Auswahl zwischen Ragout oder Boeuf à la mode zu 15, Braten zu 25 und Salat zu 10 Cent.; ja für weitere 10 Cent. bekommt er sogar Käse als Nachtisch, und wenn er gar anspruchsvoll ist, für 15–20 Cent. einen halben Schoppen guten, reinen Wein. Man sieht, der verwöhnteste Bürger – und die Anstalt darf Jeder benutzen, weil das offenbar in ihrem eigenen Interesse liegt – brächte es schwerlich dahin, mehr als einen Franken zu verzehren; die Arbeiter aber, die früher kaum Sonntags einmal Fleisch essen konnten, müssen sich in ein wahres Paradies versetzt fühlen.




Aus Leipzigs Werkstätten der Jugendbildung.
Der deutschen Lehrerversammlung ein erster Gruß.

Die meist sonnig verklärten Tage der Pfingsten, die so manchen stillen Arbeiter, der sonst das ganze Jahr hindurch in der staubigen Werkstatt steht oder am alten, liebgewonnenen Schreibtische sitzt, hinausziehen in die frischen, grünen Wälder oder auf die luftigen Berge, werden auch in vielen treuen, deutschen Lehrerherzen die Sehnsucht erwecken, den heimathlichen Heerd, das Schulzimmer – den Zeugen mancher Sorgen und Mühen – zu verlassen und sich zu mischen unter die Schaaren der fröhlichen Pfingstreisenden. Aber nicht lediglich deshalb, um die Brust voll zu schöpfen von milder, warmer Frühlingsluft, werden die Lehrer den Wanderstab ergreifen, sondern um sich, beseelt von der ihnen in die Hand gegebenen Sache der Jugenderziehung und von dem Gedanken, im vereinten Streben die Aufgabe zu erfassen, anzuschließen an den großen Lehrerkreis, der sich in der Pfingstwoche dieses Jahres in Leipzig bilden wird. Schon vierzehn Mal haben sie sich aus allen Gauen Deutschlands in verschiedenen Städten zusammengefunden und trotz aller ungünstigen Verhältnisse früherer Zeiten fest aneinander gehalten, tüchtig gearbeitet an der Bildung ihrer selbst, sowie der ihnen anvertrauten Jugend und wacker gekämpft für die Interessen ihres so oft verkannten Standes. Selten hat wohl einer von ihnen eine solche Versammlung verlassen, der nicht neue Anschauungen und Anregungen erhalten hätte, dessen Herz nicht, wie sehr auch immer in den einzelnen Theilen des gesammten Vaterlandes die Schulverhältnisse verschieden sein mögen, von neuer Liebe für seinen Beruf erwärmt worden wäre, der sich nicht lebhaft als Glied eines großen Ganzen gefühlt hätte, das weiter reicht, als die Marksteine seines Gaues.

Von Jahr zu Jahr ist das Interesse, das die gesammte deutsche Lehrerschaft an ihren alljährlichen Versammlungen nimmt, gestiegen, und wenn schon die zuletzt in der Pfingstwoche 1863 zu Mannheim abgehaltene mehr als zweitausend Theilnehmer zählte, so dürfte diese Zahl von der in Leipzig bevorstehenden noch bei Weitem überschritten werden. Die alte Meß- und Universitätsstadt, die so manches Gewühl gesehen und in deren Straßen sich so verschiedene Menschengruppen bewegt haben, nimmt gewiß nicht weniger freundlich auch die Lehrer auf, die hier tagen wollen, und es steht sicher zu erwarten, daß die Bürgerschaft Leipzigs, die bei Gelegenheit der Feier der beiden nationalen Feste, welche das Jahr 1863 brachte, bewiesen hat, wie sehr sie ihren alten Ruhm der Gastfreundschaft zu wahren versteht, auch den von auswärts kommenden Theilnehmern an der fünfzehnten allgemeinen deutschen Lehrerversammlung ein gastliches Obdach gewähren wird. Zwar wird die Versammlung kein äußeres Festgepränge zur Schau tragen und durch ihre Vorträge und Besprechungen dem, der der Schule und ihren Bestrebungen ferner steht, wenig Interesse abgewinnen, gewiß aber wird Angesichts derselben Mancher, der längst der Jugend- und Schulzeit entwachsen, sich wieder lebhafter derselben erinnern und vielleicht im Herzen eines treuen Lehrers gedenken, der einst seine Jugendbildung leitete.

Als daher die Versammlung durch ihren Vorstand bei der städtischen Behörde in Leipzig anfragte, ob ihr erlaubt sei, hierher ihren Fuß setzen zu dürfen, ward diesem Wunsche freundlichst gewillfahrtet und ein aus einer Anzahl Lehrer und lehrerfreundlicher Bürger bestehendes Comité läßt sich mit allem Eifer die

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