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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Markholm erhob sich nicht.

„Bitte, Fräulein,“ sagte er, „schenken Sie mir noch einen Augenblick Gehör … ich möchte Sie auf eine andere Weise versöhnen mit dem, was Sie durch meine Unbesonnenheit gelitten haben können … dadurch, daß ich Ihnen sage, wie sehr ich selbst darunter gelitten habe!“

„Sie selbst?“ fragte Elisabeth mit ihrem forschenden Blick.

„Ich selbst,“ versetzte er, unsichern Tones und ihrem Blicke ausweichend, denn eine furchtbare Erregung hatte sich seiner bemächtigt, es war ihm, während er sprach, als hinge ein Schleier vor seinen Augen, als habe der ganze Raum um ihn sich in einen Nebel gehüllt, „ich … wie soll ich es Ihnen sagen? … ich meine, Sie müßten es erkannt haben, wie werth und theuer mir Ihre Freundschaft geworden in den wenigen Stunden, worin ich das Glück hatte, Sie zu sehen – Sie können aber nicht wissen, welch fürchterlicher Kampf mit mir selber den Worten, welche ich für meinen Neffen sprach, vorherging; wie entsetzlich schwer mir die Resignation auf den letzten Traum meines Glückes wurde – wie es mir das Herz brach, mir sagen zu müssen: Du bist ein alter Mann und mußt das Loos derer, für welche das Leben nur noch welke Blüthen hat, zu tragen wissen; laß das Glück denen, die jung sind: es wird ja immer denen gegeben, die es nach ihrem Werthe nicht zu schätzen wissen, die es übermüthig wie einen schuldigen Tribut des Schicksals entgegennehmen. Die, welche seinen ganzen unermeßlichen Werth zu erkennen wüßten, sind ja immer die Enterbten. Ich habe es über mich gewonnen, so zu mir zu sprechen, und um mir selbst den Rückweg abzuschneiden, habe ich überhastig zu Ihnen gesprochen, und doch wußte ich ganz und völlig, worauf ich damit verzichtete … wozu ich mir das Leben machte … zu einer grenzenlosen, nie endenden Qual! Ich hatte alle Glücksträume, Alles, Alles, was ich mir je in einer Frau ersehnt und was ich doch nie mehr zu finden hoffte, in Ihnen gesehen … ich hatte seit dem Augenblick, wo ich Sie zuerst erblickte, keinen andern Gedanken mehr als Sie; wie der ewige blaue Himmel war mir der Gedanke an Sie, über dem alles Andere nur noch wie flüchtige Wolken dahinzog; mit jeder Stunde wurde dies Gefühl mächtiger, unterjochender, leidenschaftlicher – es trug in einer Minute mehr in sich, als was ich früher je empfunden, es ward die ganze furchtbare Gluth eines – reifen Mannes. Und das Alles mußte ich bewältigen, niederkämpfen, ich mußte mich zum Lügner vor mir selber machen und das Höchste, Himmlischste, Größte, was je durch meine Seele geflammt, als etwas Thörichtes, Unberechtigtes, Nichtiges verdammen, fortzuschleudern, niederzutreten suchen … und ich fühlte doch, daß ich es nie, niemals werde vernichten und auslöschen können … und ich war unsäglich elend in meiner Kraft und in meinem Muth!“

Markholm hatte dies Alles leise und langsam, wie die Worte, die sein Gefühl aussprachen, suchend und sie nicht findend, gesprochen. Sein Gesicht war bleich, seine Züge gespannt, seine Fibern schienen zu zucken … er blickte mit einem ängstlichen, flehenden Ausdruck zu Elisabeth auf.

Sie sah ihn an mit Blicken, in denen mehr irgend etwas Anderes als Erstaunen zu liegen schien; sie fixirte ihn groß, starr, mit einem Ausdruck von Zerstreutheit … es hatte beinahe den Anschein, als ob sie das, was er sprach, gar nicht anhöre, ihn nur sprechen sehe. Ihr Gesicht hatte dabei all seine gewöhnliche leise Röthe verloren; aber es zeigte nichts von Aengstlichkeit und Verlegenheit, wie am heutigen Morgen, nur Staunen und fast Entrüstung.

„Elisabeth!“ rief er jetzt leidenschaftlich aus, ihr seine Hand hinstreckend, „und Sie sagen mir nichts … Sie haben kein einziges gütiges Wort für mich nach all der Qual, die ich Ihnen geschildert habe? …“

„Was soll ich Ihnen sagen auf dies Alles? Sie haben keine Frage daran geknüpft, auf die ich antworten müßte … Gottlob … thun Sie es auch nicht!“

„Elisabeth! das lautet unsäglich hart – das ist grenzenlos grausam!“

„Lassen Sie uns dies Gespräch enden,“ versetzte sie, und diesmal zitterte ihre Lippe, als sie sprach, „ich kann Ihnen nur sagen, daß es mich unaussprechlich unglücklich macht. Verlangen Sie nicht mehr von mir zu hören!“

„Und doch weiß ich es, ich muß von Ihren Lippen ein anderes Wort hören, denn es würde mich tödten, ohne ein anderes von Ihnen gehen zu müssen.“

„Nicht diese leidenschaftlichen Ausdrücke, Herr von Markholm, sie wirken auf mich nicht, aber Sie thun mir wehe, sehr wehe … mehr als ich Ihnen sagen kann, Ihnen sagen darf!“

Sie stützte die Stirn auf ihre Hand und Markholm sah, daß in ihre Wimpern feuchte Tropfen traten.

„Wenn Sie mir eine Wohlthat erweisen wollen, so verlassen Sie mich!“ sagte Elisabeth.

„So? … ohne eine andere Antwort … ohne eine leiseste Hoffnung?“

Elisabeth winkte ihm mit der Hand zu gehen … er konnte nicht anders, er mußte sie allein lassen … er mußte gehen … ohne Hoffnung.

„O mein Gott … ist das denn möglich?“ rief Elisabeth, als sie allein war, aus, die Hände wie in Verzweiflung zusammenschlagend, „ist es denn möglich, kann ein Mann für einen andern werben und in der folgenden Stunde uns glauben machen wollen, er selbst liebe uns … und das vermag Markholm – er, auf den ich Berge gebaut hätte … welcher Abgrund liegt da vor mir! Markholm! Kann ein Mann so an dem jämmerlichen irdischen Besitz hängen? War es nicht Alles, Alles Lüge, was er sprach … kam es nicht deshalb so schön, so langsam, so gesucht über seine Lippen wie eine Liebeserklärung, die er für einen seiner Romane ausarbeitet … hätte eine wahre Leidenschaft nicht anders, ganz anders gesprochen? Ein Mann wie Markholm – von einer redlichen Neigung beseelt – wie ruhig, wie selbstbewußt, wie sicher, daß jedes Weib auf Erden stolz darauf sein müßte, von ihm gewählt zu werden, hätte er gesprochen: ich biete Dir mit treuer Neigung meine Hand, mache mich glücklich, indem Du die Deine hineinlegst! So hätte eine wahre Neigung aus ihm gesprochen, schlicht und einfach wie der Ton der Wahrheit ist …. O mein Gott, welche bittere, bittere Stunde der Enttäuschung ist dies für mich! Auf wen noch bauen, auf welches Menschen Wort noch vertrauen nach dieser Stunde!“

Sie versank in tiefes schweigendes Sinnen, aus dem sie nach langer Zeit mit dem plötzlichen Ausruf: „Wenn es wahr wäre … es wäre zu fürchterlich, was ich ihm angethan! Aber nein, nein, nein … ein Mann, der liebt, kann nicht werben für den andern … o, mein Leben gäb’ ich für nur einen Blick in sein Herz!“ –

Max wartete lange, sehr lange auf des Onkels Rückkehr… Max war in aufgeregtester Spannung über das Ergebniß der Unterredung zwischen Markholm und Elisabeth, obwohl er sich zehnmal gesagt hatte, daß er völlig gleichgültig dagegen sei, daß der Onkel schlichten könne, was er angestiftet, daß er, Max, nun und nimmermehr sich zu einer Transaction auf Kosten seiner Neigung hergeben werde.

Maxens Ruhe war doch nicht so unerschüttert, wie er sich vorsagte. Max hatte seine Eitelkeit so gut wie jeder Andere, und es wäre wunderbar gewesen, wenn er die Möglichkeit, daß Elisabeth von Morgenfeld mit ihrer güterreichen Hand einen schmucken Jüngling wie ihn beglücken wolle, nicht als eine über seinem Haupte schwebende Gefahr betrachtet hätte, und der Onkel, hing er nicht mit dem zähen Familiensinn eines Poeten an jenen Gütern? Ihre Bedeutung ließ sich dieser Güterfrage auch gar nicht absprechen … sie fiel in’s Gewicht! Ach ja, sehr, sehr – der menschliche Dualismus, über den der Onkel unlängst Betrachtungen angestellt, fehlte auch in Maxens Brust nicht; da war allerdings eine recht aufrichtige treue Neigung für seine Elisabeth – aber der heimtückische Verstand hatte darüber nicht die Fassungskraft für die störende und beunruhigende Thatsache verloren, daß Landgüter ein ganz unberechenbar werthvoller Besitz sind!

Es wurde dunkel und der Onkel kam nicht. Die Zeit des Abendessens kam… Markholm erschien noch immer nicht.

„Das ist seltsam!“ sagte sich Max besorgt, „seine Freundschaft mit diesen Morgenfelds wird nicht gleich so innig geworden sein, daß sie ihn zur Nacht dabehalten haben! Es wäre das jedenfalls ein übles Omen für Dich, armer Max … aber ganz gewiß hätten sie dann wohl herübergeschickt und auch Dich, die Hauptperson bei der Sache, eingeladen!“

Beunruhigt ging Max, um den Onkel zu suchen … er ging den gewöhnlichen Weg nach Haus Markholm, bis an die

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