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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

herrschte. Dicht standen sie hintereinander, die hohen, schlanken Bäume, oft zu vier zusammen, als wären sie aus denselben Wurzeln in die Höhe gewachsen, mit den Kronen sich berührend, der Grund von Hunderten von Wasserrinnen durchzogen, dazwischen Aprikosenbäume mit ihrem hellgrünen Laube, von Cactus- und Aloehecken eingerahmt. Dann kamen wir in das Dorf. Wieder jene hohen, fensterlosen Mohrenhäuser mit den terrassenartigen Dächern, welche mit den Erkern und Vorsprüngen zusammenstoßen; wieder jene finstern, zuweilen durch gewölbte Bogen unterbrochenen Straßen, wie ich sie schon mehrmals in den arabischen Städten und Dörfern durchwandert hatte, manche Häuser mit Thürmchen und Zinnen. Alle Häuser mit ihren Pfeilern, Säulen und Erkern waren hier von ungebrannten Ziegeln aufgeführt und ohne jenen weißen Gypsanstrich, welchen die arabischen Häuser in den Städten tragen. Aber die dunkelgrünen Palmenkronen blickten hier über die Erker und Terrassen in die Straßen und nickten mit ihren Kronen. Endlich hielten wir vor einem großen, palastartigen Hause. Ein gewölbter, von Säulen getragener Gang, zwischen den Säulen Nischen mit Steinbänken, führte zu dem Hausthore. Auf den Bänken in den Nischen lagen weiße Gestalten, träumend oder im süßen Nichtsthun, wie das so arabische Sitte ist. „Hier wohnt der Scheik von Lischana,“ rief der Spahi und hielt mir den Steigbügel. Ich sprang vom Pferde.

Eine schmale Steintreppe führte in den obern Stock des Hauses. Das Haus hatte keinen innern Hof, wie die Maurenhäuser in den Städten. Durch eine Bogenthür traten wir in das Empfangszimmer des Scheiks. Es war ein weites, hohes und kühles Gemach, zwei runde Säulen trugen die Decke, deren Querbalken starke Palmenstäbe bildeten, während die Zwischenränme zwischen den Querbalken mit Palmenzweigen ausgefüllt waren. Die Wände hatten den in arabischen Häusern gewöhnlichen Gypsanstrich Palmenmatten bedeckten den Steinboden. Zwei mit bunten Teppichen belegte Divans füllten die Ecken des Saales aus, während in der dritten Ecke ein Kamin angebracht war. Als wir eintraten, erhob sich ein Mann von dem Divan und hieß uns willkommen. Der Spahi überreichte den Empfehlungsbrief des Commandanten von Biscara, der in arabischer Sprache geschrieben war. Der Araber nahm ihn und sagte mir, nachdem er ihn gelesen hatte, sein Bruder, der Scheik, sei augenblicklich nicht zu Hause, doch würde er ihn sofort von dem Besuche benachrichtigen und ihn holen lassen. Er hieß mich nochmals willkommen und lud mich ein, auf dem Divan auszuruhen. Dann erschienen zwei arabische Diener und brachten Datteln, Feigen, Mandeln und Milch zur Erfrischung, während der Spahi wieder vor das Haus gegangen war, um sich um die Pferde zu bekümmern.

Nach einigen Minuten trat ein hagerer, großgewachsener Araber mit scharfen Zügen und brennenden dunkeln Augen in das Gemach. Er redete mich in geläufigem Französisch an, sagte mir, daß er ein Verwandter des Scheiks sei und Hamond heiße. Der Commandant von Biscara habe ihn von meinem Besuche in Lischana benachrichtigt und ihn ersucht, mir während meiner Anwesenheit als Dolmetscher zu dienen. Dann erschien der Scheik. Er war ein Mann von hoher Gestalt, in der Mitte der vierziger Jahre, mit schönen, klugen Augen und schwarzem Bart. Er war in einen weißen Burnus von feiner Wolle gekleidet, unter dem er eine blaue Tunika trug. Ueber dem Burnus trug er um den Hals eine Schnur rother und schwarzer Korallen. Er hieß mich nochmals willkommen und sagte, daß das Mittagessen in einer halben Stunde bereit sein werde. Nach Tisch wolle er mir Lischana zeigen. Währenddem kam der Bruder des Scheik, der mich zuerst empfangen hatte, mit noch zwei andern Brüdern zurück, welche ebenfalls den fremden Gast sehen wollten. Der Scheik und Hamond blieben stehen, die Andern ließen sich mit gekreuzten Beinen auf die Palmenmatten nieder, welche den ganzen Boden des Saales bedeckten. Mit Hülfe des Dolmetschers Hamond unterhielt ich mich mit dem Scheik und seinen Verwandten darauf von den Sitten des Landes. Der Scheik hatte drei Frauen, auch seine Brüder hatten jeder mehrere Frauen, Hamond besaß nur eine Frau. „Es ist mehr als genug,“ fügte er lächelnd hinzu. Hamond hatte längere Zeit in Algier gelebt, dort die französische Sprache erlernt und viel Verkehr mit den Franzosen gehabt, trotzalledem hielt er die untergeordnete Stellung der Frau bei den Arabern für vollkommen gerechtfertigt. „Ich kann meine Frau tödten, wie eine Fliege,“ sagte er, „denn sie ist mein Eigenthum.“

„Und weshalb ist sie Dein Eigenthum?“

„Ich habe sie gekauft. Wir kaufen unsere Frauen von ihren Eltern. Man zahlt fünfhundert, eintausend, zweitausend, auch dreitausend Franken, wenn ein Mädchen jung, schön und arbeitsam ist. Du weißt, die Frau erwirbt bei uns für den Mann, während die Männer wenig oder gar nicht arbeiten.“

„Bei uns im Norden ist es umgekehrt,“ sagte ich lachend, „da kosten die Mädchen aus vornehmen Häusern, wenn man sich mit ihnen verheirathet, viel Geld, und der Mann muß Alles erwerben, was die Frau braucht. Deshalb lassen wir uns eine Mitgift geben.“

Unsere Unterhaltung wurde durch die Meldung unterbrochen, daß das Mittagessen aufgetragen sei. Es war ganz in arabischer Weise bereitet. Ich verzehrte es, auf dem Divan sitzend, auf einem europäischen Tische, der übrigens das einzige Möbel im Hause des Scheik war, welches mich an Europa erinnerte. Der Spahi bediente mich, der Scheik saß neben mir, sich durch Hamond oder durch den Spahi mit mir unterhaltend, ohne am Mittagessen Theil zu nehmen. Währenddem lagerten sich die Brüder und Vettern des Scheik mit gekreuzten Beinen auf den Palmenmatten; dazwischen stellte man Schüsseln. Sie aßen sämmtlich mit den Fingern, ohne Gabeln, Messer oder Löffel zu gebrauchen. Für mich waren kleine Holzlöffelchen herbeigeschafft worden. Zuerst erschien ein Fricassee von Lammfleisch, zu dem Kuchen aus Gerstenmehl gegeben wurden. Dann kam das bekannte arabische Gericht Kuskus, aus grobgemahlenem Weizenmehl bestehend. Der Kuskus war mit Butter und mit Lammfleisch gekocht. Der Scheik nahm die besten Stücke Lammfleisch aus der Schüssel und steckte sie mir mit der Hand in den Mund. Auf den Kuskus folgten Fleischklöße, dann Huhn und hierauf Hammelfleisch. Das Dessert bestand aus Granaten, Datteln und Feigen. Alle Speisen waren außerordentlich stark gewürzt, aber recht gut und schmackhaft zubereitet. Nach Tisch wurde Kaffee in kleinen Porcellanschalen gereicht.

Nachdem wir gespeist hatten, forderte der Scheik mich auf, mit ihm einen Spaziergang durch das Städtchen zu machen. Ich wollte noch an demselben Abend nach der Oase Tolga weiter, um den dortigen Marabut Sidi Ali ben Amor zu besuchen und bei ihm die Nacht zuzubringen, und befahl deshalb den Spahis, mich mit den Pferden am Ausgang des Städtchens auf dem Wege nach Tolga zu erwarten. Dann begann ich meinen Spaziergang mit dem Scheik, von Hamond und den Brüdern des Erstern begleitet. Die Anwesenheit der Fremden war unterdessen auf der Oase bekannt geworden. Hunderte von Neugierigen standen auf der Straße und begleiteten uns auf unserm Spaziergange. Das Städtchen hatte überall denselben Charakter, wie in den Straßen, welche ich durchritten hatte, um nach dem Hause des Scheik zu kommen. Die hohen Palmenkronen blickten allenthalben über die Mauern und Häuserterrassen in die Straßen. Die Datteln von Lischana gehören zu den besten Datteln, welche die Wüste Sahara hervorbringt. Vor der Pforte der Moschee ließ ich dem Scheik und unserem zahlreichen Gefolge, welches auf Hunderte von Personen angewachsen war, durch Hamond erklären, daß wir in Europa beim Betreten einer Kirche unsere Ehrfurcht durch Abnehmen des Hutes zu bezeigen gewohnt seien und ich deshalb auch heute den Sitten meines Landes folgen werde, um mir das Ausziehen der Stiefeln zu ersparen. Freundlich wurde von Allen eingewilligt, und während Alle die Schuhe auszogen, betrat ich mit dem Hute in der Hand den Tempel Mahomet’s. Als wir eingetreten waren, knieten alle Araber nieder, verbeugten sich dreimal gegen die Kaaba in der Richtung nach Mekka und berührten dreimal mit dem Haupte den Boden. Die Moschee war düster und bestand aus sechs Schiffen. Mehrere Säulencapitäle waren aus Römersteinen gebildet.

Der Scheik von Lischana begleitete mich mit seinen Brüdern und Hamond bis zur Grenzmark seines Ortes, nachdem er mich vorher nach den Ruinen der Oase Saatscha geführt hatte, welche bekanntlich im Jahre 1849 von den Franzosen nach einer wahrhaft heldenmüthigen Vertheidigung während dreiundfünfzig Tagen im Sturm mit ungeheueren Opfern genommen wurde. Er war ein verständiger, kluger und durchaus nicht franzosenfreundlich gesinnter Mann und sprach mit Stolz von der ruhmvollen Vertheidigung Saatscha’s, an der fast alle Bewohner Lischana’s Theil genommen hätten. Bei den ersten Palmen der Oase Farfar erwarteten mich die Spahis mit den Pferden. Der Scheik bat mich,

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