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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

der Februarrevolution schrieb, die selbst ihre Gegner anzuerkennen nicht umhin konnten, wiesen der Schriftstellerin einen bestimmteren Platz an, als sie bis dahin eingenommen, und die demokratischen Grundsätze, zu welchen sie sich in dem Werke, deren erster Band 1850 erschien, bekannte, hoben, indem sie ihm die natürliche Richtung klar vorzeichneten, ihren politischen Einfluß. Der Salon der Gräfin erhielt einen vorherrschend politischen Charakter von ausgesprochener Färbung.

Selbst zum Widerstreben nach den verschiedensten Richtungen hin berufen, geneigt und veranlaßt; selbst in steter Auflehnung gegen überkommene Traditionen, gegen gesellschaftliche und religiöse Satzungen, gegen Vorschriften des Herkommens, fühlte sich die Gräfin besonders von Persönlichkeiten angezogen, welche durch ihr Widerstreben gegen befestigte Uebelstände sich hervorthaten. Unter den Emigrationen aller Länder, wie sie sich in Paris zusammenfinden, zählt sie Freunde. Bei meiner Ankunft in der französischen Hauptstadt fand ich im Salon der Gräfin eine Gesellschaft, welche größtentheils aus Magyaren bestand. Ladislaus Teleki, welcher nachmals von der sächsischen Regierung an Oesterreich ausgeliefert wurde und durch einen politischen Selbstmord tragisch endete, war der geistig Hervorragendste unter ihnen; er führte das große Wort. Die Gräfin interessirte sich sehr lebhaft für den Heldenmuth und nach dem Schiffbruch von Vilagos für das Unglück der Ungarn. Der Staatsstreich, indem er den Nerv des geistigen Lebens in Frankreich mit dem Schwerte zerhieb, machte den Herrlichkeiten der Salons ein Ende. Noch weniger als Napoleon der Erste konnte Napoleon der Dritte den eingeführten Austausch von Gedanken, selbst in dem engeren Umkreis des geselligen Verkehrs, dulden. Napoleon der Erste verjagte die Staël aus Frankreich, um den Versammlungen, welche in ihren Salons gehalten wurden, die Seele zu rauben und sie aufzuheben; Napoleon der Dritte ließ den Salon der Fürstin Lieven schließen, und diese Maßregel, verbunden mit dem Recht, das er sich zuerkannte, ohne jede gerichtliche Begründung der öffentlichen Sicherheit wegen zu deportiren, und mit dem zur höchsten Ausbildung gediehenen Spionirsystem, lähmte zur Genüge die Unterhaltung zwischen mehr als zwei Personen. Unter den Leichen des 2. December befanden sich übrigens viele sogenannte „Ueberzeugungen“.

Nach diesem Tag des Schreckens und der Trübsal wurde von den Franzosen das Bedürfniß kaum empfunden, sich gegen die Gewaltsamkeit auch nur mit dem Wort zu erheben. Man schwieg und spielte an der Börse. Die Gräfin d’Agoult blieb selbst nicht frei von der moralischen Erschütterung, die der Staatsstreich hervorgebracht. Sie fiel von ihrem Glauben nicht ab, sie bat jedoch ihren Glauben, sich ein wenig den Verhältnissen anzupassen. Sie ließ ihn die alten Gewänder ablegen und ihn nach der neuen ein wenig imperialistischen Mode ankleiden, in der Ueberzeugung, daß diese Umgestaltung vortheilhafter nicht allein für sie, sondern auch für ihren Glauben selbst sei. Sie schwärmte von nun an, sprach und schrieb für die nationale Befreiung der Völker, ganz wie Herr Guéroult in der „Opinion nationale“, und in ihrem Salon war man türkisch gegen Rußland, italienisch gegen Oesterreich, dann polnisch wieder gegen Rußland und so weiter. Für die italienische Sache zeigten sich die Gräfin und ihre Umgebung am lebhaftesten eingenommen. Sie kannte den Grafen Cavour und noch andere von den mehr oder weniger maßgebenden Patrioten jenseits der Alpen. Sie war viel in Italien gereist, sie kennt und liebt das tausendfach begünstigte Land. Sie erzählt sehr Interessantes über ihre Beziehungen zu angesehenen Italienern in der Vorrede zu ihrem vor einiger Zeit unter dem Titel „Turin und Florenz“ erschienenen Buche.

Jetzt sind die drei Hauptfiguren ihres Salons: Der Prinz Napoleon, Emil von Girardin und ihr Schwiegersohn Emil Ollivier. Die Gräfin war es, welche Herrn Ollivier mit dem Prinzen Napoleon zusammengebracht. Ob und wie viel sie Theil hat an der Schwenkung, die der bekannte Deputirte Ollivier dem Bonapartismus entgegengemacht, bin ich außer Stande anzugeben. Auch weiß ich nicht, ob es mit der viel verbreiteten Annahme seine Richtigkeit hat, daß in dem Salon der Gräfin d’Agoult ein Ministerportefeuille zur Welt kommen werde.




Die rheinischen Hurdy Gurdys in Amerika.
Noch ein Capitel vom deutschen Menschenhandel.

In Nr. 48 des Jahrgangs 1864 der Gartenlaube steht eine Erklärung der herzoglich nassauischen Polizeidirection, als Antwort auf einen in früheren Nummern der Gartenlaube unter dem Titel: „Deutscher Menschenhandel der Neuzeit“ abgedruckten Artikel.

Ohne auf den Inhalt dieser polizeilichen Erklärung näher einzugehen, erlaubt sich Unterzeichneter, der Redaction der auch in diesem entlegenen Erdenwinkel vielfach gelesenen Gartenlaube ebenfalls eine kleine Erklärung über bestehende sociale Verhältnisse, und zwar aus dem nordamerikanischen Unionsstaate Oregon, zur Benutzung zuzusenden. Die darin angeführten unwiderleglichen Thatsachen werden der Polizeidirection des Herzogthnms Nassau den Standpunkt eines Theils ihrer Landeskinder im Auslande hoffentlich sonnenklar machen – nicht nur, wie er „in einer seit Decennien hinter uns liegenden Vergangenheit gewesen“, sondern noch heutzutage, anno Domini 1865, factisch ist.

Um nun zunächst diese Facta etwas näher zu beleuchten, so muß ich wohl vor Allem erklären, was der Name Hurdy Gurdys eigentlich bedeutet. Jahr aus Jahr ein möchte ich dies Wort über den halben Erdball hinüberrufen, damit Deutschland zur vollen Erkenntniß dieses argen Brandmals am deutschen Namen gelange und die Stimme des Volkes wach werde, um die Missethäter, wer sie auch immer sein mögen, zur Verantwortung zu zwingen; denn nur so kann diesem Schandfleck am deutschen Namen gründlich abgeholfen werden. Ich will es Euch, deutsche Mütter, Euch, Töchter des großen, gebildeten Deutschlands, ganz leise in’s Ohr raunen – wenn auch die Scham ob der Entehrung des deutschen Namens Euch beim Anhören des ungern Gesagten die Wangen blutroth färbt, – ganz leise, damit die hochlöbliche Polizei es ja nicht höre und mir stracks verbiete, den Mund weiter zu öffnen und mehr davon zu reden: Hurdy Gurdys ist der verächtliche Name für deutsche Tanzmädchen in den zahlreichen Minenstädten von Californien, Nevada, Oregon, Idaho, Washington und British Columbia, die wie Waare von grundsatzlosen Menschenhändlern an den Meistbietenden verdingt werden, um den „biederen Goldgräbern“ das Herz und den Geldbeutel leichter zu machen; die jegliches Schamgefühl verlernt zu haben scheinen und doch mit der Tugend kokettiren und die Hauptursache der in besagten Minenstädten fast tagtäglich vorfallenden blutigen Schlägereien, Stech- und Schießaffairen sind, welche nicht selten Mord und Todtschlag im Gefolge haben, – deutsche Tanzmädchen „aus Nassau from the Rhine“, wie ich’s mit eigenen Augen, ohne Brille, in den hiesigen Hôtelregistern in eleganter Originalhandschrift mehrfach gelesen habe. Was sagen die Herren von der Nassauer Polizei dazu? Ist auch das unwahr?

Wenn nun allerdings das Herzogthum Nassau auch den Löwenantheil an der Ausfuhr von Hurdy Gurdys besitzt, so muß ich zur Beruhigung der dortigen Polizeibehörde doch noch erwähnen und der Wahrheit die Ehre geben, daß Darmstadt namentlich in letzten Jahren gleichfalls manche schmucke Hurdys geliefert hat – daß eine Darmstädter Hurdy-Gurdy-Gesellschaft z. B. gegenwärtig in Dalles in Oregon Gastrollen giebt – und der ganze an den Mittelrhein grenzende deutsche Kleinstaatencomplex mehr oder weniger Hurdy-Gurdy-Delegaten nach Amerika sendet. Weder der Ober- noch Unterrhein, weder Süd- noch Norddeutschland liefern Hurdy Gurdys, alle kommen diese vom Mittelrhein, dem gesegnetsten Theile, dem Paradiese Deutschlands.

Das Hauptquartier und Centraldepot sämmtlicher Hurdy Gurdys ist in St. Francisco, wohin gelegentlich durch gewissenlose Menschenhändler neue Recruten, direct „from the Rhine“ importirt weiden. Den jungen, lebenslustigen Dirnen am alten Vater Rhein werden von diesen Seelenverkäufern höchst verführerische Bilder von dem freien und ungebundenen Leben und den leicht zu erwerbenden Schätzen in den herrlichen Goldlanden am stillen Meer

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 311. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_311.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)