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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

No. 20.   1865.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. 0Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.




Der Erbstreit.
Von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)

Markholm fand, als Max nach kurzer Zeit von seiner Begleitung der jungen Dame zurückkehrte, diesen eigenthümlich einsylbig. Er war offenbar verstimmt. Der Onkel beobachtete dies Wesen anfangs nicht, über Tisch aber, wo Max gewöhnlich sehr gesprächig war, fiel es ihm auf.

„Sollte er wirklich ein wenig eifersüchtig sein?“ fragte er sich – es war ein Gedanke, der dem älteren Manne mit einem Zusatz von diabolischer Freude kam.

„Du bist so nachdenklich, Max,“ sagte er endlich: „habt Ihr Euch etwa gezankt?“

„Gezankt? Wer?“

„Nun, Du und Elisabeth!“

„O, nicht im Mindesten.“

„Ich möchte wissen,“ fuhr der Onkel nach einer Weile fort, „wo dieses Mädchen den großen Schatz von Bildung erworben hat, den sie offenbar besitzt … hier auf dem Lande,“ setzte er mit etwas spöttischem Ton hinzu, „in den engen Verhältnissen einer mit Kindern gesegneten Pfarrerfamilie … es ist merkwürdig!“

„Ja,“ versetzte Max mit einem eigenthümlichen Blick auf den Onkel, „… es ist merkwürdig!“

Es lag fast etwas Wegwerfendes in dem Tone, mit welchem Max das sagte.

„Du scheinst nicht sehr davon überzeugt zu sein.“

„O doch, o doch,“ entgegnete Max kühl.

Eine lange Pause trat ein, während deren Markholm seinen Neffen wieder von der Seite beobachtete.

„Sag mal, Onkel,“ fragte Max plötzlich sehr lebhaft – „wo hast Du sie eigentlich kennen gelernt?“

„Nun, das hab ich Dir ja gesagt – neulich, als ich im Wäldchen einen Morgenspaziergang machte.“

„Und stellte sie sich Dir da gleich als Elisabeth Kramer vor?“

„Ob sie sich mir so vorstellte – ich denke nicht, ich errieth jedoch bald, wer es sei, der da Deine Jagdgründe durchkreuze –“

„So!“ sagte der Neffe tonlos.

„Weshalb fragst Du?“

„O, ich meine nur!“

Der Neffe blieb bei seinem einsylbigen gedrückten Wesen, bis er endlich, nachdem das Mahl vorüber, seine Mütze nahm, um sich ein Obstdessert von den Bäumen im Garten zu pflücken, während Markholm seine gewöhnliche Siesta hielt.

In dem Augenblicke, wo er den Salon verlassen wollte und bereits den Drücker der Thür in der Hand hielt, sagte er, sich zum Onkel wendend und in einem Tone der Scherzhaftigkeit, welcher etwas auffallend Gezwungenes hatte:

„Hör’, Onkel, verlieb’ Dich nur nicht in Deine neue Bekannte.“

Hatte Max die Absicht, den Onkel zu erschrecken, so war sie ihm vollständig gelungen. Markholm warf einen ganz merkwürdigen Blick des äußersten Betroffenseins auf seinen Neffen, als er erwiderte: „Was sagst Du? Ich … mich verlieben …?“

„Nun ja … ich meine nur … es wäre ein sehr großes Unglück, wenn Du es thätest … Du hast,“ setzte Max mit heiterem Ton hinzu, „mir neulich so liebenswürdig einen Theil der Sorge für Deine Erziehung anvertraut, daß Du Dich nicht wundern mußt, wenn ich heute den Mentor spiele und Dir sage: Telemach, ich warne Dich!“

Bei den letzten Worten lachte Max wieder gezwungen auf, und dann überschritt er die Schwelle und war verschwunden.

Markholm stand wie eine Bildsäule, als er ihm schweigend nachblickte.

Erst lange, lange nachher bekam die Bildsäule Bewegung. Markholm schritt langsam in sein Cabinet, legte sich auf die Chaise longue, auf der er zu ruhen pflegte, und sagte mit einem tiefen Seufzer:

„Es ist offenbar, daß sie ihm erzählt hat, wie ich ihr den Hof gemacht; daß sie sich über mich moquirt, gespottet haben … und daß dieser vorwitzige Bursche doch für zweckmäßig gefunden, mir eine Verwarnung zu ertheilen! Wie tückisch schweigsam er vorher war! Der Kampf zwischen dem Neffen und dem thörichten Manne beginnt!“

„Aber er soll nicht beginnen,“ sagte er sich dann. „Gut, daß er sprach! es ist eine abermalige Mahnung und dies Mal soll sie nicht ungehört bleiben. Er hat Recht. Der Traum muß abgethan, die Chimäre aus dem Herzen gerissen werden. Was wäre im besten Falle aus der Sache geworden … ein unglückliches Verhältniß und eine schlechte Handlung von mir. Ich hätte meinen Neffen um seine Neigung, um sein Glück betrogen. Ich hätte mich für das, was ich an ihm gethan, bezahlt gemacht wie ein Wucherer. Was habe ich in meinem Leben Gutes zu thun Gelegenheit gehabt? Nichts … gar nichts. Ich habe meinen Liebhabereien, meinen Studien gelebt, ich bin ein geistiger Gourmand gewesen, wie sie mir vorwarf, und habe Bücher geschrieben! Habe ich mit diesen Büchern Gutes gestiftet? Ich zweifle daran!

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 305. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_305.jpg&oldid=- (Version vom 27.11.2022)