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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

hat er wieder eine Muskelstärke, die wahrhaft unglaublich ist. Erst neulich, ich hab’s zwar nicht gesehen, aber es ist mir erzählt worden, da soll er einem herumziehenden Hercules, der sich hier für Geld sehen ließ, die schwersten Stücke nachgemacht haben, so daß Der endlich ausgelacht worden und auf und davon gegangen wäre. Ja, es steckt Alles in dem Otto, er ist an Güte und Sanftmuth ein Kind und an Leib und Seele ein Löwe. Aber jetzt geht’s an. –“

Der jugendliche Director pocht, die Probe, und zwar die Hauptprobe, die letzte vor der Aufführung, beginnt. Wir staunen über das Zusammenspiel eines derartig zusammengesetzten Orchesters. Da ist Tact und Zug und Seele! Wahrlich, so Etwas ist nur in Thüringen möglich, wo den Kindern die Musik schon in der Wiege in Ohr und Herz dringt. Keine fürstliche Capelle kann mehr Eifer entfalten, als diese Männer, die hier der reinen Liebe zur Kunst und zu „ihrem Otto“ die mancherlei Beschwerden und die viele Zeit zum Opfer bringen, welche die Einübung einer ganzen großen Oper erfordert. Noch mehr finden wir Ursache, den jungen Director selbst zu bewundern. Er ist nicht nur Dichter und Componist des Stücks und Musikdirector dazu, er ist zugleich Regisseur des Schauspiels; er übt nicht nur jedes einzelne Instrument, er übt jeden einzelnen Gesang, jede einzelne Stimme der Chöre, er studirt jede einzelne Rolle ein, sieht auf gute Deklamation, auf richtiges Spiel, auf die Gruppirung und Scenerie, kurz, er ist der leitende und ordnende Geist des Ganzen, mit Aug’ und Ohr, Mund und Hand überall, wo noch Nachhülfe nöthig erscheint. Die Ouverture ist gelungen, das Stück geht vortrefflich. Manches läßt er sich zur eigenen Freude wiederholen. „Franklin, noch einmal das ‚Treu sei, treu, Tirolerherz!‘“ Und selig lauscht er dem prächtigen Tenor, den er mit heranbilden half und der noch heute die Freude aller Sänger in und um Eisfeld ist. So geht die Probe zu Aller Zufriedenheit zu Ende.

Otto Ludwig.

Unvergeßlich sind Allen diese Stunden und vergessen sind nur die oft so bösen Heimwege im Winter, nach Mitternacht und für Manchen stundenweit in die Thalschluchten und auf die Berge, von denen sie gern und freudig wiederkehrten, wenn ihnen „ihr Otto“ heute noch winken könnte. –

„Unser Otto!“ – so nannte ihn, früher aus Theilnahme für den Strebenden, später aus Stolz auf den Gefeierten, seine ganze Vaterstadt, und ebenso nannte er sich in treuer Anhänglichkeit und Dankbarkeit dafür als Dichter stets Otto Ludwig aus Eisfeld.

Welche Schulen, welche Akademien haben den jungen Mann so bedeutend gefördert, das Talent zu solcher Ausbildung erhoben, daß er den großen Aufgaben, die er sich offenbar gestellt, gewachsen war?

Diese Frage lassen wir erst einmal den Dichter selbst in seiner originellen Weise kurz und bündig beantworten. Im Jahre 1851 eben mit der Redaction von J. Meyer’s großem Conversationslexikon im Buchstaben L beschäftigt, ersuchte ich Otto Ludwig, dessen erste lyrische Gedichte in meinem „Weihnachtsbaum“ abgedruckt worden waren, um Mittheilung einer Skizze über sein Leben.

Er schrieb mir: „Im Jahre 1813 bin ich geboren im Städtchen Eisfeld. Ein kränkliches und verwöhntes Kind, was ich heute noch bin, sog ich mit der Milch der Mutter zugleich ihre Liebe und Begeisterung für Poesie. Etwas später als alle andern Kinder lernte ich den Bröder, aber mit dem Bröder zugleich den Shakespeare kennen: den Bröder hab ich bald bei Seite gelegt, den Shakespeare nicht. Mein ausgezeichneter, allgemein geliebter Lehrer war ein talentvoller Musiker; er weckte meinen Sinn für Musik. Im Jahre 1828, nach dem frühen Tode meines Vaters, bezog ich das Gymnasium zu Hildburghausen, wo ich viel mehr dichtete und viel weniger trachtete (nach dem Reich der Wissenschaft nämlich), als man gut heißen wollte. Auf den stummen, für mich desto lauteren Wunsch meiner Mutter, die nun meines Onkels Wirthschaft führte, kehrte ich 1820 nach Hause zurück und versah meines Onkels Kramladen. Meine Mutter stirbt indessen bald. Die drückende Prosa meines Lebens balancir’ ich nun mit Musik, indem ich Nächte hindurch, im Winter im ungeheizten Zimmer, aufsitze und Opern componiren will, ohne mehr als die ersten Elemente der Musik zu wissen, nachdem ich etwa vier oder fünf Opern, und zwar als Kind, gehört. Hier leg’ ich den Grund zu der später ausbrechenden Nervenkrankheit. Mit meinem Onkel zerfallen, einem originellen Hypochondristen (meinem Lehrer in wunderlichen Sprüngen der Einbildungskraft und den Elementen der Hypochondrie), den ich später leidenschaftlich lieben lernte, geh’ ich 1832 nach Saalfeld auf das Lyceum. Hier körperliche Schmerzen und geistige Erschöpfung bis zum Lebensüberdruß steigernd. Ich verliere den Glauben an meine Begabung für Poesie, ohne Lust zu gewinnen zu anderer Beschäftigung. Ich kann die deprimirenden Verhältnisse nicht ertragen und will mich der Musik in die Arme werfen. Ich kehre zu meinem Onkel zurück, componire, verkaufe Schwefelfaden und habe den ersten Anfall der früher vorbereiteten Nervenkrankheit auszuhalten. In

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 293. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_293.jpg&oldid=- (Version vom 13.5.2022)