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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

„Ich möchte Ihnen meine Bibliothek zeigen,“ sagte er – „hier rechts!“

Sie folgte ihm in sein Studirzimmer. Er schritt auf den dahinter liegenden Raum zu. Aber Elisabeth, schien es, wollte erst das Studirzimmer mit Muße betrachten; dann warf sie einen neugierigen Blick auf den Schreibtisch und auf das Manuscript, an welchem Markholm arbeitete.

„So schreiben Sie … immer so fließend und ohne Correcturen?“

„Die Correcturen kommen später, wenn der erste Entwurf niedergeschrieben ist; aber ich sehe Sie mit einiger Unruhe hier verweilen, Fräulein; gewiß anatomisiren Sie wieder!“

„Und wie so?“

„Wenn Sie schon zwischen den Zeilen eines Buches den Charakter eines Autors lesen, wie sehr werden Sie solche Forschungen anstellen, wenn Sie die Umgebung eines Menschen, die Art, wie er sich eingerichtet hat, und endlich gar seine Handschrift sehen!“

„Sie thun mir Unrecht,“ sagte sie lächelnd, „mir sind in diesem Augenblick solche verrätherische Gedanken ganz fremd … aber da Sie mich darauf bringen, sage ich Ihnen, daß ich aus Ihrer Art, sich einzurichten, schließe, Sie sind ein milder, nachgiebiger und durchaus kein revolutionärer Geist.“

„Das mag sein!“

„Auch kein Egoist!“

„Ich danke Ihnen, woraus sehen Sie es?“

„Aus der Art, wie Sie hier sich in Allem nach dem gerichtet haben, was Sie fanden; dem altfränkischen Stil ihres Hauses haben Sie die Einrichtung angepaßt, dunkel, einfach, die Möbel alt oder alterthümlich geformt, solide. Sie haben nirgendwo modernen Plunder, Nipptischzierlichkeiten und Kriemskram, geschnitzelte Rähmchen um werthlose Bildchen, Läubchen und Draperiechen angebracht, Sie haben Ihren Geschmack dem Geschmack des Hauses, das Sie fanden, untergeordnet und sich eingerichtet wie ein Mann, nicht wie ein Junggeselle … das gefällt mir.“

„Und richten sich die Junggesellen nicht wie Männer ein?“

„Wenn sie in ein gewisses Alter kommen – nein. Ihre Einrichtungen bekommen dann etwas Altjüngferliches – sie beginnen den Mangel des weiblichen Elements zu empfinden und stellen dann Dinge um sich her auf, in denen sich weibliches Element spiegelt – sie wollen es dann wenigstens reflectirt um sich haben, da sie es doch einmal nicht entbehren können.“

„In der That,“ rief Markholm aus, indem er Elisabeth mit einem unverhohlenen Erstaunen ansah, „Sie scheinen über Alles nachgedacht, Alles ergründet zu haben!“

„Ach,“ sagte sie, sich abwendend und jetzt ihre Schritte der Bibliothek zulenkend, „wenn man allein ist, auf dem Lande, so kommen die Gedanken von selbst. Aber jetzt lassen Sie mich in Ihre Büchersammluug sehen … da Sie so darauf bestehen, mich in diesen Hinterhalt zu locken!“

„Hinterhalt? weßhalb?“

„Weil Sie denken, ich würde mich da in voller Glorie als Gelehrte zeigen wollen, damit Sie wieder spotten können!“

„Spotten … als ob ich das je gewollt hätte … wahrhaftig, Fräulein, Sie thun mir Unrecht … und spottet man denn einer Freundin – haben Sie den Bund vergessen, den wir geschlossen?“

„O, von einem Bunde weiß ich nichts!“

„Wie – eine Freundschaft wäre kein Bund? Kann es einen ernsteren geben … ich wenigstens betrachte ihn als einen sehr ernsten; und Sie wollen einräumen, daß Sie mir nur die Freundschaft vorgespiegelt haben, um mich zum Sprechen zu bewegen und dann das Handschlaggelübde treulos zu brechen?“

„Wie rasch Sie fahren! Freundschaft, Gelübde, treulos …“

„Hab’ ich nicht Recht?“

Sie schwieg – trat an eines der Bücherrepositorien und nahm ein Buch heraus.

„Wollen Sie mir das leihen?“ sagte sie.

„Wollen Sie Ihrem Gelübde treu bleiben? sonst nicht!“

Sie nahm das Buch, ging rasch auf ihn zu, streckte ihm die Hand entgegen und sagte:

„Adieu … ich muß gehen – es wird die höchste Zeit!“

Gab sie ihm die Hand auf seine Frage, oder die Hand zum Abschiede? Markholm hatte nicht den Muth zu fragen, sie schritt so rasch davon; er begleitete sie, durch das Haus, über den Hof – an der Hofthür wies sie seine Begleitung zurück; er sah, wie sie den Weg zu dem zehn Minuten entfernten Dorfe einschlug, zu der neben demselben auf einem Hügel zwischen Obstgärten liegenden freundlichen Pfarrwohnung. – Als Markholm am Abend wie gewöhnlich am Kaminfeuer saß und der am Tage immer so unstete Neffe ihm dabei Gesellschaft leistete, fand Max den Onkel auffallend schweigsam. Er erkundigte sich nicht nach seinen Jagdabenteuern, er hörte nicht zu, wenn Max von seinen bevorstehenden Examenarbeiten sprach, und am Allerwenigsten schien ihm ein angenehmer Gegenstand der Unterhaltung mit Max das Pfarrhaus zu sein, von dem der Neffe nach einer Weile zu reden anfing.

„Es ist doch eigentlich gut, daß Deine Ferien sich ihrem Ende nahen,“ begann er plötzlich wie mit einem Anflug übler Laune; „Du treibst mir das Verhältniß zu weit, es wird zu ernst … was soll daraus werden!“

Max sah ihn sehr erstaunt an. Bisher hatte der Onkel nichts geäußert, was darauf hindeutete, daß er sich einer ernsten Verbindung zwischen seinem Neffen und der Tochter des Pfarrers, von der Max nach der ersten Bekanntschaft ihm vorgeschwärmt hatte, widersetzen würde. Es konnte, was er jetzt sagte, unmöglich etwas Anderes sein, als ein Ausbruch übler Laune… Max hielt es deshalb für räthlich, zu schweigen und nicht energischen Widerspruch hervorzulocken. Er sagte nach einer stummen Pause nur: „Mein Verkehr im Pfarrhause läßt mich doch Allerlei erfahren, was auch Dich interessiren wird … so hat mir Elisabeth heute etwas erzählt, was merkwürdig genug ist … von den Morgenfelds drüben!“

„Sie hat Dir von Morgenfelds erzählt? Und was?“

„Es ist eine Tochter da auf Haus Markholm, wie Du weißt, ein junges Mädchen, älter als Elisabeth, aber sehr befreundet mit ihr – sie sehen sich sehr oft, und von der weiß sie es. Während des Processes, als Morgenfelds noch in der Stadt wohnten, hat der alte Herr seinen Sohn, den Rittmeister, auf das Gut gesendet mit dem Auftrag, die Urkunde zu holen – aber der Rittmeister ist zurückgekehrt mit der Versicherung, sie nicht gefunden zu haben. Da ist der alte Morgenfeld selbst hingereist; er soll in dem guten Glauben gestanden haben, die Urkunde spreche ihm die Nachfolge in den Gütern zu, und deshalb sehr darauf erpicht gewesen sein, sie zu erhalten. Aber trotz seiner Versicherung, sie müsse da sein, sein Schwiegervater habe sie ihm in früheren Jahren selbst gezeigt, er wisse bestimmt, in welchem Carton im Archiv sie liege – trotzdem ist auch er zurückgekommen, wie er gegangen. Nun ist in dem alten Herrn der Verdacht aufgestiegen, die Urkunde müsse in der That zu Deinen Gunsten sprechen, und um sein Erbrecht auf die Güter nicht zu verlieren, habe sein Sohn, der Rittmeister, sie beseitigt. Darüber ist es zwischen Beiden zu heftigen Scenen gekommen und der Rittmeister hat seinem Vater die Beschuldigung zurückgegeben und ihm gesagt, ebenso gut könne er selber bei früheren Anwesenheiten in Markholm die Urkunde unterschlagen haben …“

„Schönes Verhältniß zwischen Vater und Sohn!“ rief Markholm aus, „Einer nennt den Andern Spitzbube – und es ist nur fraglich, wer von Beiden Recht hat.“

„Schwerlich der Alte,“ fuhr Max fort, „denn der Rittmeister ist so empört gewesen, daß er bis jetzt seine Eltern nicht wieder gesehen hat; und vor einigen Wochen hat er an den Vater geschrieben, er wolle mit den Markholm’schen Gütern nichts zu schaffen haben, er verzichte darauf feierlich für immer!“

„Ein Edelmuth, der sich wohl daraus erklärt, daß er sich mit einer Banquierstochter verlobt hat, die ihm unsere Güter überflüssig macht!“

„Wahrscheinlich!“ sagte Max. „Aber die Freundin Elisabeth’s ist nun die Erbin der Güter – ein Umstand, der sie jedoch über das Zerwürfnis zwischen ihrem Vater und ihrem Bruder nicht tröstet … sie soll darüber außer sich sein!“

„Das eben ist der Fluch der bösen That!“ sagte Markholm achselzuckend. „Und das Alles hat das Fräulein von Morgenfeld Deiner Elisabeth so offen anvertraut und diese Dir wieder?“

„Heute!“ versetzte Max.

„Seltsam!“ sagte Markholm ironisch, in des Neffen Zügen spähend.

Das Gespräch stockte. Markholm schien heute nicht zum Sprechen aufgelegt und Max nahm ein Buch, um die Zeit bis zum

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 290. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_290.jpg&oldid=- (Version vom 25.11.2022)