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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Brentan hat geweint und hat mir erzählt, die kaiserlichen Werber hätten Dich überfallen wollen, Du seist ihnen aber davon und in den Lech gesprungen und nicht mehr heraus gekommen; … es hätt’ Dich entweder eine Kugel getroffen oder Du seist ertrunken …“

„Und hast Du nichts davon gehört, wer mir zur Flucht geholfen?“

„Das will ich meinen … ein Bauernmädel aus dem Dorfe ist’s gewesen …“

„Und hast Du nichts von ihr gehört? Haben die Verfolger sie erreicht?“

„Das wohl,“ sagte der Bube eifrig, denn er erklärte sich Hiesel’s sichtbare Theilnahme aus dessen Besorgniß, daß ihr Uebles widerfahren sein könnte, „ist ihr aber nichts geschehen, brauchst keine Sorg’ zu haben wegen der! Die Husaren haben sie wohl mit hinein in’s Dorf, und da hat ihr Vater sie erst fortjagen wollen; wie’s aber geheißen hat, es sei so viel als gewiß, daß Du doch zu Grund gegangen seist, hat er sich wieder anders besonnen und hat sie blos eingesperrt. Sie hat sich auch drein ’geben und in ein paar Wochen macht sie Hochzeit …“

„Das ist nit wahr …“ rief Hiesel erblassend; „Hochzeit? Und mit wem?“

„Wohl ist es wahr,“ betheuerte der Bub, „wirst es wohl noch erfahren: der Anderl lügt Dich niemals an! Ich hab’s bei’m Brentan gehört. Der Vater hat sie heimkommen lassen, weil er haben wollt’, daß sie den Hof übernimmt und heirath’ … zuerst hat sie nit gewollt und hat dawider geredt, dann aber hat sie doch Ja gesagt …“

„Also halten sie mich in Kissing für todt?“ sagte Hiesel. „Warum bist Du dann nicht dort geblieben und hast doch den weiten Weg gemacht bis zu mir?“

„Weil ich’s nit geglaubt hab’,“ erwiderte der Bube schlau, „weil ich mir gedacht hab’, Du könntest Dich wohl versteckt halten, und wollt’ mich selber überzeugen, ob es wahr, daß ich mich bei Dir sollt’ nimmer bedanken können …“

„Er hat’s nit geglaubt!“ murmelte Hiesel schmerzlich. „Und er hat mich nur einen Augenblick gesehen! Sie hält mich für todt und fragt nit viel nach … sie ist bald getröst’ und macht ein paar Tag’ darnach Hochzeit! … Aber es kann doch nit sein, Anderl, Du mußt Dich verhört haben! Vielleicht hat der Bauer zwei Töchter … vielleicht war von einer andern die Red’ …“

„Nein, nein … ich bin am Sonntag in der Kirch’ gewesen und hab’s selber gehört, wie der Pfarrer die Monika Baumüllerin verkündet hat … Heißt sie nit so?“

Hiesel erwiderte nichts mehr. Gelassen stand er auf und trat mitten unter die Versammelten. „Hört mich an,“ rief er mit mächtiger Stimme, „wollt Ihr Alle treulich das thun, was ich verlange? Wollt Ihr nur eine Schaar Wildschützen sein, die’s blos mit dem Wild und den Jägern zu thun haben, nichts rauben und nichts stehlen und sonst keinem Menschen was zu Leid thun? Wollt Ihr mir gehorchen in Allem, was ich sag’, auf’s Wort und ohne Widerred’?“

„Ja,“ riefen Mehrere, „und wer Dir nit folgt, den darfst Du niederschießen und darf kein Hahn darnach krähn!“

„Wollt Ihr, daß Alles, was wir erjagen, uns miteinander gehört und Jeder seinen gleichen Theil bekommt? Wir führen gemeinsame Wirthschaft und hausen aus Einem Säckel, der in meinen Händen bleibt … wir führen Krieg gegen Jäger, Schergen und Amtleute und wollen treu zusammenhalten und, so lang wir leben, niemals von einander gehen! Ist’s Euch so recht, so schwört mir’s zu, denn wir, die die ehrlichen Leute draußen Spitzbuben nennen, wir bleiben bei dem, was wir uns vorgenommen haben, wir halten unser Wort … Schwört mir das Alles, dann will ich Euer Hauptmann sein!“

„Wir schwören’s!“ riefen Alle in wildem Jubel durcheinander. „Der bairische Hiesel ist unser Hauptmann! Hurrah – der Hauptmann soll leben!“ Sie schwenkten die Hüte, die Hirschfänger und die Gewehre, fielen einander um den Hals und Alle reichten Hiesel an Eidesstatt die Hand. Der Bub schmiegte sich an ihn an, er aber legte ihm die Hand auf die Stirn und sagte: „Bleib bei mir, Anderl, weil Du draußen auch Niemand mehr zu suchen hast. Du sollst einen Bruder an mir haben!“

Während des Lärmens und der allgemeinen Erregung erschienen die Bauern, deren Ankunft der Bube schon angezeigt hatte. Furchtsam mit ehrerbietig gezogenen Hüten traten sie näher und Hiesel empfing sie, umgeben von seinen Getreuen, wie ein General in Mitte seiner Befehlshaber. Sie kamen viele Meilen weit her aus dem Haunsheimischen und waren von mehrern Dorfmarkungen heimlich abgesandt, um den bairischen Hiesel flehentlichst zu bitten, daß er sich ihrer Desperation erbarmen und zu ihnen kommen solle, den Verheerungen des gehegten Wildes Einhalt zu thun, wogegen sie nirgends Schutz und Abhülfe gefunden. „Recht so, Cameraden!“ rief Hiesel, als sie ihre Botschaft ausgerichtet, „das ist Wasser auf unsere Mühle! Das ist ein gutes Zeichen für uns, das bedeutet, daß wir auf dem rechten Weg sind! Geht nur heim, Landleute, und seid getrost, verrathet aber nichts vorher: eh’ drei Tage in’s Land gehn, hört Ihr’s um Eure Ohren krachen – dann wißt Ihr, das ist der bairische Hiesel und seine Schützen!“

Nach einem fröhlichen Gelage ward aufgebrochen und durch den nächtlichen Wald gezogen; die geübten Wilderer fanden sich darin nach dem Stande der Sterne so sicher zurecht, wie ein Forstmann, der sein langgewohntes Revier begeht. An einer Waldspitze, wo die Bäume lichter standen und in der Entfernung Friedberg sichtbar war, schlug man das Lager. Bald waren Wachen nach allen Seiten ausgestellt, Einige wurden noch in das nächste Dorf gesandt, um neue Lebensmittel zu holen, und unter den Stämmen lagen die Wilderer bald in sorglosem Schlafe; die Nacht rings umher lag über der kühnen Schaar, welche den Kampf mit dem Gesetz und dem Frieden des Landes zu beginnen geschworen hatte, so still und ruhig, als wären sie eine Schaar seiner edelsten Kinder, bereit das Leben für sein Wohl dahin zu geben.

Von Hiesel’s Augen allein floh der Schlaf. Die Nachricht des Buben hatte wieder alle Untiefen seines Gemüths aufgewühlt, alle wilden Neigungen und trotzigen Gedanken loderten darin empor, wie Flammen, die der Sturmwind aus dem Schutt eines scheinbar erloschenen Brandes bläst. Auch sie, der in so kurzer Zeit sein ganzes Inneres sich mit nie gefühltem Entzücken gefangen gegeben, auch sie also war falsch; auch ihre Liebe war nicht mehr, als das oberflächliche Mitleid eines gewöhnlichen Weiberherzens, mit der Stunde geboren, mit dem Augenblick erstorben! Jetzt war es offenbar, warum sie es so sorgsam vermieden, auf seine wiederholten Fragen bestimmt zu antworten; was er als holde jungfräuliche Verschämtheit empfunden, war nichts gewesen, als nüchterne Berechnung. Darum hatte sie es auch vermocht, die Nachricht seines vermeintlichen Todes so gelassen hinzunehmen und Herz und Hand einem Andern zu geloben; hatte sie doch gegen den unglücklichen gehetzten Menschen, der einmal ihr Jugendgespiele gewesen, ihre kalte Schuldigkeit reichlich gethan, ihn bemitleidet und sogar zu retten versucht … Aber eben diese Rettung war es, welche ihn wieder und wieder zweifeln machte und der Treulosen das Wort redete. Wenn er daran dachte, wie sie in unverkennbarer Angst um ihn gezittert, wenn ihm der innige Ton ihrer Stimme im Ohre nachklang, wenn er sich der klaren reinen Augen erinnerte, die ihn so herzlich angeschaut, dann wollte es in seinem Gemüthe heller werden, wie von einem Sonnenstrahl, der durch Wolken bricht, aber die Gewittermassen des Grolls und Grimms und der Jahre lang genährten und kaum in Schlaf gesungenen Verbitterung waren zu mächtig und verdrängten und überwältigten das versöhnende Licht.

Es begann eben grau zu werden im Osten; da riefen die Wachen und Tiras schlug an.

Hiesel war der Erste, der hinzu eilte; er wollte fragen, was es gebe, aber er kam nicht dazu – mit einem Schrei der Freude und des Schmerzes lag im nächsten Augenblick Monika an seiner Brust.

„Du bist es?“ rief er, schwankend zwischen Zorn und unwillkürlich aufwallender Freude. „Du findest noch den Weg zu mir?“

„Wie sollt’ ich nicht!“ rief sie, sich enger anschmiegend. „Ich wär’ ja längst gekommen, wenn ich nur gekonnt hätte! Der Vater hat mich eingesperrt gehalten und erst gestern Abends hab’ ich mich losmachen gekonnt …“

„Und was will die Jungfer bei mir?“ fragte Hiesel, sie wegdrängend. „Wenn man erfährt, daß Sie dem Wildschützen nachgelaufen ist, was wird Ihr Hochzeiter dazu sagen?“

„Hiesel, wie red’st Du mit mir?“ rief sie schmerzlich. „Ist das mein Dank? Hochzeiter … kannst Du so was von mir glauben?“

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