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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Gerson’schen Bazar besuchte. Eine der jungen Damen hing sich die Mantille um, welcher die Lady ihren besonderen Beifall zu schenken schien. Letztere wandte sich jetzt an den hinter ihrem Stuhle stehenden Gatten mit der Frage: How do you like it? (Wie gefällt sie Dir?)

O, she is most beautiful (sie ist wunderschön) entgegnete exaltirt der Lord, dessen ganze Aufmerksamkeit mit bewaffneten Augen auf die stattliche Verkäuferin gerichtet war.

How – she?! (Wie – sie?!) O, you traitor! (O, du Treuloser) rief entrüstet die Lady, erhob sich und zog ihren Gatten ziemlich unsanft mit sich fort, ohne den beabsichtigten Einkauf zu machen. –

Wie wir bereits erwähnten, sind die einzelnen Waarengattungen streng von einander getrennt. Dieselben bilden im Ganzen einundzwanzig Abtheilungen oder Rayons, die wieder je einen besondern Vorsteher haben, welcher mit den ihm beigegebenen Gehülfen nicht nur den Verkauf besorgt, sondern auch die nöthig werdenden Anschaffungen neuer Waaren ganz selbstständig anordnet. Dadurch wird es auch nothwendig, daß verschiedene dieser Rayonvorsteher jährlich mehrfache Reisen nach den Fabrikationsdistricten Deutschlands, Frankreichs und Englands unternehmen, wobei ihnen hinsichtlich des Einkaufs völlig freie Disposition überlassen bleibt. So werden z. B. auch die in London stattfindenden Auctionen indischer Shawls als der ursprüngliche Bezugsweg dieses Artikels durch einen Vertreter des Gerson’schen Geschäfts von Berlin aus regelmäßig frequentirt, und gerade dieser Zweig bietet nicht geringe Schwierigkeiten, indem die Kaschmirshawls gewöhnlich nur in lots (Loosen) von sechs oder mehr Stücken zur Versteigerung kommen. Diese lots werden nicht getheilt, und so muß der Ersteher, um einen einzigen besonders schönen Shawl zu erlangen, die übrigen weniger guten dann mit in den Kauf nehmen.

Eine Einrichtung des Gerson’schen Bazars verdient noch besonderer Erwähnung. Viele Artikel der Damentoilette sind ausschließlich für den Gebrauch bei Abend bestimmt, wie Ballkleider u. s. w., und da die Wirkung einzelner Farben bei Tageslicht eine ganz andere als bei dem Scheine der Kerzen oder Gasflammen ist, so hat man einen sogenannten Lichtsalon eingerichtet. Dieser Raum hat keine Fenster und dessen sämmtliche Wände sind von unten bis oben mit Spiegelscheiben bekleidet, während eine große Anzahl von Gasflammen eine Beleuchtung hervorbringt, wie sie heller in dem glänzendsten Ballsaale nicht zu erzielen ist. In diesem Lichtsalon können nun auch bei Tage von den Damen die Wirkungen der verschiedenen Farben bei Ballbeleuchtung in jeder Weise geprüft werden, denn vermöge der Spiegelreflexe läßt sich auch der Eindruck beurtheilen, den die betreffenden Stoffe in größeren Entfernungen hervorbringen.

Um unseren Lesern einen oberflächlichen Maßstab zur Beurtheilung des Verkehrs im Gerson’schen Bazar an die Hand zu geben, wollen wir nur anführen, daß in demselben durchschnittlich

135 Commis,
36 Verkäuferinnen,
40 Lehrlinge
und 25 Hausdiener

angestellt sind. Gewiß ein ganz ansehnliches Contingent, welches in Summa einen jährlichen Gehalt von etwa sechzig bis achtzig Tausend Thalern bezieht. Wie zahlreich nun auch dieses Personal erscheinen mag, so genügt dasselbe, zumal in der Weihnachtszeit, kaum, um die Kauflust des massenhaft zuströmenden Publicums zu befriedigen.

So Manchem wird sich hierbei die Frage aufdrängen, ob dieser colossale Verkehr nicht ein höchst bequemes Mittel zur Befriedigung diebischer Gelüste darbiete. Dies ist wohl kaum zu leugnen und es darf in einer durch die Geschicklichkeit ihrer Langfinger jedes Alters und Geschlechts berüchtigten Stadt auch kaum anders erwartet werden, Zwar findet man im Gerson’schen Bazar nicht jene ominösen Placate, welche uns auf den Bahnhöfen, in den Theatern und an den öffentlichen Vergnügungsorten Berlins entgegenstarren mit den Worten: Vor Taschendieben wird gewarnt! In dem Gerson’schen Geschäft muß ja auch die Aufmerksamkeit auf die Abwehr von Ladendieben gerichtet sein, und in dieser Hinsicht ist eine sehr praktische Einrichtung getroffen worden. Bekanntlich hat mit der wachsenden Unternehmungslust und Gewandtheit der Diebe auch die Umsicht und Erfahrung der Berliner Polizeibeamten gleichen Schritt gehalten, und es ist deshalb gewiß eine glückliche Idee zu nennen, daß die Besitzer des Gerson’schen Geschäftes in jener lebhaften Periode dicht bei der Thür ihres Etablissements einen derjenigen Criminalpolizeibeamten aufstellen, die, durch langjährige Praxis und gutes Gedächtniß unterstützt, die Legion der mehr oder minder anrüchigen und schon mit den Eigenthumsrechten in Conflict gerathenen Persönlichkeiten Berlins recht wohl kennen. Naht also dann und wann im Gedränge ein bekanntes Gesicht, so weist der Polizeibeamte diesen alten Freund vor seinem Eintritt in das Gerson’sche Local mit der Versicherung, daß er da drinnen nichts zu suchen habe, sehr wirksam zurück.

Musterhaft sind die inneren Einrichtungen, welche die Erfahrung auf den Grad möglichster Vollkommenheit zu bringen wußte. So ist durch die strenge Trennung der verschiedenen Artikel sowohl für den Käufer, als auch für den Verkäufer große Erleichterung geschaffen, während andererseits das Cassengeschäft wieder ganz von dem übrigen getrennt besteht. Die Verkäufer deponiren die bei ihnen gekauften Gegenstände mit einer kurzen Notiz über Gattung und Betrag an der Casse beim Ausgang, wo dann der Käufer dieselben gegen Erlegung der Summe oder (was ebenso häufig vorkommt) auf Credit in Empfang nimmt.

Wie weit der Ruf des Gerson’schen Geschäftes mit vollem Rechte sich verbreitet hat, davon kann man den deutlichsten Begriff erlangen, wenn man des Abends die beladenen Wagen sieht, welche die nach auswärts verschriebenen Waaren in einer Menge von Paqueten und Ballen nach dem Postgebäude fahren. Um die Weihnachtszeit wird zu diesem Transport oft genug ein Frachtwagen erforderlich.

Der Umsatz, der im Gerson’schen Geschäft erzielt wird, ist nach Millionen zu bemessen. Mancher Besitzer eines schon leidlich angesehenen kaufmännischen Geschäftes in der Provinz oder selbst auch in der Residenz würde sehr erfreut sein, wenn dessen jährlicher Umsatz die Höhe der Summe erreichte, die an einem einzigen Tage während der Weihnachtszeit bei Gerson umgeschlagen wird.

Wie sehr das Gerson’sche Etablissement an Bedeutung zugenommen hat und noch fortwährend zunimmt, das läßt sich am Besten nach dem außerordentlich starken Engros-Geschäft berechnen[WS 1], welches diese Firma nach allen Weltgegenden hin macht. Durch den massenhaften Bezug der Waaren aus erster Hand kann das Haus den Wiederverkäufern große Vortheile bieten und ein anerkannt geschmackvolles, reiches Sortiment vermehrt auch in dieser Hinsicht den Verkehr fortwährend. Ganz außerordentlich umfangreich ist namentlich der Umsatz in den verschiedenartigsten fertigen Damengarderobeartikeln, der sogenannten Confections-Branche, einem Geschäftszweige, der bekanntlich in den letzten zehn Jahren vorzugsweise in Berlin eine nie geahnte Ausdehnung gewonnen hat. Der Ruhm, diese früher gänzlich unbekannte Gattung des Geschäftes so zu sagen geschaffen und zuerst in Berlin eingeführt zu haben, gebührt dem Gründer der Gerson’schen Firma, der sich damit zugleich ein bedeutendes Verdienst erworben hat, denn Tausende von Händen finden jetzt dadurch lohnende Beschäftigung.

Wenn wir oben von der großen Menge der bei Gerson Angestellten sprachen, so ist damit die Anzahl der für das Gerson’sche Geschäft unmittelbar thätigen Personen noch bei Weitem nicht erschöpft.

In den benachbarten Häusern, jedoch mit der Geschäftslocalität in unmittelbarer Verbindung, befinden sich zwölf Arbeitssäle, in denen gegen zweihundert Mädchen und Frauen beständig beschäftigt sind. Jedem einzelnen Saale steht wieder eine Directrice vor, welche die Anfertigung der verschiedenen Gegenstände leitet. Diese letzteren sind von einer unendlichen Mannigfaltigkeit; denn im Gerson’schen Bazar ist eigentlich nicht weniger als Alles zu finden, was überhaupt zur Damentoilette gehört, und man sucht dort ebensowenig das einfachste Morgenhäubchen wie den fürstlichen Hermelimnantel vergebens.

Weit größer ist aber noch die Zahl derjenigen Personen, welche für das Geschäft in ihren eigenen Wohnungen arbeiten, die Zahl von achthundert bis tausend dürfte eher zu niedrig als zu hoch gegriffen sein. – Ein langer Saal im oberen Stockwerk des Gerson’schen Hauses ist zur Vertheilung der bestellten und beziehentlich Annahme der gefertigten Arbeiten bestimmt. Der Eingang zu diesem Saale führt durch ein Nebenhaus, so daß dadurch der Verkaufsverkehr in den übrigen Räumen gar nicht gehemmt

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: berchnen
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 266. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_266.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)