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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

„Garde à vous!“ brüllte die Wache und trat unter die Freunde. Sie waren getrennt – getrennt für dieses Leben.

„Adieu, Cameraden, jenseits sehen wir uns wieder,“ rief Albert v. Wedell.

Man führte die Soldaten zur einen, die Officiere zur andern Thür hinaus. Am folgenden Tage escortirte man die Elf nach Wesel. Sie hatten sich nicht getäuscht, sie bluteten Alle. Unbegreiflich bleibt es, daß kein Versuch gemacht wurde zu entrinnen. Ist auch der im Gefängnisse zu Geldern geflissentlich verlorene Schlüssel vielleicht eine Sage, so viel ist gewiß, die Bewachung war absichtlich eine sehr nachlässige, selbst noch in dem letzten Nachtquartiere zu Geldern hatte man die Gefangenen in ein schlechtes Arrestlocal gebracht, von wo aus sie um so leichter entspringen konnten, da preußisch gesinnte Bürger ihnen Unterstützung versprochen hatten. Es scheint, als hätten diese elf Männer den Tod gesucht, als hätten sie es für ihre Sendung gehalten, den Lebenden im Hinblick auf die bald erscheinenden Tage der Rache zu zeigen, wie man für Vaterland und Freiheit in den Tod gehen muß.

Zwei ebenfalls zum Tode bestimmte Cameraden blieben verschont. Es waren die Officiere Heinrich von Wedell und von Zaremba, früher bei Dodendorf gefangen. Zaremba rettete eine Krankheit; später gab ihn Napoleon frei. Als der Kaiser im Jahre 1811 seinen Einzug in Wesel hielt, stieg er im Gouvernementsgebäude ab. Tags darauf besuchte er die Citadelle, wobei ihm die Gefangenen vorgestellt wurden. Am Ende des linken Flügels stand Zaremba. General Hogendorp machte den Kaiser besonders darauf aufmerksam. Napoleon trat dicht zu dem Officier und ihn scharf fixirend sagte er: „Vous étiez aussi de la bande de Schill?“

Zaremba antwortete mit Würde und überreichte eine kurze Bittschrift, welche der Kaiser sofort las. Er steckte das Papier in seine Brusttasche und ließ den Schimmel vorführen. Sich auf das Pferd schwingend, sagte er dann kurz, aber nicht ohne ein gewisses Wohlwollen, indem er das Bein über den Sattel hob: „Vous êtes libre.“

Zaremba machte die Feldzüge von 1813–15 mit und ward nachher Intendantur-Rath zu Breslau.

Heinrich von Wedell, später General und ein hochgefeierter Soldat in preußischen Diensten, saß vierzehn Monate in Sedan, dann ward er weiter transportirt. Wir werden ihn bald mitten unter seinen Leidensgefährten antreffen.

In Sedan hatten die Gefangenen ein etwas milderes Loos. Namentlich erregte die schreckliche Lage derselben bei dem weiblichen Geschlechte viel Mitleid. Es wurde ihnen anständiges Gefängniß in der Caserne bewilligt und sogar Tabakrauchen gestattet. Der Trompeter Böck componirte einige Tänze, wofür ihm und seinen Cameraden ansehnliche Geschenke von Victualien und Getränken dargebracht wurden.

Am 18. December traten sie ihren Marsch an. Leider wurden die Unglücksgenossen getrennt. Ein Theil der Colonne ging früher ab. Sie gaben den Zurückbleibenden das Versprechen auf die Wände der Gefängnisse mit Kreide niederzuschreiben, was sie über die Schicksale erfahren würden, die ihnen bereitet werden sollten. Nun überkam die Bleibenden schon eine Vorahnung der Plagen, welche ihrer warteten. Am 31. December erschien ein Gensd’arm mit einem Sacke in der Hand. In dem Sacke klirrte und rasselte es. Der Mann zog plötzlich Ketten hervor, schloß zwei und zwei der Unglücklichen aneinander, befestigte dann vier Mann an einer Kette und befahl ihnen auf zweirädrige Karren zu steigen. In dem nächsten Gefängnisse angelangt, suchten die Geängstigten an den Wänden herum, ob nicht irgendwo eine versprochne Nachricht zu entdecken sei. Endlich fand Böck eine solche. Ein Schrei des Entsetzens entfuhr ihm, seine Kniee schlotterten, seine Haare sträubten sich. Auf der rußigen Kerkerwand standen mit Kreide die Worte: „Wir kommen auf 25 Jahre nach Toulon auf die Galeere!“ Todtenstille herrschte in dem düstern Gemache. Diese Männer hatten oft genug dem Verderben in’s Antlitz geschaut – aber das war zu viel. Erschossen, in Ketten geschmiedet werden, in finsterer Casematte fern von den Lebenden sitzen müssen, deportirt werden nach unwirthbaren Inseln – das Alles konnten sie ertragen, darauf waren sie vorbereitet, sie hatten es vielleicht erwartet – aber die Genossen von Räubern, Mördern, von dem Auswurfe der Menschheit werden zu sollen, angeschmiedet zu werden an das Laster, an die personificirte Verruchtheit, weil sie, einem edlen Drange folgend, das Schwert gegen Deutschlands Unterdrücker geschwungen – das konnte ihr Gehirn nicht fassen, das hielten sie für einen schrecklichen Traum. Einer nach dem Andern las die unheilverkündende Schrift, Alle glaubten, ein Spuk habe sie geäfft. In einer Art von Betäubung taumelten sie von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt.

In Saint Michel begegneten ihnen Bauerweiber, welche gegen die Gefangenen die Zungen ausstreckten, was die Verhöhnten durch eine gleiche Pantomime erwiderten. Im Nu riefen die Weiber den Janhagel des Fleckens zusammen; Steine, Koth, Knittel flogen auf die Unglücklichen, das Gedränge ward so dicht, daß endlich die Gensd’armen mit der flachen Klinge auf die Bande der Angreifer einhauen mußten. So kam man nach Lyon. Hier geschah das Furchtbare schon mit weniger Zurückhaltung. Die Schill’schen wurden mit Sträflingen zusammengeschlossen. Zwar waren es noch keine todeswürdigen Verbrecher, aber der Arm des Gesetzes hatte sich doch schon nach ihnen gestreckt. Böck ward mit seiner rechten Hand an die linke eines französischen Deserteurs geschlossen. Es war ein guter Camerad. Er erzählte dem Trompeter, wie er bestimmt wisse, daß sie nach Toulon auf die Galeeren gebracht werden sollten. Er beschwor ihn zu desertiren, und gab ihm als sicherstes Mittel die Fingirung einer Krankheit an. Der Trompeter überlegte sich den Vorschlag und in Vienne, wo sie erfuhren, daß der Kaiser Napoleon sich vorbehalte über die Dauer ihrer Gefangenschaft noch Befehle zu ertheilen, daß die 25jährige Haft also noch nicht bestimmt sei, beschloß der Trompeter sich krank zu stellen. Er marschirte noch bis Valence mit und meldete sich hier als krank. Er ward in’s Lazareth gebracht. Ein Arzt erschien und, wahrscheinlich um sich ein Ansehen zu geben, erklärte er den Patienten für unfähig zum Weitermarsche. Uebrigens blieben die Gefangenen eine Zeitlang in Valence. In dem Lazarethe hatten Nonnen die Abwartung der Kranken übernommen, Böck hatte sich durch Pflege der Blumen in dem Zimmer der ersten Schwester deren Zuneigung erworben. Die frommen Damen trugen ihm den Posten eines Klostergärtners an. Er zauderte aber nicht lange. Das Unglück hatte ihn mit seinen Cameraden so eng verbunden, daß er um keinen Preis sie allein ziehen lassen mochte, er schämte sich seiner Verstellung und als die Stunde des Abmarsches kam, meldete er sich gesund und zog mit den Brudern dem Elende entgegen. In Carpentras nahm der Maire die Gefangenen sehr freundlich auf. Er ließ sie herrlich bewirthen und zwar deshalb, weil sie Preußen waren. Sein Vater hatte zur Zeit der Revolution in Magdeburg Zuflucht gefunden und war von den Preußen sehr gut gehalten worden, aus Dankbarkeit labte der Sohn die Unglücklichen.

Ein feuchter Nebel, eine stinkende Luft umgab die Colonne, als sie in eine belebte, an der See gelegene Stadt zog. Gaffende Müßiggänger umringten die Marschirenden, durch enge, bald aufsteigende, bald sich niedersenkende Gassen wanden sich die Leidensgefährten. Endlich machten sie auf einem großen Platze Halt. Sie waren in Toulon. Das Ziel ihrer Reise war erreicht. In Toulon ist der größte Bagno. Sie mußten in einer Reihe sich aufstellen. Der Sergeant klingelte an der Thür eines großen Hauses. Ein widerwärtig aussehender Mann trat heraus und überlas die Papiere. Als er fertig war, sagte er kurz: „Ins Arsenal.“ Von nun an war das Loos der Schill’schen gezogen.

Je näher sie den verhängnißvollen Mauern kamen, je fürchterlicher ward ihre Angst. Immer scheußlichere Gestalten kamen ihnen entgegen. Ueber das Steinpflaster hin klirrten die Fußketten von Galeerensklaven. Die Gesichter dieser Elenden verriethen Jammer und Noth. Sie trugen rothwollene Mützen; auf den rothen Jacken, den leinenen Beinkleidern waren die Buchstaben GAL (Galérien) gedruckt. Man hatte sie immer Zwei und Zwei mit den Füßen zusammengeschlossen, hinter ihnen ging ein Mann mit einem Ochsenziemer.

Die Schill’schen Soldaten überlief ein Schauer. Man führte sie an eine Schwungbrücke, welche die Gefangenen überschritten. Als sie dieselbe hinter sich hatten, waren sie vorläufig geschieden aus dem Leben, aus der menschlichen Gesellschaft. Sie waren nur noch Geschöpfe mit Zahlen statt der Namen, die sie einst getragen; sie waren die Genossen der Feinde des menschlichen Wohls, die Kettenbrüder der Scheusale, welche nur zwischen viehischer Arbeit und der Peitsche des Aufsehers ihre Tage hinbringen. Die Brücke

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 247. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_247.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)