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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

zu, der Sternputzer bot ihm die Flasche, der Blaue schüttelte ihm die Hand, während die Andern sich dessen Abenteuer und Streiche erzählten, seine Gewandtheit und Kühnheit und sein gutes Herz rühmten, das Keinem ein Leides geschehen lasse, als den Jägern und ihren Genossen. Hiesel war von der überstandenen Krankheit noch etwas abgespannt; die Wanderung hatte nicht beigetragen, sein gedrücktes Gemüth freier zu machen; der Empfang der Wildschützen aber war in seiner Wildheit von so unverhohlener Freude erfüllt, daß er unwillkürlich seinem Stolze schmeichelte und Hiesel mit einem Lächeln befriedigter Eitelkeit die Begrüßung hinnahm und erwiderte.

Um seinen rothen Begleiter kümmerte sich Niemand; nur der Blaue zog ihn mit freudiger Vertraulichkeit bei Seite.

Noch hatten die Schützen sich nicht wieder gelagert, als im Walde ein Schuß fiel, daß Alles in Hast zu den Waffen stürzte. Ein langer sonnengebräunter Bursche kam in athemloser Eile aus dem Dickicht hervor: es war der Lissabonerbäck’, so genannt, weil er weit auf der Wanderschaft gewesen und mehrere Jahre in Lissabon zugebracht hatte. „Was giebt’s?“ rief es ihm entgegen. „Sind Jäger in der Näh’? Wo ist der Bobinger? Warum kommt er nicht mit Dir?“

„Aûf den Bobinger,“ erwiderte der Bursch, sich in’s Gras werfend, „braucht Ihr nimmer zu warten – der kommt nimmermehr! Auf dem Weg hierher sind uns heute Strickreiter unter gekommen: da haben wir uns in die Felder geduckt und an den Wald hingeschlichen, aber sie müssen uns doch gesehen haben. In dem Wald sind Jäger gesteckt, der erste Schuß ist ihm in den Rücken gegangen, mitten durch’s Herz … es hat ihn nur so hingeworfen … er hat keinen Schnaufer mehr gethan und ich hab’ den Weg gehörig unter die Füß’ genommen, damit Ihr’s doch wißt und nicht umsonst wartet …“

Die unvermuthete Nachricht verfehlte auch auf die verwilderten Gemüther der Schützen ihren Eindruck nicht: sie standen einige Augenblicke stumm und blickten einander rathlos an. „Ei was stehn wir da, wie die Schaf’ wenn’s donnert!“ rief dann der Student. „Das kann einem Jeden alle Stund passiren und geht für’s Sterben hin! Der Kretzenbub ist ein gar gemüthlicher Kerl gewesen – wir wollen’s den Jägern heimzahlen!“

„Was wollen wir aber?“ sagte der Blaue. „Der uns zusammengerufen hat, ist todt – es wird wohl das Beste sein, wir gehn wieder auseinander!“

„Und laufen wieder heim in die Kanzlei?“ schrie der Sternputzer. „Schreiberseele, die Du bist! Was der Bobinger gekonnt hätte, bringen Andere auch zu Stand! Wir müssen zusammenhalten – die Jäger in all den verschiednen Territorien thun es auch; sie müssen sich vor uns fürchten, oder wir sind verloren, und wie den Bobinger putzen sie Einen nach dem Andern weg!“

„Das sag’ ich auch!“ rief ein Anderer. „Kann der Kretzenbub unser Hauptmann nicht sein, so wählen wir uns einen andern, und um den brauchen wir nicht lang zu suchen … der bairische Hiesel soll unser Hauptmann sein!“

„Ja, ja, der bairische Hiesel soll unser Hauptmann sein!“ lärmten Alle wild durcheinander, nur der Sternputzer biß sich auf die Unterlippe und der Rothe schrie darein: „Seht erst zu, daß Ihr die Rechnung nicht ohne den Wirth macht! Fragt ihn doch erst, ob er mit Euch halten will!“

„Warum soll er nicht wollen?“ schrie es entgegen. „Warum wär’ er sonst da? Er muß!“

Hiesel sprang vor den Andrängenden zurück und hob sein Gewehr; Tiras, zum Sprunge bereit, fletschte knurrend die Zähne. „Wer will mich zwingen?“ rief Hiesel. „Wer will mir vorschreiben, was ich thun muß? Ich bin freiwillig hergekommen und will meinen freien Willen haben und behalten wie Jeder! … Der Rothe hat recht gesagt – ich will nicht Euer Hauptmann sein, ich will nicht mehr mit Euch halten – und hieher bin ich nur gekommen, um denjenigen, denen ich’s versprochen hab’, mein Wort zu halten und Euch zu zeigen, daß ich mich nit fürcht’, Euch Allen das in’s Gesicht zu sagen, was ich vorhab’ … Ich kann’s Euch nit erzählen, was ich erlebt hab’ in den letzten Tagen, aber das sag’ ich Euch, daß es mich um zehn Jahr’ älter gemacht und mir das ganze Gemüth gepackt hat … Ich will das Wildschützenleben aufgeben und ein rechtschaffener Mensch werden …“

„Ein rechtschaffener Mensch!“ höhnte der Rothe. „Ich weiß, woher der Wind geht! Du bist ein Narr worden, Hiesel… stell’ Dich und versteck’ Dich, so gut als Du willst, sie finden Dich doch heraus!“

„So geh’ ich in ein andres Land …“

„Das ist erst das Rechte!“ rief der Lissabonerbäck. „Ich kann ein Lied davon singen! Arbeiten darf man in der Fremde wie ein Vieh, aber sonst bleibt man alleweil’ ein Fremder! Laßt ihn nur gehn, Cameraden, wenn er’s erfahren will… es giebt noch andere Leute; hat wohl die Courage verloren, weil der Kretzenbub so geschwind ist abgethan worden …“

„Kerl!“ rief Hiesel und wollte auf den Burschen anlegen, „Du willst dem bairischen Hiesel Courage lehren!“

„Schieß zu!“ erwiderte dieser frech, „wenn Du meinst, Du kannst es damit beweisen!“

„Frieden unter einander!“ rief der Tiroler dazwischentretend. „Der Hiesel muß unser Hauptmann werden oder wir geh’n auseinander und schauen, wie wir uns durchschlagen, bis Jeden seine Kugel trifft … der Hiesel wird sich’s wohl überlegen!“

„Das denk’ ich auch,“ sagte der Student, „er’ wird sich erinnern, was das ganze Land von ihm sagt: daß er nicht ein gewöhnlicher Wilddieb ist, sondern daß er Krieg führt mit den Jägern und Schergen, daß er den Bauern helfen und die Landesherren zwingen will, daß sie die unsinnigen Gesetze aufheben und das Wild frei geben und einen Jeden, der nicht von Adel ist, auch für einen Menschen gelten lassen!“

Hiesel stand bewegt, aber sein Entschluß wankte nicht, so sehr auch Alles auf ihn einstürmte, so lockend und nahe das langgewohnte freie Wildschützenleben vor ihn trat … das geträumte Häuschen mit den grünen Läden und der aus der Thür ihm entgegen winkenden Gestalt überstrahlte mit mildem Glanze alle andern Bilder, die vor seinem Innern auftauchen wollten. Noch hatte er seinen Entschluß nicht ausgesprochen, als eine der ausgestellten Wachen ein Zeichen gab; der Student eilte hin und kam bald mit einem zerlumpten Bauernknaben zurück. „Der Bub will zu Dir, Hiesel,“ sagte er; „er sagt, er sei schon drei Tag unterwegs, Dich zu suchen …“

Der Knabe war rasch auf Hiesel zugeeilt und hatte seine Hand gefaßt. „Da bist Du wirklich,“ sagte er, „jetzt ist es gut – jetzt geh’ ich nimmer von Dir! Kennst mich nimmer?“ fuhr er fort, als Hiesel ihn verwundert betrachtete. „Glaub’s wohl, hast mich auch nur einen Augenblick geseh’n … weißt, dort am Erdweg, wo die Jäger mich bandelt haben und wo Du mir die Strick’ abgeschnitten hast …“

„Du bist es? Und was willst Du bei mir?“

(Fortsetzung folgt.)




Schill’s Kampfgenossen auf der Galeere.
Eine Illustration zu dem modernen Cäsarenthum.

Unheimliche Stille lag über der Stadt Stralsund, als die Nacht des 31. Mai 1809 ihre Schatten herabsenkte. Das blutige Treffen zwischen den Schaaren Ferdinand’s von Schill und den Soldaten der Holländer und Dänen unter General Gratien war ausgefochten worden. Achtzehnhundert Todte und Verwundete rötheten das Straßenpflaster mit ihrem Blute. Unter der offenen Halle des Rathhauses lag, mit einem Stück Segeltuch bedeckt, die Leiche des kühnen Schill auf einer der dort befindlichen Fleischbänke; unkenntlich durch Säbelhiebe, Stiche und Quetschungen war der Leichnam des unglücklichen Reiterführers.

Durch die Fenster der Jacobskirche schimmert matter Lichtglanz. Ein dumpfes Gemurmel tönt hervor und die Thüren des Gotteshauses sind mit Posten umgeben, die an einzelnen Stellen ihr Bivouacfeuer angezündet haben. In jener Kirche befinden sich 557 Gefangene vom Schill’schen Corps. Unter ihnen sind die elf berühmten Officiere, die vier Monate später auf dem Mordplatze

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 244. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_244.jpg&oldid=- (Version vom 14.11.2022)