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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

den Schlafenden, daß er das Gesicht unterscheiden konnte; war es auch etwas bleich und angegriffen, hatte er es doch auf den ersten Blick erkannt und mußte an sich halten, um nicht aufzuschreien oder in lautes Lachen auszubrechen. Auflauschend horchte er gespannt, bis im Hause die Schritte verhallt waren und eine Thür am andern Ende geschlossen wurde; in einem Fenster oben ward Lichtschein sichtbar und verlosch nach einer Weile.

Vorsichtig pochte er jetzt an den Laden; dumpfes Knurren des Hundes antwortete. Der Mann im Bette fuhr auf. „Was giebt es?“ rief er. „Wer ist das?“

„Ich bin’s, Hiesel,“ flüsterte es vom Fenster her, „mach’ auf, Hiesel … der Rothe ist’s …“

„Was willst Du von mir? Wie kommst Du hieher?“

„Mach’ nur erst auf – wegen Deiner komm’ ich, wir können doch nicht so durch’s Fenster reden …“

Hiesel war aufgestanden und öffnete; mit einem Satz war der Fuhrmann neben ihm. „Mach’s kurz,“ rief Jener, „was willst von mir?“

„Wie kannst nur fragen!“ entgegnete dieser. „Weißt etwa nimmer, daß übermorgen Maria Geburt ist und wir im Augsburger Wald sein müssen?“

„Du vielleicht – ich hab’ nichts dort zu schaffen.“

„Wär’ nit übel!“ rief der Rothe wieder. „Hast Du’s in München, wie wir in dem gewissen Haus kurfürstliches Brod gegessen haben, nicht mir und dem Tiroler und den Andern allen versprochen, daß Du bei uns bleibst, daß Du gewiß nicht fehlst im Augsburger Wald?“

Hiesel sah ihn einen Augenblick zweifelnd an; er schwankte, ob es gerathen sei, dem Burschen die Wahrheit anzuvertrauen. Die Tage des gezwungenen Stillliegens hatten ihn zu längerem Nachdenken über sich und seine Zukunft gebracht; die Ereignisse der letzten Tage, die Ermahnungen des Pfarrers hatten in ihm nachgeklungen, und auch im Fiebertraume war es Monika’s liebevolles Bild gewesen, das ihn umgaukelte. Bei ruhiger Ueberlegung war ihm die Möglichkeit aufgetaucht, daß der Ueberfall der Werber doch vom Pfleggerichte allein ausgehen konnte, daß die Einladung nach München vielleicht doch etwas Wahres enthielt. Der Sicherheit wegen hatte er bisher darauf verzichtet, Monika und den Seinen Nachricht von sich und seinem Aufenthalte zukommen zu lassen; jetzt, bei vollständiger Genesung, wollte er es nachholen und damit die Nachricht verbinden, daß er nach München gegangen sei, beim Kurfürsten sein Glück zu versuchen. „Wenn ich mich nun anders besonnen hätt’?“ antwortete er nach einer Weile. „Wenn ich das Wildschützenleben aufgeben wollt’?“

Der Rothe zuckte zusammen; er vernahm zum zweiten Male eine solche Aeußerung und es war erklärlich, wenn er darin einen naheliegenden Zusammenhang erkannte. Es war ihm unerträglich, sehen zu müssen, daß Andern gelingen sollte, sich aufzuraffen, wo ihm die Kraft dazu gemangelt hatte; jedes Mittel galt, dies zu verhindern, und da er vorher mit dem offenen Aussprechen seiner Gesinnung nicht glücklich gewesen, war er rasch entschlossen, es mit Lüge und Verstellung zu versuchen. „Ja, ja,“ sagte er traurig, „wer das zuwegen bringt, hat ganz recht! Ich hab’s auch gewollt, aber ich hab’ kein Glück … mein Herr hat erfahren, wer ich bin, und hat mich davongejagt – alles Bitten und Betteln hat nichts geholfen … vielleicht bist Du glücklicher, dann hast Du doch etwas davon, daß Du Dein Versprechen nit haltest!“

Ueber Hiesel’s Angesicht flog es dunkelroth, es zuckte ihm in den Händen, aufzuspringen und den Burschen an der Kehle zu fassen. „Wer sagt das?“ rief er. „Wer untersteht sich und will sagen, daß der Hiesel einmal sein Wort nit gehalten hat?“

„Du bist wunderlich,“ entgegnete wie verwundert der Rothe. „Hast Du nit selber gesagt, Du hast Dich anders besonnen? Ist das was Andres, als daß Du Dein Wort brichst?“

„Sag’ mir das nit noch einmal, Rother,“ rief Hiesel mit zorngedrückter Stimme, „oder es nimmt kein gutes End’ mit Dir! … Ich hab’s versprochen, in den Augsburger Wald zu kommen, und ich geh’ hin, und wenn ich angebunden wär’ … aber ich geh’ nur hin, um Wort zu halten; ich will nit bleiben, sondern will’s Allen sagen, daß ich vom Wildschützenleben Abschied nehm’, und will ihnen zureden, daß sie’s auch so machen …“

„Die Müh’ kannst’ Dir sparen, Hiesel,“ sagte der Rothe. „Das Zureden wird nichts helfen. Was sollten die Leut’ alle anfangen? Es ist nirgends ein Platz für uns – von allen Seiten sind wir verfolgt und eingekreist, die Jäger halten alle zusammen, drum müssen wir es auch so machen. Die Jäger treiben’s alle Tag’ ärger, erst vor einigen Tagen haben sie in Münsterhausen einen Bauern, den sie für einen Wildschützen gehalten, Abends, wie er beim Essen gesessen ist, mitten unter seinen Leuten und seinen Kindern durch’s Fenster erschossen …“

Hiesel hatte sich halb angekleidet und warf sich unruhig wieder auf sein Lager. „Die Mordbuben!“ rief er erregt. „Und uns wollen sie Spitzbuben nennen?“

„Ho, das ist noch gar nichts!“ entgegnete der Rothe, der seine Nachricht wirken sah. „Im Burgauischen haben sie neulich einen armen Teufel erwischt, der eine Grube gegraben hat, daß sich das Wild drin fangen soll. Was haben sie gethan? Sie sind nit faul, binden dem Kerl Hände und Füße, werfen ihn in die Grube, füllen sie aus und graben ihn so lebendig ein … Wie gefallt Dir das, Hiesel?“

Hiesel’s Erregung stieg. Alle Vorsätze, der Schutzvogt des Landvolks zu sein, traten als ebenso viele zürnende Vorwürfe vor seine Seele; er schämte sich und klagte sich selbst der Feigheit an, weil er das Werk aufgeben und nur an sich selbst denken wolle … „Und wird daraus, was will,“ rief er entschlossen, „eh’ ich ’was für mich selber thu’, geh’ ich mit in den Augsburger Wald!“

„Ho, ich hab’ mir’s wohl gedacht!“ rief der Rothe. „Jetzt bist Du der alte Hiesel wieder! Das hätt’ weiter kein Gespött’ und Gered’ abgegeben, wenn es geheißen hätt’: ,der bairische Hiesel ist auch zum Kreuz gekrochen!‘ ,Ja, warum denn?‘ hätt’ ein Anderer gefragt, und ,Narr,‘ hätt’s hinwider geheißen, ,wie Du fragst! Ein paar Weiberaugen haben schon ganz andere Dinge zu Stand’ gebracht!‘“

„Wer … wer sagt das?“ schrie Hiesel aufspringend und packte ihn am Halse.

„Nun, nun, erwürge mich nur nicht!“ rief der Rothe, innerlich triumphirend, weil er den Grund von Hiesel’s Unwillen völlig errathen zu haben glaubte. „Niemand sagt das! Ich hab’ Dir nur zeigen wollen, wie die Leut’ reden könnten … Also, es bleibt dabei – wir gehn in den Augsburger Wald; auf was warten wir denn noch? Komm Hiesel, richt’ Dich zusammen, wir machen uns gleich auf den Weg!“

„Nein,“ erwiderte dieser, „ich muß bis zum Tag warten. Die Leut’ in diesem Haus haben mich aufgenommen und gepflegt, wie ein eignes Kind – ich geh’ nit fort, ohne Dank und Ade zu sagen …“

„Meinethalben – wirst wohl wissen, ob Du Ursach’ hast dazu … ich kann warten – also gute Nacht, Hiesel, morgen früh geht’s in den Augsburger Wald.“

Rasch schwang er sich wieder aus dem Fenster, kehrte auf dem frühern Wege wieder in die Zechstube zurück, legte sich auf die Bank und entschlief bald, ruhig und fest, wie mit dem besten Gewissen und auf dem bequemsten Lager.

Der Morgen graute kaum, als der nach Hause kommende Wirth, an der verschlossenen Thür rüttelnd, seinen Unwillen darüber äußerte, wem denn die neue Einrichtung in den Sinn gekommen, das Gastzimmer zu sperren, noch dazu, wenn Gäste darin seien. Kundel eilte herbei und öffnete, wie mit Blut übergossen, daß sie auf der Unwahrheit betreten worden, der Rothe aber that, als habe er nichts gehört, und ließ sich mit dem Wirth in’s Gespräch ein. Kundel stand am Schenktisch und begann, Krüge auszuschwenken. Als der Wirth die Stube verließ, näherte sich ihr der Rothe. „Bist mir doch nit etwa gar bös wegen gestern Abend?“ sagte er höhnisch. „Ich hab’ mir Deine Wort’ überlegt und hab’ lang’ nit schlafen können d’rüber … aber ich hab’s eingesehn, daß Du Recht hast; ich will’s auch noch einmal probiren und rechtschaffen werden – dafür aber mußt Du mir versprechen, daß Du mich einlad’st, wenn Du Hochzeit machst …“

„Ich wunder’ mich, daß Du noch da bist,“ erwiderte das Mädchen, ohne nach ihm umzusehen. „Hab’ gemeint, Du hättest es so eilig und müßtest in aller Früh’ fort?“

„Das wohl – ich hab’ mir’s anders überlegt und einen Cameraden gefunden.“

„Einen Cameraden? Wo denn?“

„Das kannst leicht errathen, wirst wohl wissen, was für Leut’ im Hause sind … Schau, Kunde – Du hast gemeint, wie fein Du Deine Sache anstellst, wenn Du mich einsperrst, aber Du

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