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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

militärischem Takte wie künstlerischem Geschmacke gewählt war. Es bestand aus einem ungeheuren, fünfundsiebenzig Fuß langen und fünfundzwanzig Fuß breiten, von weißem Segeltuch angefertigten Zelte, das inwendig himmelblau angestrichen war, wie ein Kiosk der Sultane am Bosporus. Schlanke Pyramiden der virginischen Ceder umschatteten es in geordneten Reihen; die schwarz-roth-goldene Fahne des achten Regiments wehte darüber und schlang brüderlich und schmeichelnd ihre seidenen goldbetreßten Falten um die stolze Trikolore der großen Union. Zu beiden Seiten gruppirten sich die Zelte der Stabsofficiere; hinter ihnen schlossen sich die kleineren Spitzzelte der Ordonnanzen und Bedienten an, gleichfalls von Cedern umgeben und von Kuppeltannen beschattet. Etwas ferner auf dem grünen Rasenteppich eines Obstgartens hauste das Quartiermeisteramt mit seinen „Schreiberseelen“.

Es ist neun Uhr Morgens. Eine schön uniformirte Musikbande, aus dreißig wirklichen Künstlern bestehend, begiebt sich im Taktschritt zum Hauptquartier, stellt sich vor den noch nicht geöffneten Vorhang des Generals-Zeltes und spielt den Rakoczy-Marsch. Da werden die Falten des Vorhangs zurückgeschlagen, das blaue Sanctum öffnet sich und Blenker erscheint im Vordergrunde – auf der Bühne. Eine stattliche, hohe Gestalt, schlank in den Hüften und doch breitschulterig: aufrecht und edel in Haltung, sichtbarlich strebend zu imponiren, steht er da. Die weiten Hosen von dunkelrother Seide erinnern an seine griechische Vergangenheit, auf die er nicht wenig stolz war; ein grauer Rock mit goldenen Knöpfen und grünen Aufschlägen mahnt an bekannte Bilder berühmter Feldherren; die edle Burgunderrebe hat auf seinem Gesichte eine frische Röthe zurückgelassen, welche ihn jünger erscheinen läßt, als er ist. Jeder Zoll ein General, ein General, wie ihn wenige Schauspieler auf der Bühne zu realisieren vermögen.

Und als der Rakoczy Marsch zu Ende, rief er mit Stentorstimme in das Zelt hinein:

„Weichel, Wein her; das ist ja eine Götterlust, solche Musik zu hören. Die teilte spielen famos, himmlisch, besser als die Palombini in Mainz. Bring’ ihnen Wein, Weichel, in meinem großen silbernen Pocale, und wenn’s meine letzte Flasche kostet.“

Sich dann umwendend zu den Stabsofficieren in seinem Zelte, überließ er sich, von der Kriegsmusik hingerissen, ganz den Gefühlen superlativen Wohlbehagens.

„Ja, meine Herren, ich sage Ihnen, nichts Schöneres auf Erden als der Krieg: der Krieg ist ein wahrer Segen für die verfaulte Menschheit, die scrophulös crepiren würde, wenn wir ihr nicht von Zeit zu Zeit die Blutadern öffneten. Ist es nicht so, Herr Oberstlieutenant?“

Diese Worte waren an einen jungen Stabsofficier gerichtet, der in seiner Nähe stand. Es war eine hohe, schlanke Gestalt, wie sie Garde Ulanen Lieutenants als Ideal träumen, mit seinem geformtem, jugendlichem Gesicht, hellblondem, schmächtigem Schnurrbart; in blauer Uniform der Vereinigten Staaten, elegant, à quatre épingles. Es war Paul von Radowitz, der Sohn des bekannten preußischen Diplomaten und Ministers v. Radowitz, dessen feine Dialektik in der Paulskirche eben so gefährlich und mit Recht gefürchtet war, wie in Berlin seine politisch religiöse und wissenschaftlich systematisirte Reactionstendenz. Wenn der Vater in Gestalt und Gesichtsform noch unverkennbare Spuren seiner kroatischen Abkunft zeigte, so hatte dagegen der Sohn offenbar das Blut seiner Mutter geerbt, einer Gräfin Voß aus dem Mecklenburgischen, wo bekanntlich die Edelleute durch höhere Gestalt und edlere Gesichtsformen, als sie der obotritische Plebs besitzt, nicht allein ihre legitime, sondern auch ihre „physikalische“ Berechtigung zur patriarchalischen Anwendung der Peitsche oder des Stockes beurkunden.

Radowitz stand gerade vor dem Spiegel und drehte mittels ungarischer Wichse seinen Schnurrbart in jene elegante Wellen form, wie sie die „jeunesse dorée" der Salons so geschult zu bilden weiß.

Ein kurzes „Sie haben Recht, Herr General,“ endigte die Unterhaltung und Blenker wandte sich zur anderen Seite, wo ein Adjutant emsig beschäftigt am Schreibtische saß.

„Herr v. Züschen, haben Sie den Morgen-Rapport fertig?“

Und wie von einer Feder aufgeschnellt sprang der kleine Züschen (ein fähiger Officier aus sächsischen Diensten) auf, nahm Position, wie es sich für den Untergeordneten im Dienste gebührt, und verbeugte sich mit den Worten: „Zu befehlen, Herr General.“

In diesem Augenblicke trat mit etwas leisem Tritte, sich schon nach der hochadeligen Sippschaft umsehend, Gustav Struve ein, früher Mitglied der deutschen provisorischen Regierung, jetzt Lieutenant im achten Regiment, worin er sich, um für die Sache der Freiheit und Menschenrechte auch in seinem neuen Vaterlande zu kämpfen, als Gemeiner hatte einreihen lassen. Er trug, wie immer, etwas Gedrucktes in der Hand – eine Zeitung, und setzte sich auf Einladung des Generals zu diesem an den Tisch, um an dem frugalen Frühstücke, das aus Handkäse und Rettig (Blenker war im Felde für seine Person immer äußerst frugal, im Essen wie im Trinken) bestand, Theil zu nehmen. Nachdem er mit der ihm eigenthümlichen feinen Diskantstimme einige Worte mit Blenker gewechselt, händigte er ihm das Blatt ein.

Es war eine Nummer von Earl Heinzen's „Pionier“, worin dieser seiner Gift und Galle gegen Blenker und seine Landsknechte in einer Fülle sich entleert hatte, wie sie nur von der kranken Leber eines Bruno Bauer oder Marx, jener talentbegabten Rehberger, deren Motto ist: „Alles muß verrungenirt werden“, naturwüchsig erzeugt wird.

Blenker las-, die schöne Röthe seines Gesichtes wich einem dunklen, purpurnen Zornesroth: sein Auge strahlte, seine Faust ballte sich, und seine Wuth machte sich nach einer Minute tragischer Stille mit den Worten Luft: „Ich werde dem Menschen alle Knochen an seinem Leibe zu Brei schlagen lassen.“

„Aber, General,“ entgegnete Struve ruhig, „die Freiheit der Presse –“

„Was Presse! diese elende Schreiberseele wiegelt mir meine Soldaten auf: ich werde ihn zermalmen, so wahr ich Blenker heiße.“

Struve kannte Blenker zu gut; er schwieg einige Augenblicke und reichte ihm dann ein Papier mit den Worten hin.

„Ich habe, Herr General, eine Entgegnung geschrieben, die scharf und vernichtend ist. Hier, lesen Sie gefälligst.“

Blenker nahm das Blatt, las es; seine Aufwallung verrauchte sichtbar, und sich zu mir umwendend, rief er in jenem ihm eigenthümlichen, langgedehnten Ton, der stets etwas an eine verbesserte Auflage des Gardelieutenants erinnerte: „Herr Stabsquartiermeister, lesen Sie hier und sagen Sie mir Ihre Meinung.“

Ich las Heinzen’s Artikel und Struve’s Antwort und erwiderte : „Meine Meinung ist, man antwortet auf solche Angriffe gar nicht.“

„Sie haben Recht, einen solchen Burschen muß man anders wie, nicht mit der Feder, tractiren.“

„Auch das nicht, General. Ich denke, ich werde heute für’s Hauptquartier dreihundert Exemplare des ,Pioniers’ beim Heinzen bestellen; er hat nur vierhundert Abonnenten im Ganzen, und dreihundert Exemplare baar bezahlt, werden das bittere Gift Heinzen’s in die Milch sanfter Denkungsart verwandeln. Außerdem möchte ich nicht gern den einzigen Mann zu Brei zermalmt sehen, der hier zu Lande noch ein gutes Deutsch schreibt. Der Artikel ist brillant geschrieben und enthält nebenbei auch manches Wahre.“

„Haben Sie denn gar kein Blut in Ihren Adern, Herr Stabsquartiermeister?“

Kaum war das letzte Wort gesprochen, als ein Heidenspectakel am Eingänge des Zeltes unsere Aufmerksamkeit auf sich zog.

Zwei Reiter kamen in wildem Galopp angesprengt, schwangen sich von ihren Pferden und traten ein mit Sporengeklirr und Säbelgerassel, bestaubt und schweißtriefend. Der erste war ein kleiner, blutjung scheinender Mensch, mit rundem, ewig lachendem Gesicht, in voller österreichischer Husaren-Uniform, hellblau mit silbernen Knöpfen, eine riesige Reitpeitsche in der Hand. Es war der Graf Ingelheim von Rhein. Der zweite war aus dem Sachsenland, Baron v. Brandenstein; eine athletische Gestalt mit gebräuntem Kroaten-Teint. Er war früher in der österreichischen Marine gewesen, hatte die Welt umsegelt und dann in der italienischen Campagne im kaiserlichen Heer gedient, sich später in päpstlichen Diensten bei der Vertheidigung von Ancona und Gaeta ausgezeichnet und trug römische und neapolitanische Orden.

„Herr General!“ schrie Ingelheim in reinsten Lerchenfelder Dialekt, „wir hoben holt die Kerle wieder.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 234. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_234.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)