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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

auf einmal so freundlich! Da steckt was dahinter …“ Leise erhob er sich und trat an das kleine Fensterchen, durch welches bei großem Andrang von Gästen die Krüge von draußen hereingereicht wurden; gegenüber war die Thür zur Kellertreppe und die des Zimmers, wo der Unbekannte sich befand. Das Mädchen stand vor dieser und hatte sich zum Schlüsselloch herabgebeugt, um zu horchen, ob nichts in dem Gemach sich rege. Wie sie sich erhob, kehrte auch der Lauscher von seinem Lauerposten zurück und machte sich’s auf der Ofenbank bequem, als ob er vom Wege ermüdet sei und der Erholung bedürfe. „Danke schön,“ sagte er gleichgültig nickend, als Kundel den schäumenden Bierkrug nebst Brod und geräuchertem Fleisch vor ihm hinsetzte. „Ich werd’ dem Essen nimmer viel thun – bin schläfrig und muß in aller Frühe wieder fort, und weil Du doch einmal mit mir die Nacht nicht verplaudern willst, so zeig’ mir meine Liegerstatt …“

„Iß und trink nur erst,“ sagte das Mädchen, „kannst droben in dem Eckstübel schlafen, wo Du schon öfter gelegen bist …“

Der Rothe that einen starken Zug aus dem Kruge und blinzte darüber hin verstohlen nach dem Mädchen. „Da hinauf?“ sagte er dann. „Das Eckstübel ist viel zu sauber für mich; es braucht auch nicht so viel Umständ’ – ich leg’ mich gleich da auf die Bank. Brauchst nit zu sorgen,“ setzte er hinzu, als in Kundel’s Zügen das Mißvergnügen über sein Vorhaben sichtbar wurde, „mach’ meine Zech’ noch heut’ und … Deinen fremden Kranken da drüben werd’ ich auch nicht im Schlaf stören … Wer ist es denn?“ fragte er weiter und schleuderte den Geldgurt, den er unter dem Hemde auf dem Leibe trug, auf den Tisch, daß er klirrte. Er wühlte in den Münzen, womit der Gurt gefüllt war, um seinen Reichthum zu zeigen, und warf einen endlich ausgewählten Kronenthaler hin.

„Ich hab’ schon gesagt, daß ich es nicht weiß,“ erwiderte Kundel, indem sie, ohne aufzuschauen, das Geldstück wechselte. „Es werden bald vierzehn Tage sein, daß er bei Nachts vor’s Haus kam. Es war Alles schon zu Bett, aber der Hund hat so gerebellt und hat den Vetter aufgeweckt, und wie er nachschaut, ist ein Fremder draußen, der verlangt, man sollt’ ihm aufmachen, er sei verirrt und krank und könne nicht weiter. Wie wir ihn dann hereingelassen haben, ist ein junger Mann in einem Jägergewand, todtenblaß, der Frost hat ihn geschüttelt, daß er sich kaum hat aufrecht halten können, und über und über war er naß, daß ihm das Wasser vom Leib gelaufen ist … Er hat den Weg verfehlt gehabt und ist in Lech hineingerathen und hat sich mit Müh’ und Noth bis zu uns hergeschleppt …“

„Und Ihr habt ihn gar nit gefragt, wer er ist? Mit dem Burschen ist’s nicht richtig!“

„Warum? Hätten wir ihn fortweisen sollen? Der Vetter hat gesagt, ich soll ihm ein Bett richten, und wie wir in der Früh’ nach ihm gesehn haben, da ist er krank da gelegen, wie im hitzigen Fieber, und hat nichts von sich gewußt … ein paar Tag ist es wohl gefährlich mit ihm gestanden, aber der Vetter hat ihm fleißig von seinem Carmelitergeist gegeben, das hat ihn wieder curirt …“

„Ich bleib’ dabei und wett’ meinen Kopf darauf, daß er doch ein verdächtiger Kerl ist … ein Vagabund!“

„Nein!“ rief Kundel eifrig, „er sieht aus wie ein rechtschaffener Mensch … wie Vagabunden ausschaun, weiß ich gar zu gut!“

„So?“ erwiderte der Rothe lachend und mit höhnischem Blinzen. „Aber was geht’ mich an! Mir liegt er gut … Sag’ mir lieber, ob Du ganz vergessen hast, was wir vor einem Jahr miteinander geredt haben? Wie hast Du’s im Sinn?“

„Vor einem Jahr? Davon weiß ich nichts mehr.“

„Gut, daß ich ein besseres Gedächtniß hab’! … Der Vetter ist alt, Du bist seine einzige Befreundte, er giebt Dir wohl bald die Wirthschaft im Waldhaus über … eine flottere Wirthin muß es nicht geben, so weit der Himmel bairisch ist … nur der Wirth fehlt: hast Dir noch keinen ausgesucht? Ich wüßt’ Dir Einen zu verrathen!“

„Mach’ Dir keine Müh’, Du verdienst Dir dabei keinen Kuppelpelz … das steht noch im weiten Feld, aber das weiß ich gewiß, daß Du’s nit bist, der mir den Rechten verrathen kann.“

„Warum wohl?“

„Weil, wenn ich die Wirthin im Waldhaus werden sollt’, ich das Unterste zu oberst kehren will, und nur solche Gäst’ aufnehm’, die offen kommen und beim helllichten Tag!“

„So dumm wirst nit sein, Kundel!“ lachte der Rothe. „Wirst Dir nit selber das Geschäft verderben, das eine wahre Goldgruben ist! Was nur das Wildbrät allein tragen muß! Und dann erst alle die raren Sachen, die so auf der Abseiten herkommen, die ein Spottgeld kosten und für ein Heidengeld wieder fort wandern! Woher hätt’ denn der Waldhaus-Wirth sein vieles Geld?“

„Ich will von dem Geld und von dem Geschäft nichts wissen!“ erwiderte Kundel, „früher hab’ ich’s nicht verstanden, ich hab’s nicht überdacht und hab’ dem Vetter gefolgt – jetzt aber hab’ ich selber meinen Verstand, jetzt weiß ich, was ich von dem Allen denken muß … was geschehn ist, freilich, das kann ich nimmer ungeschehn machen – aber wenn ich noch länger beim Vetter und im Waldhaus bleiben soll, so muß es anders werden … ich will rechtschaffen sein und der Wirth vom Waldhaus muß ein rechtschaffener Mann sein.“

(Fortsetzung folgt.)




Auf der Landpraxis.

Wieder einmal ein Blatt aus dem liebsten Bilderbuche des deutschen Volks, aus dem seines eigenen Lebens.

Bekanntlich ist die sogenannte Genre-Malerei erst am Anfang des siebzehnten Jahrhunderts als ein selbständiger Zweig der bildenden Kunst aufgetreten. Im Gegensatz zur Historienmalerei, welche sich auf die Darstellung religiöser und heroischer Momente der Geschichte beschränkte, suchte sie auf dem Markt und in den Wohnstuben, in den Werkstätten und in den Wirthshäusern, in der Natur und selbst in den Kirchen das Volk auf, nicht um bestimmte Individuen an sich, sondern um Individuen als Typen einer bestimmten Gattung (daher ihr Name Genre-, d. i. Gattungsmalerei) zur Darstellung zu bringen.

Man kann die Entstehung derselben auch anders deuten. Die Historienmalerei hatte ausschließlich der Kirche und den Thronen gedient; das Volk fand auf ihren Bildern nur dann eine Stelle, wenn es zur Verherrlichung jener geeignet war. Da erwachte zuerst bei den Malern eines freien Volks der Gedanke, daß dieses Volk selbst der Darstellung werth sei, und so ist durch die Niederländer zur Heiligen- und Helden- die Volks-Malerei gekommen.

Was ist es nun, das in den Gemäldesammlungen und an den Bilderläden die dichtesten Gruppen theilnehmend Beschauender gerade vor die Genrebilder fesselt? Eben ihr Charakter als Spiegelbilder des Volkslebens, als Gattungs-Darstellungen, in welchen Jedermann, bald in den Gestalten, bald in der Handlung, liebes, altes Bekanntes, Heimathliches, Selbstgesehenes, Selbsterlebtes oder in der Erinnerung aus dem Elternmunde Aufbewahrtes wieder erkennt. Diese Freude hat alle von uns bisher mitgetheilten Genre-Bilder unseren Lesern so lieb gemacht, daß wir es für unsere Pflicht halten, ihnen immer von Zeit zu Zeit ein neues Blatt von diesem Volkslebensbaum vorzulegen.

Und ist es denn nicht wahr? Hat Niemand den alten Arzt auf dem Landstädtchen einmal gesehen, wie er von Dorf zu Dorf wandert, um die wenigen Kranken zu besuchen, welche das gesunde Landleben vorkommen läßt, und wie Sigismund ihn schildert?

„Er war ein schlichter Bauerndoctor nur
Der wacker sich geplagt hat Jahre lang,
Jedoch auf keinen grünen Zweig sich schwang
Und hinterließ von Schätzen keine Spur. –

Er war ein simpler treuer Krankenwärter,
Der theilnahmsvoll die armen Leute pflegte
Und weicher ihre Schmerzenskissen legte. – – –“

Und wer ihn nicht selbst sah, haben nicht die Eltern von ihm erzählt, von dem ernsthaften Mann mit der großen Schnupftabaksdose, der doch auch so freundlich und gut sein konnte? Und das kranke Kind, wer sah nicht schon irgendwo das liebe leidende Gesichtchen? Und die junge Mutter, über

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_228.jpg&oldid=- (Version vom 14.11.2022)