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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Bald war die Stille des Hauses mit jener der draußen waltenden Nacht ausgeglichen, nur über Hiesel wollte weder Ruhe kommen noch Schlaf. Auf dem ärmlichen Lager neben dem kleinen Fenster sitzend, blickte er in die Nacht hinaus. Es war dunkler geworden, ein feuchter Westwind hatte sich aufgemacht und ein Gewölk heraufgetrieben, das nun in wechselnden Gestalten wunderlich geballt am Monde vorüberflog.

Hiesel überdachte die Veränderung, die ein einziges Fürstenwort in seinem ganzen Leben hervorgerufen, die Wendung, die es seiner ganzen Zukunft gegeben, und unwillkürlich fühlte er sich von Bildern und Träumen umsponnen, die ihm, vom Zauberschein der Hoffnung beleuchtet, diese Zukunft zur Gegenwart umzuwandeln begannen. Er sah sich schon in seinem Schaffen und Wirken als Jäger und Förster; er sah das ihm bestimmte Jägerhaus vor sich – auf grüner Waldblöße lag es da, mit dem Hirschkopf und Geweih’ über der Thür … mit den lustigen grünen Fensterläden … er sah sich selbst, die Büchse auf der Schulter, auf das Haus in der Abenddämmerung zuschreiten … er sah in der Thür eine weibliche Gestalt stehen, die ihm schon von fern grüßend zuwinkte, eine Gestalt, die er nur einmal und nur kurze Zeit geschaut, und die ihm doch so klar vor Herz und Seele stand, als wäre sie längst darin eingeprägt, als sei nur eine bergende Hülle weggenommen, unter der sie lange verdeckt gelegen. Wie der eines Träumenden ruhte sein Blick auf dem kleinen umzäunten Platz vor dem Hause, auf den der Mond, eben wieder das Gewölk durchbrechend, die vollste Helle niedergoß, und wieder, wie ein aus dem Traum Erwachender, fuhr er sich über Augen und Stirn – denn durch die taghelle Dorfgasse kam wirklich eine eilende Mädchengestalt auf das Haus zu, die dem Bilde seiner Träume vollkommen glich: das konnte nicht mehr die Wirkung seiner erregten Einbildungskraft sein … das war ein lebendes Wesen, das war Monika – ganz so, wie er sie vor wenigen Stunden gesehen, nur über den Kopf war ein verhüllendes Tuch geworfen. Jetzt stand sie am Eingangsthürchen der Umzäunung, jetzt klinkte sie dasselbe auf – bei einer Wendung traf das volle Mondlicht ihr Gesicht … im Augenblick hatte der Lauscher das Fenster neben ihm geöffnet und lehnte sich hinaus. Bei dem Klirren des Fensters blickte sie empor … es waren wirklich Monika’s Augen, in die er wie in ein Stück blauen Himmels hineinschaute.

„Monika,“ flüsterte er hinunter, „träum’ ich denn oder bist Du es wirklich?“

„Hiesel …“ stammelte sie und mußte sich, athemlos vom raschen Laufe, auf die Bank vor der Hausthür stützen. „Gott sei ewig Lob und Dank, daß ich Dich gleich selber find’ …“

„So hast Du mich gesucht?“ fragte er hastig hinwider. „Was hat das zu bedeuten? Du bist ja ganz verschrocken und außer Athem?“

„Ich hab’ wohl Ursach’ … ich bin her’kommen, um Dich zu warnen, Hiesel … ich hab’ nit eher loskommen können von daheim, als bis Alles geschlafen hat … Du mußt fort, Hiesel, Du hast keine halbe Stund’ mehr Zeit … Du bist verrathen!“

„Verrathen? Was fällt Dir ein? Von wem?“

„Besinn’ Dich nit lang, Hiesel, sonst ist es zu spät … Die Jäger, mit denen Du zusammengetroffen bist am Erdweg, sind in der vollen Furie fort nach Friedberg auf’s Pfleggericht, der Pfleger hat mit dem Fuß gestampft vor Zorn und hat nach den Soldaten geschickt … sie holen Dich, es sind kaiserliche Werber, sie wollen Dich mit Gewalt fortführen und zum Soldaten machen … jeden Augenblick können sie da sein …“

„Ich komm’ hinunter,“ rief Hiesel, indem er die Büchse und seine Habseligkeiten zusammenraffte und mit den Zähnen knirschend vor sich hinmurmelte: „O die schlechten, die elenden Menschen! Also das sind die Versprechungen, die sie Einem machen! Nichts als Fallen und Schlingen, um mich aufzuhalten, um mich sicher zu machen, damit sie mich fein gewiß finden und wieder fein ohne Gefahr im Schlaf über mich herfallen könnten! … Es ist klar, der Bader, der schlechte Kerl steckt mit unter der Decken! Darum hat’s ihm so geeilt, daß er mir die Nachricht noch so spät in der Nacht hat bringen müssen, den Brief hat er wohl gar selber erdicht’! – morgen, haben sie geglaubt, wär’ der Vogel schon wieder ausgeflogen … O die elenden, die grundschlechten Menschen! Aber das soll das letzte Mal sein, daß sie mich genarrt haben… ich will’s ihnen merken und eintränken …“

In wenig Augenblicken stand er in voller Jagdrüstung vor Monika, Grimm in der Seele und doch mit einem noch nie empfundenen Wonnegefühl im Herzen, denn das Mädchen, das sein ganzes Dichten und Sinnen eingenommen, stand leibhaft vor ihm … er konnte nicht mehr zweifeln, daß auch sie an ihm Antheil nahm und ihm gewogen war. „Du bist es!“ rief er und ergriff feurig ihre Hand. „Du kommst, mich zu warnen? Du sorgst Dich also um mich?“

„Wie sollt’ ich denn nicht?“ erwiderte sie treuherzig. „Sind wir ja gar alte Bekannte und Spielcameraden!“

„Und der Hiesel hat Dir leid gethan, daß er ein so unglücklicher gehetzter Mensch hat werden müssen, und Du willst keinen Theil daran haben, willst mich nicht hetzen lassen, wie ein wildes Thier … Sag, Monika, hast Du mich denn gekannt, wie Du mich geholt hast zum Tanzen? …“

„Nein … aber Du bist mir so besonders vor’kommen und es ist gewesen, als wenn Jemand hinter mir gestanden wär’ und hätt’ mir in’s Ohr gesagt, daß ich Dich holen sollt’, nachher hab’ ich’s freilich gewußt, warum Du mir so sonderbar bekannt vorgekommen bist und warum’s mir gar so eigen um’s Herz worden ist … Aber um Gotteswillen, Hiesel, mach’ nur, daß Du fortkommst … Ich bin vom Erdweg statt zu der Bas’ dahergefahren, der Vater hat mir Post gethan, daß er’s so haben will … ich weiß nicht, warum, da ist bald ein reitender Bot’ von Friedberg ’kommen, der hat’s dem Vater angesagt, weil er der Vorsteher ist – sie haben’s gar heimlich gemacht, aber ich hab’s erlauscht aus der Nebenstuben … wie’s späte Nacht ist und Alles schlaft, wollen sie kommen und Dich fortschleppen …“

„Die Elenden!“ rief Hiesel, wieder auflodernd. „Und warum verfolgen sie mich schon wieder? Ich bin ja kaum wieder frei – was hab’ ich denn gethan, daß sie schon wieder die Hände nach mir ausstrecken und mich strafen und unglücklich machen wollen auf Lebenszeit … O, sie sind falsch, Alle miteinander; nur Du bist treu, Monika – nur Du, und ich will Dir’s nie vergessen, so wahr ich … so wahr ich meine Mutter selig lieb gehabt hab’ und so wahr ich außer ihr Niemand in meinem ganzen Leben so lieb gehabt hab’, als Dich! …“

„Um Gotteswillen … eil’ Dich, Hiesel, eil’ Dich …“

„O, ich will mich nit fangen lassen, ich will fort, aber ein einzig’s Wört’l gieb mir noch mit auf den Weg! Ich weiß wohl, was Du jetzt für mich gethan hast, das thut man für Niemand, als den man gern hat … aber sag’ mir’s doch: ich möcht’s gar zu gern hören von Dir … sag’ mir’s endlich heraus, daß Du mich gern hast!“

„Wenn Du mich gern hast,“ drängte das Mädchen, „so versäum’ keinen Augenblick mehr! Du mußt fort … sag’ nur, wohin Du willst, auf welchen Weg?“

„Am Besten ist’s, ich geh’ auf eine Weil’ aus Baiern fort … über’n Lech hinüber in’s Schwäbische …“

„So komm … in einer halben Stund’, wenn wir scharf fahren, können wir an der Bruck sein … Ich hab’ dem Vater sein Schweizerwägel hinten aus der Schupfen geschoben und die Füchseln angeschirrt … ich fahr’ Dich hin, zu Fuß kamst ihnen schwerlich mehr aus und wenn sie Dich erwischen thäten … Hiesel, es wär’ mein Tod!“

„Nein, Du sollst leben, Monika, ich will ihnen die Freud’ verderben! Komm’ nur … Hab’ freilich nit gedacht,“ fuhr er etwas innehaltend fort, „daß ich so Knall und Fall und bei Nacht und Nebel fort müßt’ … ich kann Niemand mehr ,B’hüt’ Gott‘ sagen … nit wahr, Du versprichst mir, Monika, daß Du morgen zu meinem Vater und zum Herrn Pfarrer gehst und ihnen Alles erzählst?“

„Alles, Alles, was Du willst … Sag’ nur, wo ich Dich find’ mit dem Fuhrwerk.“

„Der Weg führt ja am Freithof vorbei … dort wart’ ich auf Dich, Monika, dort hab’ ich noch einen Besuch zu machen … Du weißt es wohl?“

Einen flüchtigen Blick, in welchem die Ahnung des Nimmerwiedersehens lag, warf er noch auf das friedliche Vaterhaus; dann schritt er der Davongeeilten nach und kniete bald unter den Kreuzen des kleinen Dorfkirchhofs an einem frisch aufgeschütteten Grabe; es war noch kein Gras gewachsen über dem gebrochenen Mutterherzen.

Bald rasselte das leichte Wägelchen heran, mit kühnem Satz

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 226. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_226.jpg&oldid=- (Version vom 14.11.2022)