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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

„Gegen die Ehre?!“ fragte ich erstaunt.

„Ja, gerad’, und das ist nämlich so – wenn der Herr Amtmann verzeihn, daß ich ein bischen weit ausholen darf.“

„Sprechen Sie nur zu, Frau Mäder. Alles, was Sie zu sagen haben.“

„Ich dank’ Ihnen, Herr Amtmann, und ich will’s Ihnen kurz machen. Die Frau da und ich waren sehr gut freund miteinander und gingen zusammen in die Schul’ und in die Religion und wir hatten auch gleichzeitig die Hochzeit. Ich kriegte kein Kind und das war mir dererst auch ganz recht; ich weiß selber nicht, warum. Die Frau da aber kriegte ein Kind und ich stand ihr rechtschaffen bei und war gut mit dem Liebchen. Darnach aber hänselte sie mich, daß ich kein’s hätt’, und die anderen Frauen zogen mich auch damit auf, und da fing es schon mich zu krepschen an, daß ich keins hatt’; aber ich ließ mir’s nicht merken und that nun erst recht froh drum. Nun wurd’ der Wurm immer hübscher und die Frau da immer stolzer darauf, und hat sich gar sehr bethan damit und mich immer wieder gehänselt. Da wurd’ ich inwendig so wüthig und es ging mir schon gegen die Ehr’, daß ich kein’s hatt’, und ich hab’ bitterlich geweint. Und dann hab’ ich mich wieder gar sehr verstellt, und that heidenfroh, daß ich so los’ und ledig wär’, und that, als wenn ich überhaupt die Kinder nicht ausstehen möcht’. Aber wo ich nur eins erwischen konnte, ohne daß Jemand es estimirte, hab’ ich’s gedrückt und abgeschmatzt, und das Kind von der Frau da hatte ich absonderlich lieb. Darnach aber kriegt’ ich eine erschreckliche Wuth auf das Kind, weil die Frau da mir es immer und immer gar so stolz vor die Augen hielt und dann mir zum Trotz es so herzte und schmatzte und es ausputzte wie ein Christkindchen. Herr Amtmann, ich habe manchmal ’meint, ich soll vergehn vor Neid und Schmerz und Scham.“

Frau Mäder schwieg plötzlich, sie war ebenso erregt wie ermüdet. Ich wandte mich daher zu Frau Saalmann, die mit unveränderter Ruhe ihr zugehört und nur dann und wann wie mit einer stolzen Selbstzufriedenheit leise gelächelt hatte.

„Thaten Sie das denn wirklich so aus Absicht, Frau Saalmann?“ fragte ich.

„Accurat!“ antwortete sie ruhig, „und ich that’s grad deswegen, weil ich wußt’, wie es in ihr aussah und wie sie sich verstellen thät. Hätte sie zu mir gesagt: ‚So und so ist es in mir und es thut mir leid, daß ich kein Kind hab’!‘ wahrhaftig, es hätte mir dann auch leid gethan für sie. Ich hätte sie dann auch nicht mehr gehänselt und gestachelt und hätte mein Kind lieber ganz allein für mich daheim gehalten, als ihr damit weh zu thun. Aber wie sie’s machte und wie ich nun noch sah, daß sie auf mein Kind gar die Wuth hatte, da wollt’ ich accurat so thun, wie ich’s gethan.“ Frau Mäder hatte sich währenddem wieder erholt und fiel nun rasch ein:

„Ja, und so that sie mir’s immer mehr und ich konnt’ kaum mehr an mich halten und die Ehr’ fraß mir am Herzen wie ein giftiger Wurm. Und gerad heut’ war’s am allerschlimmsten, wie sie da mit ihrem Kind herausgestelzt kam, als ich vor der Thür stand, und wie sie mir’s vor den Augen herumtänzeln ließ und mich anstachelte, daß mir die Finger krumm wurden. Ich konnt’ und konnt’ mich nicht mehr halten. Es brach Alles in mir los: die Ehr und die Scham und der Neid und die Wuth, und ich hab’ geschimpft, das ist wahr. Und dann hab’ ich das Kind gezerrt und geschuppt, daß es schrie; das ist auch wahr.“

„Und da setzte ich mein Kind rasch in die Thürecke,“ fiel nun Frau Saalmann heftig und mit dröhnender Stimme ein, „und packte die Frau an, die mein Kind so verschimpirt hatte, und schlug sie, daß es klatschte. So hab’ ich ’than. Und so kam’s.“

Nun waren beide Frauen ganz still und blickten in scheuer Verlegenheit zu mir hin. Auch ich war verlegen. Mit einer bloßen Amtshandlung war hier wenig oder vielmehr gar nichts geschehen; wenigstens nichts, was nachhaltig Gutes wirken konnte. Eine gewöhnliche Moral zu predigen, schien mir auch nichts zu bedeuten. Plötzlich faßte ich Frau Saalmann scharf und tief ins Auge und sagte mit ernst eindringendem Tone:

„Sie haben mit Ihrem Kinde einen gottlosen Hochmuth getrieben. Sie haben das herrlichste Gut einer Mutter dazu benutzt, um eine Andere zu kränken. Frau Saalmann! Frau Saalmann! Wenn solch frevelhaftes Spiel nun an Ihnen bestraft würde? Wenn Sie Ihr Kind plötzlich verlören? Wenn –“

Da bebte die große, starke Frau zusammen und that einen dumpfen Schrei; ihr Gesicht wurde kreideweiß und um Mund und Nase zuckte es heftig. Sie schaute in Todesangst zum Fenster; dann erstaunt, fast erschrocken auf Frau Mäder, denn die kleinen braunen Augen derselben standen voll Wasser und waren mit dem Ausdruck angstvollen, rührenden Mitleids auf ihre zitternde und todesbange Gegnerin gerichtet. Diese schüttelte rasch und heftig mit dem Kopf; so, als ob’s nicht wahr sei, nicht wahr sein sollte, was sie da sehe; aber doch wurd’s ihr auch schon weich um’s Herz, bis auf einmal wieder die Todesangst um ihr Kind sie erfaßte und sie flehentlich ausrief:

„O Herr Amtmann! Herr Amtmann! lassen Sie mich gehn, mir ist’s, als wenn die Decke über mich einfiel. Mein Kind! mein Kind!“ Sie stürzte zur Thür, aber sie konnte nicht weiter und mußte sich festhalten.

„Ich seh derweil rasch nach dem lieben Engel!“ schluchzte Frau Mäder und trippelte rasch hinaus. Frau Saalmann schaute ihr wie träumend, doch auch sichtlich froh und beruhigt nach und folgte ihr dann langsam. Ich ging ihnen bald unbemerkt nach und ich sah, daß Frau Mäder in das Haus der Frau Saalmann jagte, dann mit dem Kind herauskam, es mit unendlicher Sorgfalt und inniger Zärtlichkeit hielt und herzte, mit triumphirenden Blicken es der Mutter entgegentrug und in deren Arme legte. Sie drückte es heftig an sich und küßte es inbrünstig, mit einem großen Aufblick nach oben; dann gab sie es wieder an Frau Mäder, und Beide lachten und weinten in einem Athemzug. A. Schl.     



Kleiner Briefkasten.

Tr. in Br. . . Herzlichen Dank für die reiche Spende! Wir freuen uns, daß der Anfangs d. J. veröfentlichte Aufruf, den in den Kriegshospitälern des amerikanischen Nordens liegenden verwundeten und siechen deutschen Landsleuten mit geeigneter Lectüre an die Hand gehen zu wollen, einen so guten Erfolg gehabt hat. Verschiedene deutsche Verleger sind bereitwilligst dieser Aufforderung nachgekommen, so daß wir in letzter Woche schon dreihundert und einige vierzig Bände – Belletristik, Touristisches, Naturwissenschaftliches u. a. m. – dem hiesigen Consulate der Vereinigten Staaten von Nordamerika zur Beförderung an die armen leidenden deutschen Brüder jenseit des Oceans übergeben konnten.

Wenn Sie dagegen meinen, daß die Eintausend Thaler, welche wir vor Kurzem an das Hülfscomité für Schleswig-Holstein zur Vertheilung unter die kriegsbeschädigten Alsener abgeben ließen, der einzige Beitrag gewesen sei, der von unseren Sammlungen nach Schleswig-Holstein gesandt worden ist, so irren Sie. Bereits früher haben wir Dreitausend und dreihundert Thaler nach Schleswig-Holstein abschicken können und außerdem noch beinahe Zweitausend Thaler bei einem hiesigen großen Credit-Institute für alle etwaigen Eventualitäten verzinslich angelegt. Sie sehen, daß wir nie die Hände im Schooß ruhen lassen, wenn es gilt, unser Scherflein für die nationale Sache beizusteuern.

F. in R. Sie müssen unser Blatt nicht ganz aufmerksam gelesen haben, die Gartenlaube hat schon sehr oft Veranlassung genommen, das in Deutschland leider nur zu wahre Sprüchwort „der Prophet gilt nichts in der Heimath“ zu variiren und namentlich auf die Ausländerei in Bezug auf die Erzeugnisse unserer deutschen Industrie als einen Schandfleck hingewiesen, von dem uns zu reinigen es nachgerade Zeit wird. Erst neulich haben wir von den englischen Nähnadeln aus Aachen erzählt; diesen bietet sich, wie uns mitgetheilt wird, ein würdiges Seitenstück mit dem englischen Glase aus Preußen.

Die großartigen Leistungen der Josephinenhütte bei Warmbrunn in Schlesien sind wohl vielen unserer Leser bekannt: minder bekannt dürfte es sein, daß die besten Glaswaaren dieses Etablissements nach England wandern, um als englisches Glas nach Deutschland zurückzukehren. Wie man uns meldet – wie gesagt, wir erzählen nur, was uns aus glaubhafter Quelle berichtet wird – wohnt nun in der nächsten Nachbarschaft dieser Josephinenhütte seit manchem Jahre ein Engländer, der von einer englischen Gesellschaft einen Gehalt von täglich einem Pfund Sterling erhält, blos damit er Jahr aus Jahr ein täglich das Neueste und Vorzüglichste von Gläsern und Krystallsachen an Ort und Stelle einkauft und nach England schickt.



Zur Nachricht!

Mit dieser Nummer schließt das erste Quartal unserer Zeitschrift. Wir ersuchen die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das zweite Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.


Aus dem reichen Schatze von Beiträgen, die neuerdings uns geworden sind und nach und nach zum Abdruck kommen werden, erwähnen wir u. A.: Erbrecht. Novelle von Levin Schücking. – Gleich und Gleich. Erzählung aus dem Ries, von Melchior Meyr. – Die Rache der Schwalben. Novelle von Ferdinand Stolle. – Balbina. Geschichte aus den Bergen, von Franz Hedrich. – Bilder von Deutschlands Westgrenze. Von Wilhelm Angerstein. – Czar und Czarewitsch. Russische Palastgeschichte, von Johannes Scherr. – Die Arbeiterstadt zu Mühlhausen im Elsaß. Von Albert Grün. Mit Illustration. – Eine Bärenjagd im bairischen Hochlande. Mit Abbildung. – Aus Deutschlands Vorzeit: Barbarossa und die Junker. Von Wilhelm Zimmermann. Mit Illustration von Plüddemann. – Die Vogelsprache, von Wilhelm Hamm. – Das Geheimniß des Tempels, von Johannes Scherr. – Aus dem Negerleben, von Friedrich Gerstäcker. – Ein unglückliches Genie, von Max Ring. Mit Illustration von Carl Raupp. – Eine Nachtrazzia der Berliner Polizei, von Gustav Rasch. – Aus der Bilderschau in meinem Zimmer, von Franz Wallner. – Die Judengasse in Frankfurt a. M. Mit Illustration. – Vor siebentausend Jahren, von Wilhelm Hamm. Mit Illustration. – Ein Tag im Hauptquartier des General Blenker. – Der Malerprinz aus Java. Mit Illustration vom Grafen Mensdorff-Pouilly. – Der Crocodilclub in München. Mit Illustration von Theodor Pixis. – Erinnerung an Otto Ludwig. – Ein lichtvolles Capitel.

Außerdem bleiben nach wie vor die Herren Bock, Carl Vogt, Roderick Benedix, G. Hammer, Schulze-Delitzsch, Temme, Georg Hiltl, G. Rasch, Arnold Schloenbach, Ludwig Steub, L. Walesrode etc. die regelmäßigen Mitarbeiter unsers Blattes, das auch im ablaufenden Vierteljahr die Zahl seiner Abonnenten um mehr als zehntausend wachsen sehen durfte.

Alle Postämter und Buchhandlungen nehmen Bestellungen an.

Leipzig, im März 1865. Die Verlagshandlung. 


Verantw. Redact. F. Stolle u. A. Diezmann – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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