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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Die Königin Hortense.
Nach dem früher auf Arenenberg befindlichen Oelgemälde von Gerard.
(S. „Der neue Cäsar und seine Mutter“.)


Unser Biograph hat sich indeß entschlossen, die reine, blanke, ungeschminkte Wahrheit überall zu geben, und dies ist der problematischste Punkt seines Buches, über den sich auch die Kritik, soviel uns bekannt geworden, einstimmig tadelnd ausgesprochen hat. Und doch gerade hierin ist sie, unserer Meinung nach, vollständig irre gegangen, was nicht unschwer zu beweisen sein wird. Carl Maria von Weber hat nämlich in Stuttgart eine etwas leichtfertige Jugendperiode gehabt und dem Vater desselben sind zu dieser Zeit einige Handlungen passirt, welche vor einer strengen Moral wohl die Augen niederschlagen mußten. Diese Punkte hat der berühmte Meister niemals, weder mündlich noch schriftlich, selbst seiner Familie gegenüber nicht berührt, er hat sie absichtlich der Vergessenheit überliefern wollen, und da sie auch bis zur Erscheinung der Biographie völlig unbekannt waren, so haben nun Manche aus der Enthüllung derselben dem Sohne den Vorwurf der Impietät gemacht und gemeint, auch er hätte sie in ihrem Dunkel ruhen lassen sollen.

Mir scheint im Gegentheil gerade in dieser Offenherzigkeit ein großer Vortheil für das ganze Buch zu liegen, ein großer Nutzen zugleich für viele Menschen überhaupt und Künstler insbesondere, und endlich eine wahrhafte Verherrlichung Carl Maria von Weber’s selbst. Die Fatalitäten, in welche der Meister in Stuttgart gerieth, konnten künftigen Forschern kein Geheimniß bleiben, denn es liegen Acten, Rescripte und dergleichen darüber in den Archiven vor, die ja, wie der Sohn sie gefunden hat, auch von Andern hätten gefunden werden können. In solchem Falle wäre aber dann dem Sohne die unterlassene Bekanntmachung solcher Umstände sicherlich als eine größere Sünde angerechnet worden, als jetzt deren Mittheilung, und sein Buch hätte den unschätzbaren Hauptvortheil seines Werthes unfehlbar eingebüßt: den der Treue und Glaubwürdigkeit. Denn wer einmal die Wahrheit verschweigt oder bemäntelt, dem kann man überall mißtrauen. Bei der Lectüre dieses Buches gewinnt man aber bald die Ueberzeugung, daß es keine Seite enthält, wo man zwischen die Zeilen lugen müßte, um die Wahrheit erst herauszuconjecturiren. Außerdem spricht sich der Autor mit einer solchen kühnen Freimüthigkeit über alle in dieser Biographie auftretenden Personen bis zu den höchsten hinauf aus, über Adel und Fürsten und über alle die faulen Zustände jener Zeit, – wo wäre ihm das Recht dazu hergekommen, wenn er seine eigenen Angehörigen hätte schonen und ihre Schwächen verschweigen oder in’s Schöne hätte malen wollen? Wie hätte er seines Vaters Schwächen in Stuttgart übergehen dürfen, wenn er über den regierenden Fürsten und den Adel daselbst Stellen hinschreibt, wie, um nur ein Beispiel anzuführen, die folgende?

„Zu gleicher Zeit fraßen des Herzogs (Carl v. Würtemberg) unsinnige Feldzüge, die rasende Verschwendung, mit der er seiner Leidenschaft für Jagd und Theater fröhnte, die Einkünfte des Landes, die zum großen Theil für diese Zwecke designirt, in einem außerordentlich starken Procentsatze, auf Seitencanälen von ihren Zwecken abgelenkt, in die Hände gemeiner Günstlinge flossen, welche sich nicht schämten, die Früchte eines schamlosen Drucks zu genießen, und jüdelnd den Ertrag des Judashandels mit dem Marke des Landes einstrichen. Die Uebertreibungen in des Herzogs Gelüsten; die Seen mit gewärmtem Wasser zu seinen Wintersumpfjagden; die wochenlang dauernden, halbe Quadratmeilen Ackerland verwüstenden, Krankheit und Elend über die Tausende armer, zum Treiben gepreßter Bauern verbreitenden Sauhetzen; die selbst Kaiser Joseph’s Staunen erregenden Aufführungen auf seinen Theatern zu Ludwigsburg und Stuttgart; das luxuriöse Ballet; die ungeheuern Gagen der Tänzer und Sänger; der unsinnige Hofstaat, in dem zwanzig fremde Fürsten und Grafen, ein Heer von adligen Damen diente und in den prächtigsten Hofanzügen und Livreen glänzte; die Orangengärten zu Ludwigsburg; die Tonnen Goldes kostenden Feuerwerke des Italieners Veronese etc. wären sämmtlich den Lüsten des Herzogs schmeichelnde Ausgeburten ihrer Speichelleckergehirne. – In den Sphären eines solchen Regiments war das grausame Schicksal Moser’s, Huber’s, Lenz’s und Schubart’s eine natürliche Pilzvegetation der allgemeinen Fäulniß.“

Außer dem angegebenen Grunde für das Vertrauen in die Wahrhaftigkeit des Autors, verwandelt sich aber bei näherer Prüfung die sogenannte Impietät des Sohnes in eine wahre Verherrlichung des großen Vaters.

In Verirrungen zu gerathen ist bei einer heißblütigen Jugend und genialen Natur, sowie bei der Neigung der Menschen überhaupt, ihren Trieben und Leidenschaften die Zügel schießen zu lassen, eine alltägliche Erscheinung. In sich zu blicken dagegen, sein Thun, und wohin es führen könne, zu prüfen, die gefährliche Bahn zu erkennen, den Entschluß zu fassen dieselbe zu verlassen, diesen Entschluß gegen alle dawider streitenden reizenden Verlockungen konsequent durchzusetzen – dazu vermögen sich nur wenige Menschen zu erheben. Carl Maria von Weber kam bald zur Erkenntniß seiner jugendlichen Thorheiten und überwand sie vollständig. Diese schöne Peripetie in dem Leben des Meisters stellt nun seinen Charakter nur um so höher. Und gerade diese große sittliche That wäre durch Vertuschung seiner Jugendschwächen nicht zur Kenntniß der Welt gekommen. Es ist aber für den Menschenfreund nicht gleichgültig, ob solche seltene Erscheinungen am Künstler übergangen oder an’s Licht gezogen werden. Individuen, die Großes vollbracht, sind für Andere Autoritäten, die zur Nachahmung reizen, und was ist der Nachahmung würdiger und das Glück der Menschheit fördernder und sichernder, als die Bezwingung seiner selbst?

Und eine weitere Lehre predigt dieser Fall speciell für die Künstler noch, die nämlich: daß man ein Genie sein und ein großer Künstler werden kann, ohne sich der Widerlichkeit und Sittenlosigkeit zu überlassen. Carl Maria von Weber hat seine schönsten, größten und genialsten Werke in der Periode seines Lebens geschaffen, in welcher er auch das Muster eines rechtschaffenen, sittenreinen, normal vernünftigen Menschen war, in den Augen der Ueberschwänglichen freilich ein wahrer Philister, der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 205. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_205.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)