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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

waren. Diese aber bemerkte man öfters, wie sie in einem kleinen, flinken Canoe die Insel umkreuzten und dann zuweilen an irgend einer einsamen Stelle des Ufers landeten, um dort unbeobachtet ein leises Gespräch mit ihrem Häuptling zu führen.

Es war an einem Sonntag Morgen, als der dem Leser schon bekannte Dampfer Saratoga, ein regelmäßiges Paketboot für den Oberen See, in den Hafen von Mackinaw einlief. Das Schiff hatte unterwegs einen kleinen Unfall gehabt, da an der Maschine Etwas zerbrochen war, und mußte deshalb einige Stunden länger als gewöhnlich anhalten, um den Schaden auszubessern. Diesen Aufenthalt wollten die Passagiere nicht unbenutzt lassen und so strömten sie denn über die Landungsbrücke an das Ufer, um die Stadt und deren malerische Umgebungen in Augenschein zu nehmen. Während der größte Theil der Ankömmlinge die steile Höhe erklomm, wo das alte Fort liegt und von wo man eine entzückende Aussicht über den Huron- und Michigan-See und die waldgekrönten Inseln der Enge genießt, blieb eine andere Gruppe am Hafendamm stehen, gleichsam unschlüssig, wohin sie sich wenden sollte. Ein Herr in elegantem Reiseanzuge schien das Factotum der Gentlemen zu sein, welche, rings um ihn stehend, die Meinung äußerten, daß sie gern Willens seien, sich seiner Führung anzuvertrauen.

„Ich mache den Vorschlag,“ sagte einer der Passagiere, „daß Mr. Jones, der schon öfters in Mackinaw gewesen ist und die Localität kennt, damit beauftragt wird, uns die Merkwürdigkeiten des Platzes zu zeigen.“

„Angenommen!“ riefen die Andern.

„Ich werde mein Bestes thun, Ihren Wünschen zu entsprechen,“ erwiderte Jones – denn der eben erwähnte Führer war Niemand anders, als der Mörder des deutschen Bergmanns. – „Sie müssen wissen, Gentlemen, daß das Schönste und Interessanteste hier bei Mackinaw die berühmte Felsenbrücke ist. Sie ist die höchste und längste in der Welt und übertrifft die bekannte virginische bei Weitem. Wenn Sie es wünschen, so engagiren wir einen Bootsmann und lassen uns auf der Stelle hinfahren, damit wir rechtzeitig wieder an Bord der Saratoga sein können.“

Dieser Vorschlag wurde sofort von der Gesellschaft acceptirt, und wenige Minuten später fuhr dieselbe auf einer kleinen Segelschaluppe am felsigen Strande der Insel hin, um das gerühmte Naturwunder vom Wasser aus zu betrachten. Kaum war das Boot eine halbe Meile unterwegs, als ein winziges Birkencanoe, von drei Indianern gerudert, aus einer kleinen, versteckten Bucht hervorschoß, sich dicht am Ufer haltend, derselben Richtung folgte und in unglaublich kurzer Zeit den Vorsprung gewann. Da, wo das kolossale Felsenthor seinen gigantischen Schatten über die unter ihm wogenden Gewässer wirft, verschwand es im Dunkel der Bäume, welche dicht am Saume des Strandes ihre Aeste weit über die sich kräuselnden Wellen hinausstrecken.

Nichts kann das Erstaunen und die Bewunderung übertreffen, mit welcher jetzt die Begleiter Jones’ diesen großartigen Bau der Natur betrachteten, als sie sich auf ihrem langsamern Fahrzeuge von der Seeseite her näherten. Die aus Kalkstein-Conglomerat bestehende Brücke zeigt sich von dem Wasser aus wie eine ungeheuere, knorrige Baumwurzel, welche in einer Höhe von zweihundert Fuß sich über einen Seearm spannt, der wohl einen Büchsenschuß breit ist. In der Mitte wird sie so schmal, daß sie von unten wie ein mäßig dicker Zimmerbalken erscheint und daß es einem schwindelt, wenn man die leichtfüßigen Jäger der Insel darüber wegschreiten sieht.

Nachdem die Gesellschaft von der Saratoga, in stummem Anschauen versunken, die Felsenbrücke eine Zeit lang von unten aus betrachtet hatte, machte Jones, der sich gern als Ortskundigen ausweisen wollte, den Vorschlag, das Boot an’s Ufer zu legen; er wolle dann die Gentlemen auf einem ihm bekannten Pfade auf das Plateau führen und von da auf das Thor selbst, denn von diesem Standpunkte aus habe man die ganze wundervolle Straße von Mackinaw zu Füßen.

Eine Viertelstunde später war die Gesellschaft auf der mühsam erstiegenen Höhe angelangt und schickte sich eben an, den nächsten Theil der Felsenbrücke zu betreten, der hier, dicht am Plateau, breit genug ist, so daß man ohne Gefahr eine Strecke weit darauf fortschreiten kann. Da fiel es einem der Gentlemen, der, wie alle Amerikaner, von dem Geiste des Wettens beseelt war, wenn es sich darum handelt, irgend einen waghalsigen Sport auszuführen, auf einmal ein, die Frage aufzuwerfen, ob sich wohl einer der Anwesenden getraue, die ganze Spannweite des Thores zu überschreiten.

„Ich wette fünfzig Dollars, daß es Niemand wagt!“ rief er aus.

„Sagen Sie hundert, und ich acceptire,“ antwortete sofort Jones, der sich auf seine körperliche Gewandtheit nicht wenig einbildete und, weil er schon bei einem frühern Aufenthalt in Mackinaw dies Wagestück ausgeführt hatte, sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen wollte, seiner eigenen Eitelkeit zu fröhnen und dabei ein gutes Stück Geldes zu verdienen.

„Das ist mir fast zu viel,“ erwiderte der erste Herr, „doch, wenn ich auch keine Silbermine besitze, wie Mr. Jones, so will ich doch die hundert Dollars riskiren. Ich wette also noch einmal, daß Mr. Jones es nicht wagt, die ganze Brücke zu überschreiten.“

„Und ich wette, daß ich von einem Ende zum andern auf meinen zwei Füßen gehen werde, und zwar aufrecht, wie ein Seiltänzer,“ prahlte Jones. Dann übergab er einem der Herrn zehn Golddollarstücke als seinen Einsatz; das Gleiche geschah von der Gegenpartei, und die Anwesenden wären keine Amerikaner gewesen, wenn sie sich nicht sämmtlich in größere und kleinere Wetten für oder gegen den improvisirten Blondin eingelassen hätten.

Die Gesellschaft folgte nun dem kühn voranschreitenden Jones auf der Felsenbrücke bis dahin, wo diese sich plötzlich von beiden Seiten verengt und zu einem kaum zwei Fuß breiten, knorrigen Strang zusammenschmilzt, der sich in der Länge von weit über zweihundert Fuß nach dem andern Ufer hinüberzieht und dort von ihm weitentgegenkommenden kolossalen Steinschichten gestützt wird. Während jetzt der verwegene Mann behutsam und anscheinend sicher über die gefährliche Stelle schritt und Aller Augen unverwandt auf ihn gerichtet waren, schoß auf einmal unter den Bäumen, welche das Ufer einsäumten, ein kleines Canoe hervor und näherte sich fast unbemerkt dem gewaltigen Bogen, mit welchem das Felsenthor den Seearm überspannt. Noch ein paar gewaltige Ruderstreiche, und es befand sich gerade unter der Stelle, wo die Figur Jones’ fast thurmhoch über den schwarzen Gewässern schwebte. Die beiden Indianer, welche die Führung des Canoes hatten, brachten dasselbe durch eine geschickte Bewegung zum Stillstand, und die Gestalt eines dritten, welcher bis dahin, in seine Decke vermummt, am Boden des Nachens gesessen, richtete sich wie durch Zauber in die Höhe. Diese unerwartete Erscheinung kam den Begleitern Jones’ einigermaßen befremdend vor, jedoch ahnten sie nicht eher die Gefahr, in welcher sich ihr Genosse befand, als bis dieser, von seiner Höhe hinunterblickend, den Häuptling erkannte und, von plötzlichem Schrecken ergriffen, zu straucheln anfing. Mit zitternden Knieen blieb er einige Secunden lang stehen, unschlüssig, was er in dem Augenblick thun solle, als er aber in den Händen Tawanka’s den Lauf einer Büchse blinken sah, kam er auf den einzig möglichen Gedanken der Rettung und wollte sich platt auf den schmalen Felsgrat niederwerfen, um so dem Schusse zu entgehen.

Doch es war zu spät! Tawanka hatte die kurze Pause dieser Unentschiedenheit benutzt. Ein Schuß dröhnte über das Wasser und das tödtliche Blei hatte den Feind erreicht. Der schwer getroffene Jones versuchte es freilich, sich anzuklammern, aber seine krampfhaft ausgestreckten Finger fanden keinen Halt mehr an dem harten Gestein, und so rollte er, einen furchtbaren Schrei der Verzweiflung ausstoßend, über die abhängige Kante des Felsgrats. Sein Fall von dieser Höhe war schwer, wie der eines Bleigewichts, und die Wellen bäumten sich hoch auf, als sein Körper mit der Geschwindigkeit eines Pfeiles untertauchte, so daß das Canoe, welches rasch auf die Stelle zuschoß, in ein heftiges Schwanken gerieth.

Einen Augenblick später sahen die von Schrecken gelähmten Begleiter Jones’, wie die Indianer die Leiche, welche inzwischen wieder aufgetaucht war, an ihr Fahrzeug zogen und wie derjenige von ihnen, welcher den Schuß abgefeuert, dieselbe im Umsehen scalpirte und die blutige Kopfhaut, seinen Kriegsgesang anstimmend, an dem Gürtel befestigte. Ehe man zu einem Entschlusse kommen konnte, hatten die Odschibbewas schon wieder ihre Ruder ergriffen und trieben ihr Canoe mit einer rasenden Schnelligkeit aus dem Seearme hinaus, von wo sie die Richtung nach dem Festlande von Michigan einschlugen und, um einen Vorsprung der Küste biegend, in kurzer Zeit aus dem Gesichte verschwanden.



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