Seite:Die Gartenlaube (1865) 199.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

mehr Genuß an einer heitern und geistreichen Unterhaltung, an der hingegen ihr Lohn wieder selten Antheil nahm, weil ihn das Salonleben überhaupt wenig anzog. Ganze Abende konnte er still und in sich gekehrt an sich vorübergehen lassen; nur hie und da warf er ein Wort hinein in die Unterhaltung. Erhielt diese eine größere Lebhaftigkeit, so ließ er sich nie in eine längere Besprechung ein, sondern gab in kurzen und bestimmten Ausdrücken seine Meinung ab.

Man bemerkte in seinen Worten und in seinem Wesen nie etwas Schwankendes; immer sprach er in seinen Antworten einen klaren und scharf ausgedrückten Gedanken aus. Gerieth das Gespräch auf seinen Onkel, den Kaiser Napoleon, welchen er wie einen Gott verehrte, und gewann es den Anschein, als ob jemand eine Gesinnung oder Handlung desselben unrichtig auslege, so stieß er seine Berichtigung oder Widerlegung scharf und schnell heraus. Er war ebenso entschieden und beharrlich in Vorliebe und Abneigung, hatte nie unstäte Einfälle, und Ungereimtheiten waren ihm fremd. Was er aber einmal wollte, verfolgte er ruhig, still und fest, weshalb ihn die Mutter „le doux entété“ (den sanften Eigensinnigen) nannte.

Für Kunst hatte er wenig Sinn. Begannen die musikalischen Unterhaltungen im Salon, so faßte er seine Gäste am Kleide und sagte: „Kommen Sie, wir wollen hinübergeben“ (d. h. in seine vom Schloß getrennte Wohnung). Ebenso sprach ihn die schöne Literatur nur in geringem Grade an. Meinten Buchon und Andere durch einen ausdrucksvollen poetischen Vortrag die Gesellschaft zu fesseln, so fing der Prinz an zu gähnen. Hingegen interessirte ihn die Industrie, besonders die Mechanik. Ueber Versuchen und Verbesserungen darin zu grübeln, war seine Lust, namentlich wenn er dieselben auf das Artilleriewesen anwenden zu können glaubte.

Die Natur machte keinen sonderlichen Eindruck auf ihn, und doch ist es so schön auf dem einsamen Arenenberg! Von der Terrasse hinter dem Schloß hat man eine entzückende Aussicht in eine stille, idyllische Gegend. Zu den Füßen liegt der ruhige Untersee, in dem wie auf einer schwimmenden Insel die alte einst so berühmte Abtei Reichenau mit ihren höchst interessanten Kirchen herüberschaut. Ihr gegenüber auf dem Festlande steht einsam und verlassen das ehemalige fürstbischöflich constanzische Schloß Hegne, welches einst fröhliche Tage gesehen. In nicht weiter Entfernung folgt das alte Allensbach und die Stadt des heiligen Radolf, mit ihrer gegen die Reichenau sich erstreckenden Halbinsel Metnau, welche früher durch eine Straße mit ihr verbunden gewesen sein soll.

Von Radolfszell west- und nordwärts ragen die ehemaligen Vulcane des Hegaus, theils Basalt, theils Klingsteingebilde, aus der Ebene empor, ebenso reich an Naturerzeugnissen, wie an Trümmern, die ihre Kuppeln im Mittelalter als stattliche Burgen schmückten. Vor allen zeichnet sich Hohentwiel, einst der Sitz der alemannischen Herzoge, später ein Kloster und zuletzt eine erst im Jahre 1800 zerstörte würtembergische Festung, mit seiner herrlichen Aussicht aus. Neben ihm steigt schlank und kühn das ehemalige Raubnest Hohenkrähen mit seinem neckischen Burggeist Poppele empor, während der dreigipflige Hohenstosseln mit ebensoviel Burgtrümmern die Gegend beherrscht und der massenhafte Höhenhöven und das Stettener Schlößchen in nebelhafter Ferne dem unbewaffneten Auge nur als kleine Hügel erscheinen.

Gegen Untergang der Sonne schiebt sich der waldige Schienenberg wie ein gewaltiger Keil zwischen den sogenannten Radolfszeller und Bernanger See hinein, mit seinen weitbekannten Oeninger Versteinerungen auf dem Rücken, der stillen Bischöfshöri und Burgen untergegangener Geschlechter an seinem Fuße. Die Landzunge, auf welcher Berlingen, das alte Bernang liegt, schließt nach Westen ab. Mehrere Erdzungen strecken sich in den ruhigen See hinaus und versteckt und malerisch liegt in einem Winkel das Dorf Mannenbach. Gegen Mittag steigt ein Berg, zerklüftet durch mächtige Erdrisse, hier Tobel genannt, zu einer ziemlichen Höhe an. Frei die Gegend überschauend steht hoch der Eugensberg, erbaut vom ritterlichen Herzog Eugen von Leuchtenberg, und nur wenige Minuten von Arenenberg entfernt auf einem Felsenklotze die Burg Salenstein, einst Besitzthum der Abtei Reichenau.

Vom Schloß aus verstecken Wald und Bäume die Aussicht nach Osten. Ein Pavillon, nur wenige Minuten davon entfernt, gewährt aber die weiteste Aussicht nach Constanz und den glänzenden Bodensee, und über diesen hinaus in die Tiroler und baierischen Alpen, die im bläulichen Dufte zerfließen. Hier nahm die Königin oft in den schönen Nachmittagsstunden den Thee, unterhielt sich mit Musik und Gesang, oder ließ eine ausgewählte Gesellschaft Tonkünstler im nahen Wäldchen spielen.

Mit der Nachbarschaft wurde vom Arenenberg sehr freundlicher Umgang gehalten, und die angesehenern Familien eben so wohlwollend besucht wie empfangen. Besonders war es die Familie Ammann in Ermatingen, mit der man auf vertrautem Fuß stand, da die Söhne in ungefähr gleichem Alter mit dem Prinzen waren. Jetzt noch besorgt Herr Friedrich Ammann die Verwaltung des Arenenbergs und steht mit dem Kaiser in stetem Verkehre.

An Besuchen und Gästen fehlte es nie auf dem gastlichen Schloß. Die verwittwete Großherzogin Stephanie von Baden, die Fürstin von Sigmaringen, der alte und liebenswürdige Oheim, Marquis von Beauharnais, der verwandte Graf Tascher de la Pagerie, gewesener Adjutant des Kaisers, sowie die Jugendfreundinnen der Königin, die Herzogin von Ragusa, die Wittwen der Marschälle Duroc und Ney, waren öfters auf Arenenberg und fanden immer die liebevollste Aufnahme. Auch Frau Campan, in deren Erziehungs-Institut die Königin gewesen war, besuchte noch kurz vor ihrem Tode ihre liebe Pflegetochter, welche sich als die treue Beschützerin ihres verlassenen Alters erwiesen hatte. Bei festlichen Anlässen wurden kleine theatralische Vorstellungen gegeben, zu welchen öfters die thurgauischen Nachbarn eingeladen wurden und in denen sich die Königin in Darstellung von Rollen aus dem Volksleben in harmlosen Leichtigkeit und Heiterkeit gehen ließ. Besonders nah stand Hortense als bewährter treuer Freund der edle Freiherr Heinrich von Wessenberg, welcher der häufige, immer hoch willkommene Gast im Schlößchen war.

Da Hortense auch in der Verbannung nie des schönen Frankreichs vergaß, so blieb sie mit allen Erscheinungen der Literatur desselben vertraut. Besonders sprach sie die Poesie an. Es war daher kein Wunder, wenn Dichter und Maler immer bereitwillige Aufnahme fanden. Unter ihnen zeichnete sich Chateaubriand und Casimir de la Vigne aus. Letzterer, ein ganz unabhängiger Charakter, welcher einen Jahrgehalt und das Kreuz der Ehrenlegion aus der Hand der Bourbonen verschmäht hatte, verlebte einen Sommer auf Arenenberg und führte Fräulein Elisa von Courtin, das Hoffräulein, als Braut nach Hause.

Weil der Winter gar zu einsam auf dem Arenenberg war, so machte alsdann Hortense durch mehrere Jahre eine Reise nach Rom, auf welcher ihr Sohn sie begleitete. In Florenz, wo der ehemalige König von Holland seinen Aufenthalt genommen hatte, wurde acht oder vierzehn Tage verweilt, und Louis konnte dann mit seinem Bruder verkehren. Einstmals ging der König nach Marienbad in Böhmen und Louis durfte ihn begleiten, während sein älterer Bruder unterdessen auf dem Arenenberg blieb.

Bis jetzt hatten die Napoleoniden scheinbar ein Stillleben geführt und um die Welt draußen sich wenig bekümmert. Die Bourbonen schienen auf dem alten Throne, welchen ihnen die fremden Bajonnete wieder verschafft hatten, fest zu sitzen, als plötzlich die Julirevolution im Jahre 1830 sie, welche nie die neue Zeit begreifen lernten, von demselben stürzte. Die Pariser Revolution hatte den Funken der Freiheit in allen Ländern entzündet. In Italien entstand eine republikanische Verschwörung, die zum Ausbruche kam. An ihrer Spitze standen die beiden Söhne der Königin Hortense. Das Unternehmen endete unglücklich. Der ältere der Prinzen starb in Forli, und der jüngere konnte nur durch das entschlossene[WS 1] und kluge Benehmen seiner Mutter, die Alles für ihn wagte, gerettet werden. Sie beschrieb den ganzen Hergang in einem äußerst interessanten Schriftchen unter dem Titel: „Meine Reisen in Italien, Frankreich und England im Jahre 1831“. Von jetzt an brüteten Mutter und Sohn über dem Gedanken, wie letzterer zu der Würde emporsteigen könne, welche ihm schon an der Wiege in Aussicht gestellt war. Niemand von allen Napoleoniden glaubte so fest und zuversichtlich an den Stern des Kaisers Napoleon und an den Beruf seiner Angehörigen zur Fortsetzung seines Werkes, als Hortense. Es war ihre tiefe Ueberzeugung und der mächligste Beweggrund ihrer Bestrebungen, daß ihr Sohn ein Recht auf den Thron von Frankreich habe, so lange nicht das französische Volk die Napoleonische Familie desselben für

verlustig erklärt hätte. Aus diesem Grunde eiferte sie ihren Sohn

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: entschossene
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 199. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_199.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)