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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

es dasselbe sei; die Bauern stießen einander an und lachten; die Jäger standen unschlüssig – der Fremde allein saß ruhig an seinem Platz und that einen Zug aus seinem Kruge.

Ehe das allgemeine Staunen Wort und Ausdruck finden konnte, erscholl aus dem Hause und den Vorplatz entlang der Lärm einer zankenden Männerstimme, in welche die hellere eines Weibes keifend einfiel und das Weinen eines Kindes sich mischte. Einer der Jäger kam aus der Küche herbei und schleppte einen Bauernknaben mit sich, den er am Halse gefaßt hielt. Die Wirthin folgte mit feuergeröthetem Gesicht und hochaufgestülpten Aermeln, wie sie am Heerde gestanden war. „Da ist der Nußberger-Hallunk!“ rief der Jäger. „Ich war in die Küch’ gegangen, um meine Tabakspfeife anzubrennen, da sitzt der Bursch ganz frech am Heerd und läßt sich’s schmecken!“

Bauern und Gäste drängten sich um die Jäger und ihren Gefangenen, einen trotzigen Knaben von etwa zwölf Jahren, der zwar todtenblaß aussah, aber, nachdem der erste Jammer überstanden war, seine Feinde mit thränenlosen, grimmigen Augen anstarrte, er verzog keine Miene, als ihm der Eine die Arme zurückschränkte und auf dem Rücken zusammenschnürte, daß sie sogleich zu schwellen anfingen.

„Und warum,“ rief die Wirthin, „soll das Bübel nit essen, was ich ihm gegeben hab? Er ist in meine Kuchel gekommen, völlig erlegt und ausgehungert, und ich möcht’ wissen, wer sich unterstehn darf, ihn aus meiner Kuchel fortzuführen!“

„Schweig’ die Frau Wirthin,“ rief der Jäger, „der Bub’ ist ein Wilddieb, und weil wir nur einmal den Jungen haben, wird uns der Alte auch nicht auskommen! Wo ist der Vater, Lump?“ fügte er hinzu, und versetzte dem Knaben einen Stoß in den Rücken.

„Sucht ihn, wenn Ihr’s wissen wollt!“ antwortete dieser keck; der Jäger holte aus, um wieder nach ihm zu schlagen, aber die Wirthin trat abwehrend dazwischen.

„Laß Er das Bübel in Ruh!“ rief sie. „Ich, die Wirthin am Erdweg, ich leid’s einmal nicht, daß Er ihn so tractirt! Wenn Er ihn mitnehmen muß, in Gottes Namen – aber zu schlagen braucht Er ihn darum nicht! Was kann es denn so Schreckliches verbrochen haben, das halbgewachsene Bübel da?“

„Sein Vater hat einen Hasen gefangen und im Stadel unterm Klee versteckt – der Bub’ hat’s gewußt und hat ihn doch verleugnet.“

„Und deßwegen soll das Bübel in’s Gefängniß?“ rief die Wirthin wieder. „Schamt’s Enk in’s Herz hinein, Ihr Jaga, wenn Ihr nichts Bessers zu thun wißt! Gebt’s zu und laßt den armen Teufel laufen!“

„Daß ich ein Narr wär’ und den Vogel wieder ausließe, den ich in der Hand habe!“ rief der Jäger. „Der Spitzbub’ muß in’s Loch und auf die Bank … so gehört sich’s.“

Die Bauern sahen unmuthig zu, wie er sich anschickte, seinen Gefangenen fortzubringen; sie murrten und schalten, aber sie wagten keinen Widerstand. Wäre es auch ein Leichtes gewesen, den Knaben zu befreien, so wußten sie doch, daß die Folgen davon nur desto schwerer auf sie selber zurückgefallen wären.

Da drängte ein gewaltiger Arm mit einem Ruck die Umstehenden nach beiden Seiten auseinander, und in der Mitte, dem Knaben und den Jägern gegenüber, stand der fremde Jäger. Er hatte mit einer raschen Wendung seine Stellung so genommen, daß er den Tisch mit den Gewehren im Rücken hatte.

„Komm her, Kleiner,“ sagte er zu dem Knaben, zog ein blinkendes Waidmesser und schnitt ihm mit einem Zuge die Stricke von den Händen. „Lauf’ zu … es darf Dir Niemand was anthun!“

„Hat ein Christenmensch jemals eine solche Frechheit gesehen?“ rief der Waldhüter, als er vor Staunen kaum zu Wort zu kommen vermochte.

„Was untersteht sich der Herr?“ riefen die Andern. „Was soll das heißen?“

„Das soll heißen …“ entgegnete der Fremde gelassen, nachdem er rasch hinter sich einen Stutzen ergriffen hatte und den Hahn knacken ließ … „daß Ihr noch drei Minuten Zeit habt, Euch aus dem Staub zu machen! Wer nach drei Minuten noch da ist, dem blas’t meine Kugel das Lebenslicht aus!“

Gemurmel des Beifalls wurde laut; die Bauern drängten vor, der Jäger aber schrie: „Wer ist denn der freche Kerl, der sich so was mit landesfürstlichen Bediensteten erlaubt?“

„Nicht gefragt und nicht gemuckst!“ rief der Fremde gebieterisch entgegen. „Ich zähle – wenn ich auf Drei noch einen von Euch vor mir seh’, so kracht’s!“

„… So laßt uns doch wenigstens unsere Büchsen mitnehmen!“

„Nichts da! Die bleiben hier als Pfand, morgen könnt Ihr sie beim Wirth abholen – den Stutzen von dem Waldhüter aber, weil er gar so gut hintragt, den behalt’ ich als Andenken! Also frisch, Jäger … Eins …“

„Vermaledeiter Kerl!“ erwiderte der Jäger, sich zurückziehend. „Aber wir treffen Dich wieder und dann Gnad Dir Gott …“

Ehe die verhängnißvolle Drei ertönt hatte, waren die Jäger nicht mehr zu sehen; schallendes Gelächter geleitete sie, der Knabe war entflohn.

Der Fremde ging die Stiege hinab; nach den ersten Stufen jedoch wandte er sich nochmals um. „Halt,“ sagte er, „bald hätt’ ich darauf vergessen! … Tiras, komm, da herein … Tiras, komm zu mir!“

Dieser Ruf brachte den Krämer, der wie geistesabwesend dagesessen hatte, mit einmal zu sich. „Was?“ rief er aufspringend. „Meinen Hund will Er mitnehmen? Die Kränk’, das ging mir auch noch ab! … Tiras! Hieher!“ lockte er entgegen. „Herein! Couche! Herein!“ Der Hund aber that, als kenne er ihn und seinen Ruf gar nicht, und schritt dem Fremden auf dem Fuße nach.

„Gieb Dich nur drein!“ rief dieser zurück. „Deinen Hund siehst Du heut zum letztenmal – dafür hast Du den bairischen Hiesel zum erstenmal gesehn … Jetzt kennst Du mich doch, wenn Du mich fangen willst!“

Ein Blick nach den Fenstern des obern Stockwerks, dann war er verschwunden – die er gesucht, hatte er nicht erblickt. Sie hatte das Vorgefallene mit angesehen und gehört und verbarg ihre Augen hinter den Händen … sie strömten über von Thränen, von Thränen des bittersten Grams und doch so voll unendlicher Seligkeit.

Die letzten Worte des Wildschützen hatten die Ahnung, die schon in den Bauern aufzudämmern begonnen, zur Gewißheit gemacht, ein Ausbruch allgemeinen Jubels war die Folge. „Juhe, der bairische Hiesel ist wieder da!“ rief der Junge. „Freut Euch, Ihr Schergen und Jaga, jetzt geht Eure gute Zeit wieder an!“

„Nein,“ rief der Alte lustig darein, „für uns Bauern fangt die gute Zeit wieder an! Macht’s mir mein Leibstück auf, Musikanten … jetzt wird’s bald ein End’ haben mit dem Wildschaden und dem Strafen und der Jagdschinderei! Spielt’s mir das Gesang’ vom bairischen Hiesel auf und wir Alle singen mit … Juhe, der bairische Hiesel soll leben!“

Die Pfeifen und Hörner fielen ein und begleiteten das Lied, das, in jenen Zeiten entstanden, noch lange nicht verklungen ist im Munde des Volks:

Bin i der bairisch Hiesel,
Koa Angel geht mir ei’,
Drum fürcht i a koan Jaga
Und sollt’s der Teufel sei’!
Im Wald drauß’ is mei’ Heamat
Im Wald drauß’ is a Leb’n:
Da schieß’ ich d’ Reh’ und Hirschen
Und Wildschwei’ a daneb’n!

Es giebt koa schöner’s Leben,
Als i führ’ auf der Welt,
Die Bauern geb’n mir z’ essen,
Und wenn ich’s brauch’, noch Geld.
Drum thu’ i d’ Felder schützen
Mit meine tapfern Leut’,
Und wo i nur grad hi’komm
Ui Gott, is das a Freud!




2.

Dem schönen Herbsttage war eine klare, aber kühle Nacht gefolgt; der Vollmond stand hoch am dunklen Himmel und warf sein hellstes Licht über die feuchten Wiesen und Anger an der Paar und auf die schwarzen Gebüsche an deren Ufer. Darunter hin, wo der Schein durch Laub und Zweige den Wasserspiegel erreichte, blitzte ein greller Widerschein und in weiter Ferne zeigte ein weißlicher Nebelstreifen die Niederungen an, welche zum Lech hinabstiegen. Tiefe Ruhe, athemlose Stille lag auf der Flur, wie auf dem Dorfe; nur der im Mondenglanz schimmernde Mühlschuß rauschte gleichtönend fort und manchmal schlug hie und da

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 195. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_195.jpg&oldid=- (Version vom 11.11.2022)