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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

und echte Weiblichkeit. Selbst ein kleiner Anstrich von geistiger Coquetterie erhöhte nur die Anmuth ihrer ganzen Erscheinung. Dabei fehlte es ihr keineswegs an Tiefe des Gefühls und bei aller Lebhaftigkeit an ernstem Sinn. Gern und oft beschäftigte sie sich mit den großen Fragen der Menschheit und ihr freier Geist lehnte sich schon damals gegen die Vorurtheile des Glaubens und der Gesellschaft auf. Zu diesen inneren Vorzügen gesellte sich noch der Reiz der äußeren Gestalt, der hohe, schlanke Wuchs, die feurigen blauen Augen, welche in auffallend pikanter Weise mit dem dunklen Haar und dem brünetten Teint contrastirten.

In dieser Gesellschaft fand Schiller eine Befriedigung, die er sonst in seinem meist leidenschaftlichen Verkehr mit anderen Frauen vermißt hatte. Es bedurfte keiner besondern Aufforderung für ihn, um einen ganzen Sommer in der Nähe der ihm so lieb gewordenen Familie von Lengefeld zu verleben. Größtentheils um ihretwillen hatte er Weimar verlassen und sich in Volkstädt bei dem dortigen Cantor eingemiethet. Ja, er ging sogar mit dem Plane um, ganz nach Rudolstadt zu ziehen, da ihn die späten, nächtlichen Spaziergänge häufigen Erkältungen aussetzten. Mit dieser Nachricht gedachte er heute die Freundinnen zu überraschen und das war auch der Grund seines zufriedenen Lächelns, mit dem er den Frauen jetzt entgegentrat. Die würdige Matrone streckte ihm schon von weitem freundlich ihre Hand entgegen und forderte ihn auf, an ihrer Seite auf dem „Kanapee“, seinem Lieblingssitz, Platz zu nehmen, während die Töchter mit sichtlicher Freude Schiller begrüßten: selbst das muntere Hündchen der Frau von Lengefeld gab durch fröhliches Bellen und Wedeln sein Vergnügen über den Besuch des ihm wohlbekannten Hausfreundes zu erkennen.

Bald war die Unterhaltung lebhaft und allgemein im Gange: der Dichter mußte von seinen neuen Arbeiten, von seiner „Rebellion der Niederlande“ und dem „Geisterseher“ berichten, für den sich die Damen besonders lebhaft interessirten. Einzelne Bruchstücke, die er ihnen aus beiden noch unvollendeten Werken jüngst erst vorgelesen, hatten ihre Neugierde im höchsten Grade gespannt. Lächelnd gestand ihm Charlotte, daß sie die ganze vergangene Nacht von „Oranien“ geträumt, aber noch angenehmer als diese dem Dichter schmeichelhafte Aeußerung aus ihrem Munde berührte ihn ihre ängstliche Sorge um seine Gesundheit, indem sie ihm gestand, daß der ihn quälende Husten und die damit verbundene Schlaflosigkeit sie ernstlich beunruhigten; wobei sie hinzusetzte: „Ich hätte Ihnen gern eine Nacht Schlaf geopfert, dachte ich heute früh, und hätte mich gefreut, wenn der Morgen mich schlaflos gefunden hätte, daß Sie dafür ruhten.“

Schiller dankte ihr mit einem warmen, liebevollen Blick und ergriff zugleich die Gelegenheit, die Familie mit seinem Vorsatze bekannt zu machen, daß er, um ihr noch näher zu sein, fortan in Rudolstadt seinen Wohnsitz aufschlagen wolle. Heimlich flüsterte er der erröthenden Charlotte im scherzenden, aber doch ernst gemeinten Tone die Worte in das Ohr: „Gern wohnte ich Ihnen gegenüber. Ich brächte dann einen Spiegel in meinem Zimmer an, daß mir Ihr Bild gerade vor den Schreibtisch zu stehen käme, und dann könnte ich mit Ihnen sprechen, ohne daß es ein Mensch wüßte.“

Die Nachricht selbst wurde von den Frauen mit großer Befriedigung aufgenommen und die Umsiedlung schon für die nächste Woche festgesetzt. Caroline glaubte eine für Schiller nicht minder interessante Mittheilung machen zu können, indem sie ihm einen Brief aus Weimar zeigte, worin die Rückkehr Goethes aus Italien gemeldet wurde. Hieran knüpfte sie zugleich den Wunsch, daß beide Dichter sich kennen lernen und einander näher treten möchten, wozu ein Besuch des mit der Familie Lengefeld ebenfalls befreundeten Goethe die beste Gelegenheit bieten dürfte. Zu ihrem Erstaunen schien Schiller weder ihre Freude, noch ihre Begeisterung für den Dichter des „Werther“ und der „Iphigenie“ zu theilen. In ihrem natürlichen Enthusiasmus hatte sie sich bereits die Begegnung des Genius mit dem Genius in den lachendsten Farben ausgemalt und damit besonders für Schiller’s Zukunft die reizendsten Aussichten und Pläne verbunden. Dieser fühlte jedoch für Goethe keineswegs eine gleiche Bewunderung und noch weniger Symnpathien mir dem „Geheimrath“. Unwillkürlich beneidete er den „Sohn des Glücks“, dem die goldenen Aepfel ohne Mühe in den Schooß fielen, während ihn, bis jetzt das mißgünstige Geschick nur seine bitteren Früchte kosten ließ. Noch in diesem Augenblick mußte er mit den Wogen und Stürmen des Lebens kämpfen, wogegen sein glücklicher Nebenbuhler längst in den sichern Hafen ein gelaufen war. Selbst als Dichter fand er sich von ihm benachtheiligt, indem die klassische Ruhe und Formvollendung der Goetheschen Poesie der sturm- und drangvollen Muse Schiller’s von den meisten Gebildeten vorgezogen wurden, nur, weil ihm in seiner vielfach bedrängten Lage nicht gestattet war, seine Schöpfungen an einer günstigeren Sonne reifen zu lassen. Hierzu kam noch die tiefe innere Verschiedenheit der beiden Männer, ihres Charakters, Bildungsganges und Talents.

Dennoch konnte sich Schiller der wohlgemeinten Aufforderung der ihm befreundeten Familie nicht entziehen; eine gewisse Theilnahme, die er trotz aller Abneigung nicht zu unterdrücken vermochte, ließ ihn sogar mit Ungeduld den angekündigten Besuch Goethe’s im Lengefeld’schen Hause erwarten. Endlich erschien der Gefeierte in Rudolstadt am 9. September 1788, umgeben von einem Kranz anbetender Frauen, darunter Frau von Stein und die Gattin seines Freundes Herder. Die Begegnung der beiden Dichter, von welcher die Schwestern sich ein inniges Freundschaftsbündniß versprachen, erfolgte, ohne jedoch ihre Wünsche zu erfüllen. Zwar wurde die Bekanntschaft zwischen ihnen leicht und ohne den mindesten Zwang gemacht, aber der große Kreis der Anwesenden und die tiefe Verschiedenheit ihrer Naturen hinderten jede vertrauliche Auslassung und Annäherung. Schon die äußere Erscheinung beider, als sie einander gegenüberstanden, bekundete den inneren Gegensatz: Goethe kräftig und gedrungen, breitschultrig mit gebräunten Wangen, feurig klaren Augen, bewegte sich sicher und überlegen, mit dem vollen Gefühle seiner Würde und Bedeutung in dem Kreise, dessen Mittelpunkt er bildete, wogegen der hagere, unbeholfene Schiller mit den schwärmerischen blauen Augen und den transcendentalen Zügen kaum eine Beachtung zu beanspruchen schien. Der Tag war mild und schön. Frau Herder und Frau von Stein saßen mit Frau von Lengefeld auf jenem Kanapee, das Schiller so liebte, die beiden Dichter aber lustwandelten in den Gängen des Gartens, und Caroline und Charlotte folgten vom offnen Fenster aus mit gespanntester Aufmerksamkeit den Promenirenden. Während aber Goethe sprach und von seiner italienischen Reise eine geistvolle Schilderung gab, sah sich Schiller zu der passiven Rolle eines bloßen Zuhörers verurtheilt, obgleich auch er sich dem Zauber der sonoren Stimme und dem hinreißenden Vortrage des geborenen Erzählers nicht zu entziehen vermochte.

Trotzdem fühlte er schärfer als je den Zwiespalt ihres Wesens, die Verschiedenheit ihrer Naturen. Unter dem frischen Eindrucke dieser Begegnung schrieb er seinem Freunde Körner in Dresden: „Im Ganzen genommen ist meine in der That große Idee von ihm nach dieser persönlichen Bekanntschaft nicht verändert worden; aber ich zweifle, ob wir einander je sehr nahe rücken werden. Vieles, was mir jetzt noch interessant ist, was ich noch zu wünschen und zu hoffen habe, hat seine Epoche bei ihm durchlebt; er ist mir an Jahren weniger, als an Lebenserfahrung und Selbstentwickelung so weit voraus, daß wir unterwegs nie mehr zusammenkommen werden, und sein ganzes Wesen ist schon von Anfang her anders angelegt, als das meinige, seine Welt ist nicht die meinige, unsere Vorstellungen scheinen wesentlich verschieden.“ Noch tiefer und entschiedener drückte Schiller seine Empfindungen über Goethe in einem späteren Briefe an Körner mit den charakteristischen Worten aus: „Eine ganz sonderbare Mischung von Haß und Liebe ist es, die er in mir erweckt hat, eine Empfindung, die derjenigen nicht ganz unähnlich ist, die Brutus und Cassius gegen Cäsar gehabt haben müssen; ich könnte seinen Geist umbringen und ihn wieder von Herzen lieben.“

Wer fühlt und sieht hier nicht bereits den Frühlingskeim der Freundschaft unter der eisigen Rinde der Antipathie und des Vorurtheils? Nach einem ewigen Naturgesetz ziehen sich die entgegen gesetzten Pole am meisten an, indem sie ihre geheimnißvollen Kräfte mit einander auszutauschen und sich gleichsam zu ergänzen suchen. Auch Goethe und Schiller sollten nachmals die Wahrheit dieser Erfahrung in vollem Umfange an sich erproben.

Niemand aber wurde von dem unvorhergesehenen Resultat dieser Begegnung schmerzlicher berührt als die Schwestern Lengefeld, die so große Hoffnungen darauf gesetzt hatten. Noch mehr betrübte sie die Recension des „Egmont“, welche Schiller bald nach diesem Besuch in der „Allgemeinen Literaturzeitung“ erscheinen ließ. Bei

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