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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

waren so in ihr Gespräch vertieft, daß sie das Vorgefallene gar nicht beachtet hatten – nur Einer, der etwas seitwärts saß, ein abgerissen und ärmlich aussehender Mensch, hatte zugehört und schob dem Fuhrmann seinen Krug entgegen, indem er, die Unterhaltung einzuleiten, leicht den Hut lüftete. „Glückliche Reis’, Fuhrmann,“ sagte er.

„Dank’ schön!“ war die Antwort, „es geht nimmer weit …“

„Nach München wohl? Was hast geladen, Fuhrmann?“

„Allerhand um ein’ Kreuzer! Tuch von allen Farben, Zucker und Kaffee und Tabak …“

Die Unterredung stockte einen Augenblick; dann fuhr der Bauer etwas leiser und mit einem raschen Seitenblick fort: „Hast den ganzen Wagen voll geladen?“

„Narr!“ rief der Fuhrmann und erwiderte den Blick, „man wird doch nicht mit halber Ladung fahren?“

„Nun ja, man redt ja nur! Hab’ nur gemeint, ob Du vielleicht noch was aufladen könntest unterwegs!“

„So? Wüßtest Du wohl gar etwas, das mitzunehmen wär’?“

„Wer weiß … es käm’ nur darauf an, daß man trauen dürfte… Meinst nicht,“ fuhr er sich zu ihm hinneigend weiter, „daß in der Münchnerstadt Jemand zu finden wär’, der einen feisten Rehbock kaufen thät?“

Ueber das Gesicht des Fuhrmanns ging ein freudiges Zucken: er schielte den Bauer an, nickte unmerklich und ging völlig unbefangen die Stiege hinab, um nach seinem Gespann zu sehen. Nach einigen Augenblicken war der Bauer auch unten und weil er so zufällig vorüberkam, half er dem Fuhrmann den Wasserkübel zu heben, aus dem die Rosse getränkt werden sollten.

„Hättest Du so was …“ flüsterte der Fuhrmann.

„Freilich … einen Capitalbock, dick und feist! Hat mir meinen Sommerhaber abgefressen, als wenn seiner Lebtag nie ’was auf dem Fleckel gestanden wär… Kannst ihn haben für einen Frauenbildel-Thaler, das ist die Decke allein werth und hast das Fleisch geschenkt …“

„Es gilt. Wo kann ich den Bock haben?“

„Wann Du durch den nächsten Wald fährst, siehst Du rechts von der Straß’, hart am Wald ein kleines Gütel liegen … das ist das Staudenhäusl, da bin ich daheim. Ich geh’ jetzt voraus; wenn Du in die ’Näh’ kommst, dann halt’ und thu’ als ob Dir was an Deinem Wagen zerbrochen wär’, dann komm’ ich und helf’ Dir … der Bock liegt derweil schon im Straßendickickt versteckt…“

„Abgemacht … Werd’ das Wildbrät schon anbringen, denk’ ich … hab’ selber lang genug kein Stück Wild mehr gesehn!“

„Aha … hast es auch schon schnellen lassen?“

Der Fuhrmann lächelte verschmitzt; er that als kümmere er sich gar nicht um den Bauer und kehrte an seinen Platz zurück. Dieser ging langsam am Hause hin und bog rasch um die Ecke.

Die Bauern waren indeß immer tiefer in die Krüge und in ihre Unterhaltung hineingerathen und horchten zu, wie der Schullehrer, ein abgedankter Soldat, die Zwickbrille auf der Nase, ihnen die Neuigkeiten kund gab, die er aus dem „Augsburgischen Postreiter“ enträthselte, wie Maria Theresia die Kaiserin ihren Sohn Joseph zum Mitregenten erhoben, wie der preußische Fritz, nachdem er nicht mehr Krieg zu führen hatte, Straßen und Canäle bauen, neue Dörfer anlegen und wüste Gegenden urbar machen lasse, und wie in Sachsen eine so große Noth herrsche, daß Tausende von Menschen Hungers gestorben.

„Gott bewahr’ uns in Gnaden,“ sagte ein alter Bauer, sich bekreuzend, „wenn wir noch einmal einen so nassen Sommer haben, wie heuer, kann es auch bei uns so weit kommen! Die Zeiten sind ohnehin schlecht, Anlagen so schwer, daß sie fast nicht mehr zu erschwingen sind. Jetzt ist die Grundsteuer wieder um zwei Gulden vom Hof gehöhert worden … dann kommen noch die Gilten dazu und der Zehent und die Laudemien … der Teufel mag wissen, wie man es anstellen soll, das zu erschwingen!“

„Um das zu erfahren,“ perorirte der Schullehrer, „braucht Ihr nicht beim Teufel anzufragen! Ihr dürft nur den alten Schlendrian aufgeben, Kartoffel anbauen und befolgen, was unser durchlauchtigster Herr Kurfürst befiehlt. Wofür ergehen denn die allerhöchsten Culturmandate und wofür muß ich Euch dieselben jeden Sonntag nach der Kirche vorlesen, wenn Ihr nichts hören wollt von den neuen Samen, vom Fruchtwechsel und von …“

„Ei was,“ unterbrach ihn der Alte, „wie ich mit meinen Feldgründen umgeh’n muß, was darauf wachst und was nit, das muß unser Einer am Besten wissen! Dazu brauchen wir keinen Zettel, den sie uns aus der Münchner Kanzlei herausschicken! Wie’s mein Ahnl gemacht hat, so mach’ ich’s und mein Bub soll’s nach mir auch so machen!“

„Wüßt’ auch nit!“ rief ein Jüngerer, „warum ich mich plagen sollt’, mehr Gründe anzubaun oder mehr Frucht zu erziehn! Damit ich nur mehr neue Abgaben zu zahlen hätt’! Wenn sie zehnmal sagen, daß der Neubruch zehn Jahr lang keine Steuer zahlen soll … nit wahr ist es! Was man Dir auf der einen Seit’ laßt, mußt auf der andern doppelt wieder hergeben – ich kenn’ unsern Rentteufel, dem wird Keiner zu schlau!“

„Und was hat man davon, wenn man sich genug geschunden hat und geplagt?“ fragte ein Dritter. „Wenn das Treid auch dasteht, daß kein böses Aug’ es anschauen soll, und Du hast glücklich keinen Schauer gehabt und keinen Mausfraß … dann kommt ein Rudel Hirsch’ und in einer Nacht ist das ganze Feld abgegrast und zusammengetreten, daß Du nit weißt, ob Du flennen sollst, wie ein klein’s Kind oder drein schlagen wie ein Wilder!“

„Da müßt Ihr eben selber abhelfen!“ eiferte der Schullehrer und nahm die Brille von der Nase. „Bei Tage kommt das Wild nicht und bei Nacht ist es Euch ja ausdrücklich erlaubt, es mit Schreien oder Peitschenknallen oder auch mit Feueranmachen zu verscheuchen!“

„Eine saubere Abhülfe das!“ rief der Junge entgegen. „Probir’s Er einmal, Herr Lehrer, wenn Er den ganzen Tag an der schweren Arbeit gewesen ist, wie das thut, wenn Er bei Nacht, statt auszuruhn, hinausstehn und das Feld hüten soll! Niederschießen soll man das Gethier alles miteinander! Es ist doch nur auf der Welt, uns Bauern zu plagen! Warum muß es denn so viel Wildbrät geben? Und warum dürfen wir nicht auch niederschießen, was aus unsern Grund und Boden kommt?“

„Du mußt den Schullehrer fragen,“ sagte der Alte, „vielleicht, weil er so siebengescheidt ist, weiß er das auch!“

„Das weiß ich auch!“ rief der Lehrer. „Das edle Wildbrät ist da, damit die Herren ein Vergnügen haben mit der Jagd, und schießen dürft Ihr’s nicht, weil das Wildbrät Niemand gehört, als dem Landesherrn! Merkt Euch’s, Regalia heißt man das!“

„Ja, ja!“ murrte der Alte wieder, „und das Herrenvergnügen müssen wir Bauern zahlen, und warum das Wildbrät, das frei herumlauft, so justement Einem gehören soll, das kann ich auch nicht begreifen! Wenn das wär’, hätt’ der liebe Gott gewiß auch einen Zaun wachsen lassen um den Wald herum, oder er hätt’ den Hirschen und Rehen ein Wappel hinaufgedruckt, damit sich Niemand dran vergreift! Es geht mir einmal nit in den Kopf, daß unser Kurfürst Max Joseph, der die gute Stund’ selber ist, das leidet, und wenn wir Bauern einmal zusammenständen und gingen hinein nach München und thäten ihm unsre Noth vorstellen – ich glaub’ gewiß, er thät uns helfen!“

„Kann wohl sein, probiren wir’s einmal!“ sagte der Jüngere. „Aber wir müssen bei alledem noch still sein und das Maul halten, denn bei uns ist es noch golden gegen da drüben, überm Lech, im Schwäbischen! Da sind so viel kleine Herren und Stifter und Jeder hegt seinen Wildstand … die Hasen und Reh’ sollen nur so herumlaufen, daß Du sie mit einer Pelzhauben todtwerfen könntest, aber sie müssen es still mit ansehen, sonst giebt’s Prügel und schweres Eisen und gar das Zuchthaus!“

Dem Lehrer war die Wendung des Gesprächs nicht angenehm, und da Niemand mehr ein Ohr haben wollte für seine Neuigkeiten, faltete er seinen Postreiter zusammen, legte die Nasenbrille hinein und ging mit einem kurzen brummigen Abschiedsgruß seine Wege.

Die Bauern steckten die Köpfe zusammen, um ihre Glossen zu machen, aber sie kamen nicht dazu, denn ihre Aufmerksamkeit wurde durch etwas Anderes angezogen.

Auf der Heerstraße stand eine Schaar bewaffneter Männer, die sich eifrig besprachen und dann nach verschiedenen Richtungen auseinander gingen. Die Einen davon waren durch die aufgeschlagenen, bordirten und mit Federn besteckten Hüte, durch das Grün der Aermelaufschläge und Rockkragen, wie durch Hirschfänger und Büchse als Jäger bezeichnet; andere ließ der halbsoldatische Anzug und die Muskete als Landreiter oder, wie sie auch genannt wurden, als Strickreiter erkennen. Sie hatten das platte Land zu

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