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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

No. 11. 1865.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Der bairische Hiesel.
Volkserzählung aus Baiern.
Von Herman Schmid.


1.

Wer auf den Eisenschienen dahindampfend die Münchner Hochebene verläßt, um das Lechgebiet zu erreichen, der sieht zur linken Seite die Alpen des bairischen Hochlandes immer mehr zurücktreten und bald vollständig verschwinden; die weite fast unabsehbare Fläche, die ihn dann mit Haideland und stundenlangen Strecken schwarzen Torfmoors umgiebt, wird nur nach rechts hin von einem niedrigen Höhenzuge begrenzt, an dessen Fuß die braune Amper nach Süden einbiegt und auf welchem früher all der reiche Verkehr dahinzog, welcher nun durch Sumpf und Oede in der Ebene fliegt. Auf diesem Höhenzuge, wenn man ihn bei Dachau erstiegen, führt die alte große Heerstraße nach Augsburg, früher belebt durch Reihen von Frachtwagen, Reisefuhrwerk und Wandernde aller Art, umgeben von fruchtbarem, welligem Ackerlande, Wiesen und stattlichen Föhren- und Tannenwäldern – jetzt etwas abgeschieden und vereinsamt, bis die Eisenreifen auch hierher sich erstrecken und die still und echt ländlich gewordene Gegend zu einem Glied in der Kette gemacht haben werden, welche der unermüdliche Mensch bald ganz um seine Sclavin, die Erde, geschlungen hat. An manchen Tagen riß der Zug der Reisenden fast gar nicht ab und manches Dorf und manches jetzt schweigsam liegende Wirthshaus war damals die Stätte lauten fröhlichen Geschäfts und schallender Freude. Noch bunter war das Bild, als vor hundert Jahren die alte Reichsstadt Augsburg noch nicht mit Baiern vereinigt war und die Gebiete von einer Menge kleiner Reichsfürsten und Herren ihre Grenzen gerade hier sehr eng und mannigfaltig durcheinanderschlangen.

Zu dieser Zeit ging es in einem an der Straße gelegenen Wirthshause – vom Volke „am Erdweg“ genannt – noch lebhafter her als gewöhnlich; eine Hochzeit ward gefeiert und hatte eine so große Versammlung zusammengerufen, daß die zahlreichen Zimmer und Gaststuben des ansehnlichen dreistöckigen Gebäudes nicht hinreichten, alle Theilnehmer des Festes zu beherbergen. An der nach der Straße gerichteten Breitseite des Hauses führte von beiden Seiten eine freie Treppe auf eine Art ziegelgepflasterter Terrasse, wo ebenfalls lange Tische gestellt und von einer Anzahl Bauern der Umgebung in Beschlag genommen waren. Der Ort schien zugleich eine Art Ehrenplatz zu sein, denn es waren meist ältere und gesetztere Männer, die sich hier beim Bierkruge unterhielten und von dem Tanzvergnügen nicht angelockt wurden, das im obern Stock in vollem Gange war, denn in das grelle Pfeifen der Clarinette und die dumpfen Töne von Horn und Brummbaß mischten sich gellendes lang gezogenes Jauchzen, Händeklatschen und dröhnendes Stampfen, das die Grundfesten des Hauses einer sehr ernstlichen Probe unterwarf. Ueberdies mochte es sich unten auch angenehmer sitzen, als in der niedrigen, vollgepfropften Stube; gegenüber standen zwei stattliche alte Linden, durch deren schon mit leichtem Gelb sich färbende Wipfel die gegen Abend niedersteigende Sonne in angenehmer Brechung spielte, und dazwischen war die Uebersicht des ganzen Hofraumes frei, auf welchem Alles ankommen und abgehen mußte und das Fuhrwerk aufgestellt wurde.

Im Augenblick stand in demselben nur ein einziger großer Frachtwagen, hochgewölbt und mit weißer Blahe überspannt; mit dem buntbemalten Futtersieb, das an der Vorderseite hing, und mit bekränzten Buchstaben nicht minder herausgeputzt, als es die vier davorgespannten Braunen waren, von deren Geschirr und Kummet rothe Tuchlappen und Pelzstreifen herabhingen und die auf dem Lederzeug angebrachten Messingbuckel noch heller erglänzen ließen.

Der Fuhrmann war die Stiege heraufgekommen und sah nun, die Geißel im Arm und den frisch empfangenen Maßkrug in der Hand, über das Geländer gelehnt, dem Hausknecht zu, der den Rossen den Futterbarren zurechtstellte und füllte.

Es war ein stämmiger Bursch, dem das blaue Fuhrmannshemd und der Hut mit dem Blumenbüschel nicht übel ließ; ein verschmitzter Zug um den Mund aber und schielende Augen verdarben den Eindruck wieder, den die Gestalt gemacht. Die Kellnerin, eine derbe Bauerndirn in runder Pelzmütze und Mieder, setzte einen Teller mit Wurst und Brod neben ihn auf das Gesims. „Gesegn’ es Gott, Fuhrmann,“ sagte sie, aus dem angebotenen Kruge leicht nippend. „Woher des Wegs? Ist ja noch nie bei uns zugekehrt!“

„Glaub’s wohl, schön’s Jungferle,“ erwiderte der Fuhrmann mit stark schwäbischer Betonung, „’s ist auch das erste Mal, daß ich den Weg mach! Ich fahr’ von Ulm her, für einen reichen Kaufmann; werd’ jetzt schon öfter kommen und nie vorbeifahren, weil ich jetzt weiß, daß da so ein schön’s Jungferle daheim ist!“

„Wegen meiner braucht Er sich nicht aufzuhalten,“ rief die Dirne kurz und schob den Arm, den er um ihre Hüfte zu legen versucht hatte, ziemlich derb hinweg. „Wir haben die Zeit her ohne Ihn auch leben müssen!“

Der Fuhrmann zuckte verächtlich mit den Achseln und lachte laut auf, um den umsitzenden Bauern zu zeigen, wie wenig auch ihm an der schnippischen Dirne gelegen sei. Die Bauern aber

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