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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Gefühl angepaßte Auffassung und Composition, für deren specifische Eigenthümlichkeit unser Künstler die Analogie höchst ausgezeichneter Portraitstatuen des Alterthums anführen könnte; denn wirklich ist die Situation des berühmten Sophokles im Lateran und des Neapeler Aeschines im Wesentlichen ganz diejenige dieses Gellert, und die letztere dieser beiden Statuen ist auch in der realistischen Behandlungsweise mit der unsrigen verwandt, nur daß die antiken weiten Falten auf unser Auge anders wirken, als die moderne Tracht. Und doch hat der Künstler unzweifelhaft Recht gehabt, uns seine Statue in eben dieser Tracht, ohne alle Faltenzuthaten hinzustellen; die vielkragigen Kutschermäntel, durch welche die moderne statuarische Portraitbildnerei eine Zeit lang antiken Faltenwurf ersetzen zu müssen geglaubt hat, sind längst als entbehrlich, ja als vielfach störend erkannt worden, hier aber, bei einer Statue, die man hauptsächlich im schönen Sommerwetter betrachten wird, wenn’s im Rosenthale grünt und blüht, und der man im Winter wohl, wie unseren übrigen steinernen Monumenten, ein hölzernes Schilderhäusel überdecken wird, hier wäre ein Kutschermantel doppelt und dreifach schlecht am Platze gewesen. Sehr verständiger Weise hat der Künstler dagegen seinem Gellert einen Hut in den Arm gegeben, der zugleich als ein gutes Motiv einer einfachen und natürlichen Bewegung des linken Armes wirkt; denn haben wir einmal den alten Herrn in leibhafter Persönlichkeit vor uns, so werden wir ihm auch zugestehen müssen, daß er nicht ohne Hut in’s Rosenthal gegangen ist.

Gellertstandbild in Leipzig.
Von Hermann Knaur.

Die diesen Zeilen beigegebene Zeichnung überhebt uns beinahe der Pflicht noch besonders hervorzuheben, daß Knaur trotz alles Realismus der Auffassung das Platte und spielend Genrehafte mit Glück vermieden und seiner Statue im Antlitz und in der Haltung plastische Ruhe und monumentale Abgeschlossenheit genug zu geben gewußt hat, um sie mit ihrer Aufstellungsart in Harmonie zu bringen. Von dieser nämlich haben wir noch ein kurzes Wort hinzuzufügen. Das ziemlich hohe Postament wird aus rothem Rochlitzer Porphyr ausgeführt, und soll an seiner Vorderfläche nur den Namen Gellert, ohne alle Beifügungen von Geburts- und Todesjahr tragen. Unter dem Gesimse aber wird in vergoldeten Buchstaben auf einer Erzplatte an der Vorderseite der oben schon angeführte Vers eingelassen werden, dem hinten der folgende entsprechen wird:

Seid fröhlich, ihr Gerechten,
Der Herr hilft seinen Knechten.

Zu beiden Seiten sollen dann weiter diese Verse angebracht werden, rechts:

Vertrau’ auf Gott, er wohnt bei denen,
Die sich nach seiner Hülfe sehnen.

Und links:

Der wahre Ruhm ist Ruhm bei Gott
Und nicht bei Menschenkindern.

Schließlich wollen wir noch einmal auf das Material der Statue zurückkommen; daß es weißer Marmor sei, haben wir schon gesagt, hier sei noch hinzugefügt, daß carrarischer Marmor der sogenannten zweiten Classe absichtlich gewählt wurde. Während nämlich der Marmor der sogenannten ersten Classe die Eigenschaft hat das Wasser, wenn auch nur in höchst unbedeutendem Grade, anzuziehen, steht der hier gewählte gegen Nässe vollkommen und läßt das Wasser wie glasirtes Porcellan ablaufen. Man darf demnach wohl hoffen, daß die Knaur’sche Gellertstatue, namentlich wenn sie im Winter, wie oben angedeutet, verwahrt wird, der Ungunst unseres Klimas vollkommen widerstehen wird. Erfüllt sich aber diese wohlbegründete Erwartung, so dürfte damit das vielgehegte Vorurtheil, als ob wir in unseren Breiten Marmorstatuen nicht ungestraft im Freien aufstellen dürften, auch bei uns wohl beseitigt werden, wie es z. B. in Berlin durch die Gruppen auf der Schloßbrücke beseitigt worden ist. Das aber wäre von nicht geringer Bedeutung; denn so vortrefflich sich die Bronze für gewisse monumentale Zwecke eignet, so wenig paßt sie für alle. In unserem Falle z. B. wäre sie gar wenig am Platze gewesen, und ähnliche mögen sich zu diesem gesellen. Uns Leipzigern liegt es gar nahe, dabei an das seit langer Zeit projectirte Leibnitzmonument zu denken, für welches beträchtliche Fonds gesammelt sind und das in Marmor hergestellt einem unserer schönen öffentlichen Plätze leicht zu einem erfreulicheren Schmucke gereichen dürfte, als in Erz, welches unter den Einflüssen unseres Klimas auch nicht die schöne Patina antiker Monumente gewinnt, sondern vielmehr recht schwarz und düster wird.

Overbeck.




Preußische Fahnenweihe in Feindesland.
Aus den Erinnerungen eines Veteranen. Mitgetheilt von Georg Hiltl.

Am 3. September des Jahres 1815 war in Paris eine eigenthümliche Bewegung bemerkbar. Nicht wie sonst durchströmte eine rasche, lebendig dahinrollende Menschenfluth die Straßen der ungeheuren Stadt; nicht wie sonst tönten die Rufe des Sieges oder der Begrüßung aus tausend Kehlen in die Luft. Es war vielmehr eine düstre Stimmung in den sich versammelnden Massen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 172. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_172.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)