Seite:Die Gartenlaube (1865) 167.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

darin eine solche Menge von Kriegsrüstungen und Waffen aller Art aufgehäuft, daß sich in wenigen Augenblicken mehrere Schaaren Krieger vollkommen darin rüsten und wie aus dem troischen Pferde hervorbrechen könnten. Aus dem Schlosse führte man den Prinzen in die anliegende Gegend zur Rennbahn, in’s Ballhaus und dergleichen Uebungsplätze für die ritterliche Jugend. In den auf’s Beste gepflegten Gärten erblickt man Paradiese, Labyrinthe und allerlei Grotten, den Wassernymphen geheiligt und mit künstlichen Quellen bewässert. Diese verschiedenen Springbrunnen an verschiedenen Orten werden reichlich mit Wasser versehen durch die Wildbäche, die man aus den nahen Bergen in unterirdischen Röhren herleitet. Die im freien angebrachten Speisesäle, mit allerhand lebendigem Grün umkleidet, sind besonders niedlich; vor allem aber jene Rotunde, in deren Mitte ein runder Tisch aus Ahorn steht. Unter diesem sind Radwerke angebracht, die vom Wasser getrieben werden und mittels welcher man den Tisch sammt den Gästen sachte oder rasch herumdrehen und, wenn es gefällt, auch die Leute bis zum Schwindel treiben kann.

Nun ging es nach dem Heiligthum des Weingottes, wo die Fremden gewöhnlich in seine Geheimnisse eingeweiht werden. Es ist dieses eine gewaltige und finstere Felsenhöhle, in welche man über steinerne Stufen hinabsteigt. Die Fremden verwundern sich da ob der dickleibigen Humpen, und ohne Widerrede spenden diese das edle Naß. Doch nicht eher fühlen jene, daß sie eingesperrt sind, als in dem Augenblicke, da sie heraus wollen. Nun erkennen sie die Macht des Bacchus und merken die Fußfesseln, die im Finstern gelegt und die Gitter, welche verriegelt sind. Sie finden sich nicht mehr heraus. Im Nu kommen die Bacchanten, die mit den Gebräuchen auf’s Beste vertraut sind, herbei, ungeheure Humpen, welche an drei Maß halten, in den Händen. Ihr Vorsteher bringt das Ceremonienbuch und liest daraus die Trinkordnung vor. Nun führt man die Novizen zu einer Tafel voll Nachschwerk und Leckereien, welche den Durst reizen. Haben sie das gewaltige Gefäß in einem Zuge geleert, so sind sie eingeweiht und schreiben ihren Namen in das Trinkbuch zu den übrigen Verehrern des Gottes ein.“

So der Welsche über die versunkene Herrlichkeit von Amras und deutsche Trinklust im Kleid der lustigen Renaissance. In der Amraser Sammlung findet man jetzt noch die zwei Trinkbücher, worin die eigenhändigen Namenszüge der Herren und Frauen enthalten sind, welche zu Lebzeiten des Erzherzogs Ferdinand beim Besuche des Schlosses den vorgeschriebenen Trunk gethan haben. Der erste Band enthält gleich anfangs die folgenden Zeilen: „Im 1567. Jahr den letzten Tag Januarii ist in dem Schlosse zu Amras von wegen Erzeugung guter Freundschaft, Gutwilligkeit und Gesellschaft aufgericht worden, daß ein Jeder, so in gemeldt Schloß Amras kommt, ein Glas wie ein Fäßlein gestalt mit vier geschmelzten Reiflein mit Wein in einem Trunk austrinken soll und seinen Namen zur Gedächtniß in dieses Buch schreiben. Welcher aber solches in einem Trunk nicht endet, dem soll es wiederum voll eingeschenkt werden, auch aus dem Schloß nicht weichen, bis er solchen Trunk, wie obgemeldt, vollendet hat. Das solle also dieses Schloß und Glas Gerechtigkeit sein und bleiben. Deßgleichen und obgemeldter Massen solle auch ein jede Frau und Jungfrau ein krystallin Glas wie ein Schiff in einem Trunk auszutrinken verbunden und verpflichtet sein.“

Mit dem Erlöschen des tirolischen Regentenhauses ging auch der Stern von Amras unter. Einzelne Theile der berühmten Sammlung wurden bald den kaiserlichen Cabineten in Wien einverleibt, so namentlich die seltenen Handschriften, darunter die einzige der Gudrun, welche dem Kaiser Maximilian gehört hatte, und die kostbaren Gemälde; auch die Perle des Wiener Belvedere, Raphael’s Madonna nel verde. Was noch zurückblieb, war nur zu oft von unkundigen oder nachlässigen Schloßhauptleuten verwahrlost, bis 1773 der bekannte Forscher und Gelehrte Johann Primisser zu diesem Amte berufen wurde und die planlos durcheinander geworfenen Gegenstände wieder entwirrte und ordnete. Daß die Sammlung später ganz nach Wien geschleppt wurde und trotz dem Testamente Ferdinand’s und allem Versprechen ohne Rücksicht auf die Wünsche und Rechte des Landes dort zurückbehalten wird, wurde bereits erwähnt. Ein noch schlimmeres Loos ward dem Schlosse selbst beschieden. Die unteren Werke wurden abgetragen und die Steine zu Neubauten verwendet. Von den vielen und herrlichen Anlagen, welche sich bis zum Amraser See erstreckten, ist kaum mehr eine Spur zu finden; der Amraser See, auf welchem sich im Winter die Innsbrucker Schlittschuhläufer tummelten, ist erst vor Kurzem ausgelassen und in Wiesen umgewandelt worden. Das Schloß diente lange Zeit als Kaserne, die ungarischen Soldaten schlugen den Frescobildern der Habsburger Nägel in die Köpfe, um die Tornister und Patronentaschen aufzuhängen. In Kriegsjahren wurde es auch als Militärspital benutzt.

Mein Freund wies auf eine Gruppe riesiger Tannen im nahen Walde. Dort war der Rennplatz, wo einst vor den Augen der schönen Philippina Bogenstechen abgehalten wurden; jetzt ist er ein Wallfahrtsort, welchen andächtiges Volk häufig besucht, um beim Rauschen der alten Tannen für die Märtyrer zu beten, die hier begraben sind.

Märtyrer?

Ja, viele tausend! Hier wurden damals die Leichen der Soldalen, welche im Spitale drauf gingen, eingescharrt; demjenigen, der in die k. k. österreichische Spitalwirthschaft gerieth, wird wohl Niemand den Namen eines Märtyrers verweigern! Das Volk erzählt, daß manche während der französischen Revolutionskriege lebend in die Grube geworfen wurden, weil sich Aerzte und Wärter die Mühe der Pflege ersparen wollten.

In neuester Zeit wurde Mancherlei an der alten Burg geflickt. Es waltete wieder eine holde Frau aus fürstlichem Stamme hier, die Erzherzogin Margaretha, eine sächsische Prinzessin. Auch sie ist bereits todt. Ihr Gatte, der Erzherzog Karl Ludwig, welcher, wie sein großer Vorgänger Ferdinand, mit der tirolischen Glaubenseinheit sympathisirte, hat Tirol längst verlassen und nach Ablauf der Wittwertrauer eine Schwester des Exkönigs von Neapel geheirathet. So wechselten die Schicksale der Burg und ihrer Bewohner.

Mein Freund mahnte zum Aufbruch. Im Vorbeigehen warfen wir durch die Thür noch einen Blick in Philippina’s Badstüblein; noch steht die kupferne Wanne dort, in der sie ermordet worden sein soll. Wir überlassen es dem Leser, anstatt der Gräuelscenen der Sage sich ein reizenderes Bild herzumalen und mit den Farben Tizian’s zu vollenden.

Vor dem Thore gaben wir dem Kutscher Auftrag, uns im Dorfe Amras zu erwarten. Wir schlugen den Fußpfad ein und stiegen am grünen Hügel nieder zur Kirche. Dort hieß mich der Freund noch einmal aufblicken. Die Landschaft schloß sich hier zu dem Bilde, von dem der Leser eine Skizze sieht. Das Schloß glänzte in den letzten Strahlen der Sonne, welche auch noch auf dem Knauf des hohen Spitzthurmes blitzten. Auf dem Platze war das Bauernvolk zum Heimgarten in allerlei Gruppen zerstreut; ein Mann mit dem Knaben im Arm erzählte einem böhmischen Soldaten von Philippina, wie sie so zart gewesen sei, daß man den rothen Tirolerwein habe durch ihre Kehle fließen sehen. Dann wandte sich das Gespräch auf Doris, den lustigen Zimmermann, der vor etlichen Jahren den Thurm mit einem neuen Dache versah. Als er es fertig gebracht, schwang er sich auf den Knauf, trank dort jauchzend ein Glas Wein und stellte sich dann auf den Kopf. Sowie das Politisiren begann, welches nun auch auf den Dörfern um sich greift, gingen wir in’s Wirthshaus zum Kappeller; nun, der Wein war gut, vielleicht so gut, wie ihn Philippina geschlürft.

Es war bereits tiefe Dämmerung, als wir in den Wagen stiegen. Zu Innsbruck machten wir noch eine kleine Runde. In der Hofgasse zeigte mir mein Freund in einer Nische die riesige Statue eines geharnischten Mannes von fast neun Fuß Höhe. Er war einer der Söldlinge Ferdinand’s, die Amras bewachten. Gleichzeitig diente Philippina ein Zwerg; dieser wettete, er wolle dem Ungethüme eine Ohrfeige geben, ohne hinaufzuklettern. Heimlich schlich er hinzu, löste dem Riesen die Schuhriemen und als sich dieser bückte, um sie wieder festzuknüpfen, gab er ihm zu allgemeinem Gelächter rasch eine Ohrfeige.

Wir waren durch den Bogen der Burg gegangen. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, noch einmal in die Hofkirche zu treten, um das Grab Philippina’s scheidend zu begrüßen. Das eiserne Gitter der Kapelle war geschlossen.

Am nächsten Morgen führte mich das Dampfroß aus den herrlichen Bergen Tirols nach Baiern.



Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 167. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_167.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)