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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

und ungarischen Grenze. Oft drangen sie vom Rothenthurm, oft auch mit einem Umwege von Ungarn her in’s Sachsenland ein.

Gleich hinter dem Rothenthurm verengt sich der Paß, die herrliche Karolinenstraße, von Kaiser Karl dem Sechsten angelegt und nach ihm benannt, beginnt, dem Laufe der Aluta folgend, sich zwischen den Bergen hinzuziehen. Schäumend wälzt der Fluß seine vom Szeklerlande her in wachsender Macht andringenden Fluthen der Walachei zu, eine prächtige Wassermasse, leider aber der vielen Klippen und Untiefen ihres Bettes halber nicht schiffbar. Es mag den alten Sachsen vielen Schmerz bereitet haben, bei ihrem ausgebreiteten Handel ohne Wasserweg zur Donau geblieben zu sein. Wir älteren Turner wechselten manches Wort darüber, wie wir so, den Blick wendend, noch einmal der Landskrone ansichtig wurden und uns des geschichtlichen Momentes erinnerten, wo im Jahre 1376 der Landesbischof von Siebenbürgen, der Sachse Goeblinus, und der Castellan der Landskrone, Johann von Scherfeneck, auf Anordnung des Königs Ludwig und im Einverständniß mit der Gauversammlung, die Zünfte in den Städten Hermannstadt, Schäßburg, Mühlbach und Broos regelten. Damals zählte Hermannstadt neunzehn Zünfte mit fünfundzwanzig Gewerben, während Augsburg zu derselben Zeit nur sechszehn Zünfte mit zwanzig Gewerben besaß. Was die Hände in reichem Maße Nothwendiges und Kunstreiches zum Bedarf und im Ueberfluß schufen, ward im Handel nach allen Richtungen hin verwerthet. Die sächsischen Kaufleute standen in der Levante in Verkehr mit Geschäftsfreunden bis nach Aegypten hin, während ihre Handelsreisen sie gen Norden nach Polen und Deutschland und selbst auf eigenen Schiffen von Ofen nach Wien führten. Es muß ein herrliches, kräftiges, urwüchsig deutsches Volk gewesen sein, dieses alte siebenbürger Sachsenvolk, daß es so gleich geschickt das Schwert wie den Arbeitshammer zu führen verstand!

Die Wanderung durch den Paß nach der Contumaz gab den Turnern reiche Gelegenheit zu Ausbrüchen jugendlicher Heiterkeit. Alles, was nur an Liedern in der Kehle steckte, mußte heraus; rüstige Bergsteiger, wie die Siebenbürger sind, scheuten wir auch keine Abschweifungen von dem Wege, und oftmals überraschten uns an dessen Krümmungen, von den Höhen herab, die bewillkommnenden Rufe vorausgeeilter Gefährten. Endlich, gegen Mittag, langten wir an unserem Ziele an. Die Contumaz, deren Raine schon den Zweck andeutet, bildet die Grenzstation zwischen Siebenbürgen und der Walachei. Es ist ein aus einer Reihe größerer und kleinerer Gebäude für die Beamten, das Militär und für die der Beobachtung unterworfenen Reisenden bestehender Ort, dessen Bedeutung natürlich heute sich wenig mehr über die einer gewöhnlichen Mauthstation erbebt. Da der Grenzverkehr nicht gerade übermäßig stark ist, herrscht im Ganzen an der äußerst romantisch gelegenen Contumaz eine große Stille, welche wir siebenzig Turner nun in ganz ungewöhnlicher Weise unterbrachen. Ein Hauptreiz der jüngeren Turner lag, wie man sich denken kann, in dem Ueberschreiten des die eigentliche Grenze bildenden, in den Alt sich ergießenden Bächleins. Das war übrigens bald gethan. Ohne weitere Förmlichkeilen drangen wir in die zu jener Zeit noch äußerst gemüthliche Walachei ein, und schnurstracks ging es auf die Hütte des aus zehn Mann bestehenden walachischen Grenzpostens los.

Der Wachtposten ließ es ruhig geschehen, daß wir uns den vor der Thür angelehnten Gewehren nahten und ihn gewissermaßen bei Seite schoben; er ließ es ruhig geschehen, als wir unbekümmert die Gewehre in die Hand nahmen und unsere Meinungen über diesen Ausschuß englischen Fabrikats austauschten; er fand die Sache so wenig bemerkenswerth, daß er sogar Antheil an unserem Gespräch nahm. Die Walachei des Fürsten Bibesko war eben eine andere, als die des heutigen Fürsten Consa, ob darum glücklicher, ist noch eine andere Frage. Fürst Bibesko zahlte seinen Tribut der Pforte und – nahm seine Zahlung von Rußland. Im Lande ging es in einem althergebrachten orientalischen Schlendrian fort, der weder die von der Hörigkeit abgestumpften Bauern, noch die im Schlemmerleben entnervten Bojaren sonderlich befremdete. Der jungen Leute, welche in Paris und in Deutschland außer der Liebe zum Luxus auch eine solche zur Freiheit einsogen, gab es nicht viele; ein um so ein ehrenvolleres Zeugniß gebührt ihrer Energie, vermöge welcher sie im Jahre 1848 den Fürsten verjagen und an eine Regeneration ihres Vaterlandes denken konnten. Omer Pascha, der einstige österreichische Cadet-Feldwebel, machte zwar im Vereine mit den Russen der kurzen Blüthe walachischer Freiheit bald wieder ein Ende, aber der Anstoß war einmal gegeben, die Erinnerung an die Ypsilantis ohnedies noch nicht erloschen. Als dann Ludwig Napoleon zur Zeit des Krimkrieges seine Aufmerksamkeit auf die Donaufürstenthümer richtete und Oesterreich in unbegreiflicher Sorglosigkeit diese ihm damals gewogenen Nachbarländer dem aus die Einigung aller romanischen Stämme gerichteten französischen Einfluß überließ, konnte es dem die napoleonische Staatsweisheit nachahmenden Fürsten Consa mit leichter Mühe gelingen, das Jung-Walachenthum wenigstens für den Gedanken eines vereinigten moldau-walachischen Donaufürstenthums zu gewinnen. Welchen Antheil die Walachei oder Romanen, wie sie sich lieber nennen, des österreichischen Kaiserstaates an der Entwickelung dieses romanischen Reiches nehmen werden, das liegt noch im Schooße der Zukunft verborgen. – Doch die Politik ließ uns zu weit von der Beschreibung unserer Turnfabrt nach dem Rothenthurmpasse abschweifen. Möge es uns der Leser verzeihen, wir wären ja ohnehin am Ziele unserer Fahrt.




Herzliche Kinderstuben-Predigten.
Nr. 1. Gewöhnung zum Gesundsein.

„Jung gewohnt, alt gethan“, oder auch: „Jung gethan, alt gewohnt“; – „der alte Mann schmeckt nach dem jungen“; – „wie die Allen sungen, so zwitschern die Jungen“; – „der Apfel fällt nicht weit vom Stamme“; – „was ein Häkchen werden will, krümmt sich bei Zeiten“, oder: „was zum Dorn werden will, spizt sich bei Zeiten“; – „jung gebogen, alt erzogen“, – „es ist besser, das Kind weine, als die Mutter“ und „es ist besser, die Kinder bitten Dich, denn Du sie.“

Das sind zwar sehr alte, aber durchaus nicht veraltete Sprüchwörter, die leider viel zu wenig beberzigt werden, obschon sie, bei gehöriger Beachtung von Seiten der Eltern und Erzieher, zur Bildung ganz anderer, natürlich weit besserer und gesünderer Menschen beitragen würden, als die meisten jetzigen Menschen sind. Denn alle jene Sprüchwörter kommen darin überein, daß sie eine richtige Erziehung in der Jugend, und zwar hauptsächlich durch Gewöhnung und gutes Beispiel, als die Grundlage bezeichnen, aus welcher das Kind zum richtigen Menschen heranwächst. Leider existirt nun aber eine solche richtige Erziehung und darum auch eine richtige Menschheit in körperlicher und geistiger Hinsicht zur Zeit noch nicht. Die Ursache davon liegt hauptsächlich im unrichtigen und zwar im zu späten Anfange der Erziehung und im zu zeitigen Beginnrn der Verziehung. – „Wenn der Verstand kommt“ und „in der Schule“, behaupten einfältige Eltern, „werden sich schon die kleinen Ungezogenbeiten unseres sonst gescheidten Kindes (zu denen gar nicht seilen auch schon schlaue Mausereien und Lügen mit gerechnet werden) wieder verlieren.“ „Ja, mein Carl, der wird einmal den Lehrern tüchtig zu schaffen machen,“ sagte eine Mutter mit ganz freudiger Miene, weil ihre vierjährige Range niemals folgte und Alles zu ertrotzen wußte. Mit einem gefühlvollen Herzen oder weichen Gemüthe und „wenn Anna erst verständiger ist, wird sie schon das Weinen lassen,“ entschuldigte eine Mutter das bei fast jeder Gelegenheit, nur nicht beim Zanken der Mama, hervorbrechende Grinsen ihres kleinen Töchterchens. Anna ist jetzt zwölf Jahre alt und heult zur Verzweiflung ihrer Eltern immer noch.

Eltern! Erzieher! Laßt’s Euch doch gesagt sein und nehmt endlich einmal Lehre an: „der sogenannte Verstand fährt wahrlich nicht zu einer bestimmten Zeit in den Menschen hinein oder ist etwa gar angeboren und wacht dann zu einer bestimmten Zeit auf.“ – Gleich von der ersten Zeit des Gebens an, wo der Mensch noch ohne alles Bewußtsein ist, wird der Verstand mit dem Bewußtsein durch Eindrücke, welche die Außenwelt mittels der Sinne auf das Gehirn des Kindes macht, ganz allmählich hervorgebildet. Alles verständige Denken und Handeln ist ebenso wie das unvernünftige

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 158. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_158.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)