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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Haushaltes nur mit Noth in der Balance hielt. Dabei aber liebte der Professor auf’s Zärtlichste seine Frau und seine Kinder, die, wie er sich sagen mußte, bei seinem Tode der äußersten Dürftigkeit anheimfallen würden, da er ihnen nichts zu hinterlassen hatte, als die schmale Wittwenpension seiner Gattin. – Und in der That hatte er bald alle Ursache sich, trotz seiner leichten Lebensphilosophie, mit diesem trüben Gedanken viel zu beschäftigen. Denn ein seit einiger Zeit bei ihm eingetretener krankhafter Zustand, der ihn nöthigte, was Aerzte sonst selten thun, dem eigenen Leibe den Scharfsinn seiner vielbewährten Diagnose zuzuwenden, liest ihn die Entdeckung machen, daß er an der Bright’schen Krankheit leide, jenem entsetzlichen organischen Uebel (Entartung der Nieren), das im einigermaßen fortgeschrittenen Zustande, als absolut tödtlich, aller Heilmittel der Arzeneiwissenschaft spottet. Seine Tage waren gezählt, im eigentlichen Sinne des Wortes. Der Professor, der gerade – merkwürdiges Zusammentreffen! – über die Bright’sche Krankheit (morbus Brightii) Collegium las, kannte nach beobachteten Symptomen nur zu gut die Kürze der Lebensfrist, die ihm noch zugemessen war. Wollte er noch etwas für die Zukunft seiner Angehörigen versuchen, so that Eile Noth. Er beschloß sein Leben in der Gothaer Lebensversicherungsbank mit einer so hohen Summe zu versichern, wie sie einigermaßen zur Existenz einer so zahlreichen Familie genügen konnte. Aber wenn er die Annahme seines Antrages an der Bank, deren Statuten ihm wohl bekannt waren, durchsetzen wollte, durfte er kein kranker Mann sein, ja er mußte gesünder als je erscheinen, da er Grund zu vermuthen hatte, daß bei seiner bekannten Sorglosigkeit der plötzliche Einfall, sein Leben und noch dazu auf eine so hohe Summe zu versichern, eine unbequeme Aufmerksamkeit der Bankbevollmächtigten auf seinen Zustand hinlenken könnte.

Niemals daher erschien der Professor den Seinigen wie der Welt draußen so heiter, so voll gesunder Genußfähigkeit wie zu jener Zeit. Niemals war er gegen die Gäste, die er in seinem Hause sah, von einem liebenswürdigeren, übersprudelnderen Humor gewesen. Er besuchte mit seiner Familie die gerade statt findenden Studentenbälle, wo er selbst noch den flotten Tänzer machte, und während die Collegen beim Souper ihre Bläser mit bescheidenem „Rothspohn“ und billigem Mosel füllten, knallten vor dem Professor *** und den Seinigen die Champagnerpfropfen unter dem schallenden Lachen der von den Schnurren und tollen Einfällen des Professors heiter erregten Tischnachbarschaft. Wer hätte diesem Manne das Bewußtsein seines nahen, traurigen Endes angesehen? Jeder Tropfen, den er trank, war ihm Gift: jede körperliche Anstrengung, jede Aufregung, beschleunigte den Zerstörungsproceß, der in seinem Innern vorging, zu Riesenschritten und führte fast unerträgliche Schmerzen herbei. Aber er durfte die lachende Maske nicht ablegen, wollte er zu seinem Ziele gelangen, und er trug sie mit jenem stoischen Heroismus, mit welchem der spartanische Knabe sich von dem gestohlenen Fuchse, den er unter seinem Gewande verborgen hielt, die Eingeweide zerfleischen liest, ohne eine Miene zu verziehen.

Von dem Rufe eines kerngesunden Mannes begleitet, reiste nunmehr der Professor nach Gotha, um durch persönliches Vernehmen mit den dortigen Bankärzten die ganze Procedur rasch abzukürzen. Mit erheuchelter jugendlicher Elasticität, mit vor Lebensübermuth leuchtenden Blicken trat der Professor in das Zimmer des Bankarztes: unter Scherz und Lachen warf er die Kleider ab, behufs der vorzunehmenden körperlichen Untersuchung, die nichts Bedenkliches ergab, da der Professor sonst von normalem Körperbau war und er ohnedies die im Formular ihm vorgelegten Fragen in jeder Beziehung zufriedenstellend schriftlich beantwortet hatte. So gelang denn die Täuschung vollkommen bei dem mit der Untersuchung beauftragten Bankarzte wie bei dem ärztlichen Revisor.

Der Professor hielt sich noch ein paar Tage in Gotha auf, bis die Präliminarien erledigt waren, während der Zeit in anscheinend genußfähigster Gesundheit sich den Freuden der Gastlichkeit hingebend, welche ihm die dortigen Collegen zu Theil werden ließen. – Handelte es sich ja hier um die Angaben, die einer der ersten Pathologen Deutschlands über seinen Gesundheitszustand gemacht hatte! Der Antrag wurde genehmigt und, gegen Einzahlung der ersten Jahresprämie, die Police dem Professor ausgehändigt, der damit sofort nach Hause reiste, um todeskrank sein Lager aufzusuchen, das er nicht mehr verlassen sollte, kurze Zeit darauf starb Professor ***, wie die Section ergab, an der bereits an ihm zu den äußersten Stadien gelangten Bright’schen Krankheit! – Die Lebensversicherungsbank weigerte sich, wegen wahrbeitswidriger Declaration und Täuschung ihrer Aerzte, die von den Erben beanspruchte Versicherungssumme zu zahlen. Es kam zum Processe. Die Sache wurde langwierig und der Ausgang erschien sehr zweifelhafter Natur, da, trotz der allgemein getheilten moralischen Ueberzeugung von einem an der Bank verübten planmäßigen Betruge seitens des Professors der juridische Beweis nur schwer zu führen war. Die Bank zahlte schließlich den Klägern, auf dem Wege des Vergleiches, die Hälfte der Versicherungssumme aus.

Dieses Beispiel eines aus Liebe zu Weib und Kind mit Heroismus durchgeführten Betruges hat seine ernste und rührende Seite, und mancher Leser dürfte eine besondere Genugthuung darüber empfinden, daß dieses Märtyrerthum der Lüge nicht ganz fruchtlos geblieben.

Ich erzähle hier, als heiteres Seitenstück, ein eigenes komisches Erlebniß, das allerdings nicht gerade die Gothaische Lebensversicherungsbank berührt, gleichwohl aber beweist, wie sehr derartige Institute überhaupt Grund haben, alle mögliche Vorsicht bei Lebensversicherungsverträgen anzuwenden, um nicht von raffinirten Gaunern ausgebeutet zu werden. Denn nicht oft dürften, wie in dem hier zu erzählenden Falle, die Betrüger auch die Betrogenen sein.

Im Anfang der vierziger Jahre gab es zu K. in Preußen eine Anzahl von Speculanten, die neben einem einträglichen Wuchergeschäfte noch ein einträglicheres mit Lebensversicherungspolicen betrieben. Theils kauften sie von Versicherten, die sich in drückender Geldnoth befanden und deren vorgerücktes Alter oder hinfälliger Gesundheitszustand einen baldigen Tod indicirten, die Policen um einen wahren Spottpreis an; theils aber und meistens versicherten sie das Leben von Personen, deren mehr als kritischer Gesundheilszustand den Versicherern die schönsten Aussichten auf den Gewinn von mehrern hundert Procenten eröffnete. Diese Leute gingen förmlich auf die Menschenjagd aus, um passende Individuen für Lebensversicherungen zu finden. Wo sie nur einen jungen Mann mit hektisch angerötheten Wangen fanden, oder einen nur äußerlich noch zusammenhäugenden notorischen Roué, der bereits zu viel vom Leben verbraucht hatte, um noch viel davon übrig zu behalten; wo sie nur bei ihren Nebenmenschen so etwas wie Anlagen zur Wassersucht, Apoplexie und dergleichen vielversprechende Krankheiten witterten: warfen sie, wenn die äußeren Verhältnisse dieser Persönlichkeiten ein Eingehen auf ein solches ihnen proponirtes Geschäft versprachen, die Angel nach diesen aus. Sie suchten arme Teufel, deren Tod ihnen, als lachenden Erben, eine reiche Hinterlassenschaft gewähren würde. Willfährige Aerzte, die für ihre Atteste anständig honorirt wurden, gingen ihnen dabei hülfreich zur Hand. Die Versicherungen wurden meist mit auswärtigen Gesellschaften contrahirt, deren Agenten als nicht allzu rigoros bei Aufnahme von Versicherungen bekannt waren.

So gelangten eine Menge von Lebensversicherungspolicen in Umlauf. Es gab in gewissen Geschäftskreisen in K. eine förmliche Börse für diese Papiere, die je nach den sichtbaren oder sonstwie bekannt gewordenen Gesundheitsschwankungen der Individuen, auf die sie ausgestellt waren, ihren Cours hatten. Sie wurden nach dem Jargon der Börse als „flau“, „matt“, „gesucht“, „angenehm“ etc. ausgeboten oder gekauft.

Nun fiel gerate in einer Zeit, in welcher das „Geschäft“ Mangel an geeigneten Persönlichkeiten hatte, der Blick der Hauptmacher auf ein Individuum, das ihren Zwecken auf die erwünschteste Weise zu entsprechen schien. Es war dieses der noch im Amte stehende Magistralssecretair Ch–y, ein kleines, mumienhaft eingetrocknetes Männchen, in bereits ziemlich vorgerücktem Aller, stets hüstelnd, mit gesenktem Haupte und eingefallener Brust einher gehend, das Bild eines im Scharwertdienste der Bureaukratie zu Ende sich neigenden Lebens. Ch–y war Wittwer und hatte nur eine einzige bereits im kanonischen Alter sich befindende Tochter, die ihm die Wirthschaft führte. Trotz dieser so fadenscheinigen körperlichen Beschaffenheit wurden dem Magistralssecretair Ch–y die besten ärztlichen Atteste hinsichtlich seines Gesundheitszustandes ausgestellt, so daß die auswärtigen Banken die Versicherungsanträge auf das Leben dieses Mannes, der natürlich für seine Bereitwilligkeit, sich zu diesem Experiment herzugeben, gut honorirt wurde, nicht beanstandeten.

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