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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Der Amme Brautgabe.[1]

Du bist geschmückt zum ernsten Gange,
O schöne Braut, und harrest Sein –
So sehnsuchtsvoll und doch so bange,
Im Auge Thau und Sonnenschein.

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Jetzt kann ich es mit Stolz Dir sagen,

Der Dich heut’ führet zum Altar,
Ihn hab’ ich an der Brust getragen,
Als er ein zarter Knabe war.

Ich lauschte seines Athems Regen,

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Sang ihm das erste Schlummerlied,

Mit seinem erstem ersten Abendsegen,
Hab’ ich an seinem Bett gekniet,
Die Arme über ihn gebreitet
Zu allen Stunden früh und spat,

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Und diese Hand hat ihn geleitet,

Als er das erste Schrittchen that.

Den ersten kleinen Schritt im Leben!
Und nun thut er den größten Schritt!
Was kann ich Dir heut’ Bess’res geben,

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Was bring’ ich Dir zum Feste mit?

Sieh, seine ersten Schuhchen sind es –
O, schau das Paar recht innig an;
Es war der erste Stolz des Kindes,
Als es den ersten Schritt gethan.

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So nimm sie – vor dem ernsten Gange,

Den heute Ihr mit Gott beginnt –
Und selig strahle Deine Wange
Dem Wunsche, den mein Herz ersinnt:
Sind solche Schuhchen nöthig wieder,

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So sprich zu mir: „Du feierst mit,

Singst wieder Deine Schlummerlieder
Und jubelst mit beim ersten Schritt.“

Fr. Hofmann.
  1. In manchen Gegenden Mitteldeutschlands herrscht der schöne Gebrauch, daß die Amme die ersten Schuhe ihres Pfleglins sorgsam aufbewahrt, um sie dereinst an dessen Hochzeitstage – sei es nun dem Bräutigam oder der Braut – als sinnige Gabe darzubringen.
    Die Redaction.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 149. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_149.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)