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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

die mit den jetzigen Indianern nichts gemein hat, mit ihren unzureichenden Werkzengen die Erde ausgehöhlt hatte, fand Werner große Haufen zerschlagener Steinhämmer, und man brauchte an solchen Stellen nur etwas mehr in die Tiefe zu gehen, um auf die reichsten Kupfererze zu stoßen. Das Metall war in derartigen Massen vorhanden, daß es in der entlegenen Gegend nur an Arbeitern fehlte, um die Minen äußterst lucrativ zu machen, und selbst der oberflächliche Bau brachte tonnenschwere Stücke Kupfertönig zum Vorschein. Die Compagnie war aber damit noch nicht zufrieden und trieb Schachte und Stollen tief in die Erde, um den Ertrag noch mehr zu steigern; auch schmeichelte man sich jedesmal, wenn eine dünne Quarzdruse mit eingesprengtem Silber gefunden wurde, weiter unten endlich auf eine Hauptader zu stoßen, deren Fund dann den Werth der Actien gleich auf das Doppelte schnellen würde.

Daß Werner, der das Ganze leitete, unter diesen Umständen eine außerordentliche Thätigkeit entwickeln mußte und keine Zeit für das Heimweh übrig hatte, ist leicht begreiflich. Seine Mußestunden, die eintraten, wenn etwa die Maschinerie aufgab oder wenn es an Pulver zum Sprengen fehlte, suchte er durch das Vergnügen der Jagd auszufüllen, die ihn mitunter zu weiten Streifzügen in dieser wilden Gegend verführte. Häufig kam er bei solchen Partieen in die Nachbarschaft eines Indianerdorfes, das mit seinen Wigwams von Birkenrinde und Fellen im Schatten hoher Schierlingstannen lag und an einen mit laubgekrönten Inseln bedeckten malerischen See grenzte. Es war ein Zweig der Odschibbewas, der, von den Weißen aus seinen frühern Wohnsitzen bei Keweena-Point verdrängt, nach den romantischen Bergschluchten am Ontonagonflusse ausgewandert war und von Jagd und Fischfang lebte, ohne den Leuten in den Minendistricten beschwerlich zu fallen. Werner, der die gehässigen Ansichten der Amerikaner über die Rothhäute nicht theilte, wurde bald näher mit ihnen bekannt und fand in den Indianern einen harmlosen Menschenschlag, welcher für empfangene Wohlthaten ein warmes Gefühl der Dankbarkeit hegte.

Tawanka, der Häuptling, ein schöngewachsener Mann von herculischen Formen, schloß sich an den vorurtheilsfreien Deutschen innig an, so weit es seine schweigsame Natur erlaubte, besuchte ihn öfters in den Minen und zog ihn gern bei allen Streitigkeiten zu Rathe, die zwischen den weißen Eindringlingen und seinen Stammgenossen vorfielen. Bei seinem Rechtsgefühl stand Werner fast immer auf der Seite der Indianer, worüber freilich die andern Beamten der Compagnie und deren Arbeiter, meistentheils rohe Irländer und Cornwaliser, ihre Unzufriedenheit laut genug äußerten. Dafür wurde der Deutsche aber auch von den Indianern hoch geehrt, und wenn ihn der Zufall auf seinen Streifereien in ihr Dorf führte, so konnten sie ihm nicht Ehre genug anthun. Dann wurden ihm die besten Stücke Wildpret und die saftigsten Lachsforellen vorgesetzt; dann wanderte die Friedenspfeife von einem schweigsamen Munde zum andern, während die Squaws mit ihren wildscheuen Augen im Kreise umherstanden und die muntern Papusen sich wohl an den gutmüthigen Fremden hinanschlichen und ihm nach Kinderart die Taschen visitirten, um zu sehen, ob er ihnen nicht ein Spielzeug oder eine Näscherei mitgebracht hätte. Wollte Werner jagen oder sonst eine Excursion machen, so konnte er sicher darauf rechnen, daß Tawanka ihm zur Seite ging oder, falls derselbe Abhaltung hatte, ihm einige seiner jungen Krieger zur Begleitung gab, deren Ortskunde und Waidmannskunst ihm trefflich zu statten kam. Namentlich aber gewann er sich die Sympathien der Indianer durch den Beistand, denen er ihnen bei Grenzdifferenzen und gegen die maßlosen Anmaßungen der ländergierigen Nativisten leistete.

Der schreckliche Winter von 1854 auf 55 kam in das Land und mit ihm große Noth für die Bergwerkscolonien, deren Verproviantirung von den untern Seen aus zu geschehen pflegt und dieses Jahr wegen des ungewöhnlich früh eintretenden Frostes keine vollständige war. Schon im November fror der St. Mariensfluß zu und die Dampfer, welche noch spät im Herbst von Chicago und Detroit aus die nothwendigen Lebensbedürfnisse für die Minendistricte bringen sollten, mußten des Eises wegen umkehren. Farmen existirten damals in der Gegend noch nicht, weil alle neuen Ankömmlinge sich auf den Bergbau warfen, von welchem sie größern Gewinn zu ziehen hofften, als aus dem sicherern, aber nicht so lucrativen Ackerbau. Schon nach Neujahr gingen deshalb in manchen Ansiedlungen die Lebensmittel aus und die Leute wurden gezwungen, ihren geringen Viehstand zu opfern. In den Toltec-Diggings war die Noth nicht ganz so hart, wie an andern Orten, aufgetreten, weil die Magazine der Compagnie zufällig dieses Jahr etwas früher als gewöhnlich für den Winter verproviantirt wurden, und so konnten die Beamten derselben ihren nächsten Nachbarn manches Faß Mehl und Salzfleisch zukommen lassen.

Am schlimmsten erging es den armen Indianern. Werner’s Freunden, weil der ungewöhnlich frühe Frost ihre Maisfelder zerstört und die Thiere des Waldes nach mildern Himmelsstrichen, fern im Süden, verscheucht hatte, so daß der Ertrag der sonst so ergiebigen Winterjagd vollständig wegfiel. Auch das beliebte Fischen unter dem Eise des kleinen Sees, an dem ihr Dorf lag, konnte nicht stattfinden, denn das Wasser war bis auf den Grund gefroren. Die Folge dieses Elends waren Hunger und Seuchen, welche unter den sonst so abgehärteten Odschibbewas mit ungemeiner Heftigkeit auftraten und der Bevölkerung des Dorfes den Stempel der Verzweiflung aufdrückten.

In dieser Noth wandte sich Tawanka an seinen deutschen Freund, zeigte ihm seine abgemagerten Arme und Schenkel und bat ihn, seinen Stammgenossen doch einige Lebensmittel zukommen zu lassen. Werner zeigte sich gleich dazu bereit, fest entschlossen, seine neuen Freunde zu unterstützen, obgleich er wußte, daß die andern Beamten der Compagnie die Indianer gern hätten verhungern sehen, wie denn überhaupt der Amerikaner eher einem Hunde ein Stück Brod zuwirft, als einer unglücklichen Rothhaut. Schon am nächsten Tage erhielten die Indianer trotz des Protestes des Magazinverwalters ein Paar Fässer Mehl, denen eine Woche später ein großer Sack voll Mais folgte. Damit war jedoch der humane Deutsche noch nicht zufrieden, denn er wollte sich selbst an Ort und Stelle von ihrem Elend überzeugen und helfen, so weit er konnte.

In seinen raufen Büffelpelz gehüllt und auf Schneeschuhen dahingleitend, deren Gebrauch er sich bald angeeignet hatte, eilte er über Berg und Thal, und als er vor Tawanka’s Wigwam anhielt, hörte er zu seinem großen Schrecken den dumpfen Klagegesang der Squaws. Er fand seinen Freund mit schweren Wunden bedeckt, die dieser im Kampfe gegen einen schwarzen Bären davongetragen. Tawanka hatte trotz seiner durch die letzten Entbehrungen herbeigeführten Schwäche die Spur des Thieres im Dickicht verfolgt, dieses Mal aber fast den Kürzern gezogen, da die Bestie, bei dem Mangel an Wild ausnehmend hungrig und wüthend, ihn mit der Mordgier eines Tigers angefallen hatte. Nur seiner Geistesgegenwart verdankte der Häuptling das Leben. Auf allen Vieren nach dem Dorfe zurückkriechend, hatte er indeß kaum noch Besinnung genug gehabt, um seinen Leuten sagen zu können, wo der Bär gefallen war. –

Nachdem Werner sich überzeugt hatte, daß die Wunden äußerst gefährlich waren, und daß selbst eine unverdorbene indianische Natur ohne Kunsthülfe solchen Verletzungen unterliegen müsse, entschloß er sich sofort, den Häuptling nach der Bergwerkscolonie bringen zu lassen, um ihn dem dort angestelllen Arzte zur Behandlung zu übergeben. Er selbst räumte dem Kranken eines seiner wohlgewärmten Zimmer ein und unterließ Nichts, was zu dessen Genesung und Pflege dienen konnte. Die angestrengte Sorgfalt des Doctors – die gebildeten Aerzte Amerikas sind in der Regel sehr human – und die rastlose Aufmerksamkeit des Deutschen im Bunde mit der urwüchsigen Lebenskraft Tawanka’s hatten denn auch ein günstiges Resultat zur Folge, und vier Wochen nach dem Unglücksfalle konnte der Häuptling schon so gut auf Krücken im Hause herumhinken, daß sich bei ihm der Wunsch einstellte, wieder zu seinen Stammgenossen zurückzukehren, was übrigens Werner einstweilen nicht zugab.

(Fortsetzung folgt.)



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