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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

erste kleine Stadt, an welcher die für die Mineralgegend bestimmten Dampfer anlegen.

Die Saratoga lud hier aus und ein, setzte einige Passagiere ab und dampfte nach einem Aufenthalt von ein paar Stunden nach Ontonagon weiter, wo sie ohne Unfall am nächsten Morgen ankam. – Gedankenvoll stand Werner auf dem Sturmdeck des Schiffes und betrachtete mit prüfenden Augen die Gegend, welche nun für einige Jahre sein Aufenthalt werden sollte. Er mußte sich selbst gestehen, daß seine Erwartungen übertroffen wurden, denn überall begegnete seinen Blicken eine wundervolle Mischung von Wald- und Felspartien, die sich über dem immer bewegten Spiegel des Sees terrassenförmig erhoben, bis sie sich in weiter Ferne an einen weitgestreckten, zackigen Gebirgskamm lehnten. Das Städtchen selbst bot dieselben Erscheinungen, wie alle neu angelegten amerikanischen Orte in ihrer Kindheit: hübsche und breitausgemessene Straßen, sich rechtwinkelig durchschneidend, freundliche Backsteinhäuser, untermischt mit noch rohen Blockhäusern, und einige primitive Kirchen, deren verschiedener Baustyl den Beweis lieferte, daß das landesübliche Sectenwesen auch schon bis hierher vorgedrungen war. In Begleitung von Mr. Tomkins, dem Agenten, überschritt Werner die Landungsbrücke und begab sich nach dem Bureau der Minnesotacompagnie, vor welchem ein paar hundert Fässer voll Kupfererz aufgeschichtet lagen, fertig zur Verschiffung. Dort wurde der neue Betriebsdirector von einigen Beamten gastfreundlich aufgenommen und die Bestimmung getroffen, daß derselbe sich in einigen Tagen nach einem neuangekauften Minendistrict begeben solle, um für dessen zukünftige Ausbeutung die nöthigen Vorarbeiten zu machen.

Gegen Abend, als Werner am Ufer des Flusses, der sich bei Ontonagon in den See ergießt, lustwandelte und das verfallene Indianerdorf, welches am Abhange des Hügels der Stadt gegenüber liegt, mit neuigierigen Augen betrachtete, begegnete ihm wie zufällig Mr. Jones, der sich außerordentlich zu freuen schien, noch einmal mit seinem Reisegefährten von der Saratoga zusammenzutreffen, und sein Bedauern ausdrückte, ihm nicht weiter dienen zu können, da er morgen schon mit dem nächsten Dampfer sich weiter nach dem Westende des Sees begeben wolle.

„Ich werde Ihnen nie vergessen,“ sagte der Deutsche, „daß Sie mich bei jenem Sturme vor großem Unglück bewahrt haben, denn, in der That, ich muß gestehen, ich hatte keine Ahnung davon, daß ich damals mich an einer so gefährlichen Stelle des Schiffes befand.“

„Ei, Sie haben nichts zu danken,“ versetzte Jones, „ich that nichts, als meine Schuldigkeit. Ich sah, daß Sie wie alle Ausländer die Gefahren, welche hier mit dem Reisen verknüpft sind, noch nicht kannten, und ich kann die Schiffsofficiere nicht genug tadeln, daß man Sie bei dem Ausbruch des Wetters nicht hineingehen hieß. Lassen wir das bei Seite. Aber ich möchte Sie, als Fremden, noch auf andere Dinge aufmerksam machen, wenn Sie es mir nicht übel deuten. Sie sind hier von der Minnesotacompagnie engagirt, um durch Ihre höhere Fachkunde einen größern Ertrag aus den Minen zu erzielen, den die Herren bei ihrer oberflächlichen Kunde des Bergbaues bis dahin nicht gewinnen konnten. Man wird nun Ihre Kenntnisse und Talente so gut wie möglich ausbeuten, und wenn Sie dann alle Einrichtungen getroffen haben werden, wenn zweckmäßigere Schachte und Stollen hergestellt sind, kurz und gut, wenn man Ihnen Ihre Kunst und Wissenschaft abgelauscht hat und Ihre Dienste nicht mehr nothwendig braucht, dann wird man Sie wegwerfen wie eine ausgequetschte Citrone und an Ihre Stelle einen Yankee einstellen, der den Herren mehr zu Willen ist und die fremden Arbeiter besser beschwindeln kann.“

„Was Sie mir da sagen,“ entgegnete Werner, „klingt allerdings sehr beunruhigend für mich, indessen bin ich nicht so grün, wie sich die Herren vorstellen, und was das Bergfach anbetrifft, so wird so ein oberflächlich gebildeter Mensch erst noch lange lernen müssen, ehe er in meine Functionen treten kann.“

„Glauben Sie das nicht,“ versetzte Jones, „die Amerikaner sind ungemein praktisch und wißbegierig, wenn es sich darum handelt, Geld zu verdienen, und dem Ausländer gönnen meine Landsleute vollends nichts. Nun, hören Sie meine Worte. Ich habe gesprächsweise an Bord der Saratoga gehört, wenigstens gab Mr. Tomkins es nicht undeutlich zu verstehen, daß Ihre Compagnie jetzt hauptsächlich darauf speculirt, Silbererze aufzufinden, und daß man Sie gerade zu diesem Zwecke als praktischen Bergmann engagirt hat. Vor einigen Monaten hat ein irischer Arbeiter irgendwo in der Gegend eine gewaltige Stufe des edeln Metalls gefunden und ohne Hülfe Anderer gelöst. Sie soll wenigstens fünfzehnhundert Dollars werth gewesen sein. Das Merkwürdigste bei der Geschichte ist aber, daß der Mann, nachdem er sich positiv geweigert hatte, den Ort seines glücklichen Fundes anzugeben, spurlos aus der Gegend verschwunden ist, so daß man hin und wieder von einer schwarzen That gemunkelt hat. Möglich, daß ihn die Odschibbewas, die sich hier noch immer am südlichen Ufer des Sees herumtreiben, in der Wildniß erschlagen haben, wenn sich der Narr so weit von den Ansiedlungen weg wagte.“

„Ich dachte,“ sagte Werner, „die hiesigen Indianer wären friedlicher Natur und ohnehin genug zu beklagen, daß die fortschreitende Civilisation sie aus der Heimath ihrer Väter verdrängt.“

„Da sind Sie im Irrthum,“ erwiderte Jones, „es ist verrätherisches Gesindel, welches jede Gelegenheit ablauert, um einen Weißen kalt zu machen. Einige von den alten Sagamores kennen durch Tradition noch die Metallschätze des Landes und wissen genau, wo das Silber liegt, aber sie behalten das Geheimniß für sich, weil sie fürchten, daß die Kunde davon unzählige Ansiedler herbeiziehen würde, denen in kürzester Frist Grund und Boden anheimfiele.“

„Aber mit welchem Rechte?“ unterbrach Werner.

„So kann nur ein Deutscher fragen,“ antwortete Jones. „In unsern Augen sind diese rothen Diebe nur so eine Art zweibeinigen Ungeziefers, das jeder ordentliche Weiße mit Fug und Recht vertilgen kann. Die Kirche lehrt ja, daß die Brut von Kain abstammt und deshalb, zum unstäten Wanderleben verdammt, keinen bleibenden Besitz eignen kann.“

„Da sind unsere Begriffe von dem Christenthume anders!“ rief Werner aus.

„Mag sein, daß die Europäer verschieden denken,“ sagte Jones, „wir wollen darüber nicht streiten; aber, um auf das früher Gesagte zurückzukommen, will ich Sie noch einmal darauf aufmerksam machen, daß Sie, wenn es Ihnen gelingen sollte, eine Silbermine zu entdecken, die Sache zunächst für sich behalten, um ruhig überlegen zu können, wie Sie den besten Nutzen daraus ziehen mögen; denn wenn die Compagnie oder andere Leute dahinter kämen, so würde man Ihnen den Besitztitel abzuschwindeln oder Sie auf irgend eine Weise mit einer Kleinigkeit abzufinden suchen, falls Sie Ihr Eigenthumsrecht nicht vollständig vor dem Gesetze gewahrt haben.“

„Ei nun,“ sagte Werner, „so weit sind wir noch nicht. Sollte mich wirklich das Glück begünstigen, so werde ich mein Recht schon zu behaupten suchen. Uebrigens, Mr. Jones, bin ich Ihnen sehr dankbar für Ihre Mittheilungen, da Sie mich als Ausländer nicht mit nativistischen Gesinnungen betrachten, sondern im Gegentheil mit Freundschaft überhäufen, indem Sie mir Aufschlüsse über die hiesigen Zustände gegeben haben, welche von großem Nutzen für mich sein werden.“

„Ich werde vielleicht längere Zeit am Oberen See bleiben,“ sagte Jones, „und wahrscheinlich öfter in diese Gegend kommen, dann werde ich, wenn Sie nichts dagegen haben, Sie in Ihrer Wildniß besuchen und sehen, ob Ihnen das Glück günstig gewesen ist. In Ontonagon kann ich ja immer erfahren, wo Sie sich augenblicklich aufhalten. Ist Ihnen das recht?“

„Nichts wird mich mehr erfreuen, als ein solcher Besuch,“ erwiderte Werner, „Kehren wir indeß zur Stadt zurück, da die Sonne im Sinken begriffen ist und wir den Weg verlieren möchten. Dort können wir bei einer Flasche Wein das Gespräch fortsetzen und auf baldiges Wiedersehen anstoßen.“




Einige Wochen später war Werner in voller Thätigkeit. Die Compagnie hatte in der Nachbarschaft des Ontonagonflusses, nicht weit von der Küste, einen Mineraldistrict gekauft, der schon früher, vor undenklichen Zeiten von einer gänzlich verschollenen Nation bearbeitet worden war und aus diesem Grunde die Toltec-Diggings genannt wurde, wahrscheinlich, weil man meinte, daß hier früher die Vorfahren der alten Azteken gehaust hätten. Ueberall, wo die ausgestorbene oder schon vor Jahrhunderten ausgewanderte Race,

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