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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

§. 1 der Satzungen lautet:

Die Schillerstiftung hat den Zweck, deutsche Schriftsteller und Schriftstellerinnen, welche für die Nationalliteratur (mit Ausschluß der strengen Fachwissenschaften) verdienstlich gewirkt haben, vorzugsweise solche, die sich dichterischer Formen bedient haben, dadurch zu ehren, daß sie ihnen oder ihren nächstangehörigen Hinterlassenen in Fällen über sie verhängter schwerer Lebenssorge Hülfe und Beistand darbietet.“

„Hülfe und Beistand“, und dieser Paragraph muß erhalten bleiben; an diesen Worten darf nicht geschnitten oder gedeutelt werden, denn sie allein enthalten den Sinn und die Bedeutung der ganzen Stiftung, für welche die gesammte Nation das Geld beisteuerte.

Auch der deutsche Schriftstellerverein in Leipzig hat sich vor einigen Tagen direct dahin ausgesprochen. Er sagt:

„Die Schillerstiftung ist unter Mitwirkung der gesammten Nation und der klar ausgesprochenen (Bedingung in’s Leben gerufen worden, würdigen deutschen Schriftstellern oder deren Hinterlassenen in Fällen über sie verhängter schwerer Lebensorge Hülfe und Beistand zu gewähren. Zu diesem und keinem anderen Zweck ist das Geld von Hunderttausenden gestiftet worden, und durch einen Majoritätsbeschluß kann nach irgend einem Recht der Welt dieser Zweck, so lange er erfüllbar ist und sich nicht augenscheinlich als gemeinschädlich erweist, verändert, umgedeutelt, beschränkt oder erweitert werden. Das Stiftungseigenthum zu anderen Zwecken verwenden, würde ebensoviel heißen, als durch das große Nationalunternehmen der Schillerlotterie unter der heiligen Aegide von unseres Schiller’s Namen die Lüge in 660,000 Exemplaren in die Welt geschleudert zu haben.“

Danach protestirt der Schriftstellerverein gegen die „von der Generalversammlung beschlossene Einschaltung des Wörtchens ‚insbesondere‘, durch welches die Hülfsbedürftigkeit als unerläßliche Bedingung zur Gewährung der Ehrengaben bei Seite geschoben werden soll.“

Der Zweck der ganzen Stiftung ist auch in der That in diesem ersten Paragraphen der Satzungen so entschieden und unzweifelhaft ausgesprochen, daß eine andere Deutung unmöglich ist – auch gar nicht versucht wurde. Das eingeschobene kleine Wort soll sie nun abändern, und das darf eben nicht sein. Das deutsche Volk würde auch wohl schwerlich sein Geld dazu hergegeben haben, wenn es sich darum gehandelt hätte, daß sich die Schriftsteller unter einander Geschenke machen sollten.

Der erste Paragraph der Satzungen muß deshalb wieder in seiner ursprünglichen Fassung hergestellt werden, und nicht allein die Regierungen haben die Pflicht, wohlthätige Stiftungen zu überwachen, damit ihr Capital nicht zu anderen Zwecken verwendet werde, sondern die deutsche Nation hat auch ein Recht, zu verlangen, daß die Gelder, die sie gesteuert hat, auch dazu verwandt werden, wofür sie gefordert wurden.

Einige Schriftsteller haben allerdings davon gesprochen, die Schillerstiftung dürfe nicht zu einer Armen- der Almosenanstalt „herabgewürdigt“ werden.

Sie ist zu Nichts weiter in’s Leben gerufen worden, und ich selber bin der Meinung, daß es der schönste und ehrenvollste Zweck sei, den sie erfüllen kann.

Ehrengaben sind allerdings schon vertheilt worden, aber lassen wir alles Geschehene auch eben geschehen sein. Ein Irrthum ist auf jeder Seite verzeihlich, solange er nicht zum Gesetz erhoben wird.

So hoffen wir denn, daß eine recht baldige Versöhnung möglich ist. Der Verwaltungsrath wird gewiß nicht starr auf der Majorität beharren, die er gewonnen hat, denn es muß ihm ja selber daran liegen, den Frieden in der Stiftung hergestellt zu sehen. Der einzige mögliche Ausgleich kann dann nur durch eine neue Generalversammlung stattfinden, und recht von Herzen wünschen gewiß Alle, die es gut mit der Stiftung meinen, daß dort nachher kein unfreundliches Wort mehr gesprochen werde, sondern Die sich in Frieden und Freundschaft die Hand reichen mögen, die auserwählt sind vor Vielen zum ersten Mal in Deutschland – seit es ein Deutschland giebt – das wahre Wohl deutscher Schriftsteller zu vertreten.

Friedrich Gerstäcker.     




Pariser Salonplaudereien. 2. Eine unserer ersten Modedamen, eine Ausländerin zwar, zur hohen Diplomatie gehörig, allein nichtsdestoweniger in Temperament und Wesen eine echte Pariserin, von der man sich erzählt, sie singe wie Theresa vom Café Alcazar, sie tanze wie Rigolboche und rauche wie ein Schornstein, sie besuche alle Maskenbälle der Oper, die Studentenbälle im Jardin Marbille und der Closerie des Lilas – versteht sich, stets in Gesellschaft ihres Gemahls und nur aus Neugierde – kurz, diese neugierige Dame hatte oft genug von den komischen Scenen erzählen hören, die sich zuweilen oben auf den Imperialen der Omnibusse zutrügen, und wollte um jeden Preis auch das Vergnügen kosten, auf der Omnibusimperiale zu fahren, was ihr um so wünschenswerther erschien, als es den Frauen untersagt ist. Der Gatte stellte ihr alle Unmöglichkeiten und Unzukömmlichkeiten ihres Verlangens vor, aber das machte die Sache nur schlimmer, und nach dem alten französischen Sprüchwort: „ce que femme veut, Dieu le veut“, setzte sie ihren Willen durch und kletterte eines schönen Tages in der Tracht eines Schülers oder Gymnasiasten, wie wir sagen würden, und in Begleitung ihres Gemahls, der über seine Schwäche lachte und raisonnirte, die unbequemen Stufen zur Imperiale eines Omnibus hinauf. Ganz roth und freudig aufgeregt setzte sie sich triumphirend auf die harte Holzbank und zündete sich, ihrem Costüm zu Liebe, welches sie sehr ungenirt trug, eine Cigrette an. Hierauf rückte ein jungen Arbeiter, welcher auf der anderen Seite des Pseudoschülers saß, näher heran, zog eine Cigarre heraus und bat um die Erlaubniß, dieselbe an der parfümirten Cigarette anzünden zu dürfen. Die Dame war ganz glücklich; man hielt sie ganz bestimmt wirklich für einen jungen Mann! Sie begann hierauf eine Unterhaltung mit dem Lehrling, der mit vollständiger Unbefangenheit darauf einging und ihr über die Gewohnheiten und Sitten in den Ateliers tausend Dinge erzählte, wovon sie bis dahin keine Ahnung gehabt, Wohl erschien zuweilen ein malitiöses Lächeln um den Mund des Gamins, besonders wenn die Dame im Austausch der Mittheilungen ihm von der Langweiligkeit des Collegs, von den den Pedellen gespielten Streichen und den gewonnenen Ballspielpartien sprach, allein sie bemerkte dieses Lächeln um so weniger, als sie, hingerissen von der Poesie ihrer Erzählungen, sich ganz in einen Schüler verwandelte und zuletzt fast selbst an ihre Lügen glaubte.

Als der Omnibus am Ziel seiner Fahrt angelangt war und man herabsteigen mußte, sprang der Lehrling zuerst hinunter, reichte dann seiner Nachbarin galant die Hand und sagte mit jenem zugleich höflichen und spöttischen Ausdruck, der den Pariser Gamin charaterisirt: „Geben Sie Acht, daß sie nicht fallen, Madame!“ Damit verschwand er lachend um die nächste Ecke. Die Dame – wir dürfen jetzt unseren Lesern verrrathen, daß es die Fürstin Metternich war – stand sehr betroffen da und mußte sich auch noch von ihrem Manne auslachen lassen.




Des Kaufmanns Redlichkeit und Klugheit. Zwei glänzende Beispiele, das eine von der unerschütterlichen Verpflichtung, vor Allem die Wahrhaftigkeit, den Glauben, das Vertrauen im Verkehr heilig zu halten, das andere von einer höchst schlauen Weise, ein Geschäft in Blüthe zu bringen, erzählt Heinrich Lomer in seinem Buche „der Rauchwaaren-Handel“, und zwar in dem vortrefflichen Abschnitt über den „Kaufmann und Rauchwaarenhändler“ – wie er sein soll.

Er sagt dort u. A. von der Rechtlichkeit; Der Kaufmann muß darin strenger sein als die meisten anderen Stände, als jedes Gesetzbuch. Wenn ein Banquier bei Vorzeigung eines fremden Wechsels gefragt wird, ob solcher Wechsel gut sei, so wird er durch seine Antwort „Ja" sich rechtlich für verpflichtet halten, den Wechsel zu bezahlen, selbst wenn er die ganze Summe verliert; er müßte denn dem „Ja“ die Bemerkung: „ohne meine Verbindlichkeit“ hinzugesetzt haben. – Wir erinnern unter vielen anderen an den Fall, als an der Börse in Lübeck ein Kaufmann gefragt wurde, ob ein gewisses Hamburger Haus für zehntausend Mark gut sei. Als er die Frage bejaht hatte und zwei Tage später erfuhr, daß jenes Hamburger Haus fallirt habe, bezahlte er auf sein „Ja" hin ohne Weiteres die zehntausend Mark. Er war damals nicht reich, aber er hat bis heute seine Ehre bewahrt.

Der rechtliche Kaufmann, sagt H. Lomer weiter, soll sein Licht leuchten lassen. Kenntnisse und Geschicklichkeit allein nützen nicht; der Handel will auch betrieben und empfohlen sein. Ein Schuhwichsfabrikant in London, der überzeugt war, die beste Schuhwichse anfertigen zu können, legte fast sein ganzes Capital zur Verfertigung dieses Artikels an. Darauf kündigte er seine Waare in Zeitungen und Briefen an; aber Niemand kümmerte sich um seine Wichse, er hatte keine Käufer. Als er sah, daß er bald kein Geld zum Lebensunterhalte mehr haben würde, fiel ihm noch ein Mittel zur Bewirkung des Verkaufs ein. Er zog seine besten Kleider an, ging zu allen großen Londoner Handlungshäusern und fragte nach einer großen Partie Schuhwichse; er verlangte aber Waare von Day und Martin (so hieß seine Firma), von welcher man ihm noch keine liefern konnte. Nun erst ward Nachfrage für seine Wichse laut; man suchte sie, kaufte sie, pries sie an, die Waare entsprach der Empfehlung, er konnte bald kaum genug Wichse liefern. Der Mann ist durch diesen einfachen Artikel reich geworden; ein großes Haus in Holborn, das ihm gehört, trägt die Firma „Day und Martin“. Oft sieht man drei bis vier eiserne Lastwagen hintereinander durch Londons Straßen ziehen, jeden mit vier glänzend schwarzen starken Pferden bespannt, neben jedem Wagen einen Fuhrmann und einen Knecht mit weißen Schützen; diese Lastwagen und Leute gehören Day und Martin; sie holen von den Speichern die Ingredienzen der Schuhwichse, oder sie bringen große Fässer voll Wichse zu den Schiffen, die nach überseeischen Häfen gehen. Auch eigene Schiffe besitzt der Mann, die von Indien Specercien bringen und dorthin Schuhwichse führen.




Wislicenus’ Bibel. Wie die Solidität der deutschen Forschung und Wissenschaft schließlich doch immer den Sieg davon trägt über die noch so glänzende Form, in welcher fremdländische Ungründlichkeit zu blenden und zu bestechen weiß, das zeigt von Neuem Wislicenus’ Bibelwerk, das jetzt seit einiger Zeit vollendet vorliegt. Die elegante einschmeichelnde Sprache, welche Renan’s Leben Jesu eine Zeitlang auch in Deutschland zum Modebuch gemacht hat, beginnt nachgerade ihre Zaubermacht zu verlieren, während das bei aller Gründlichkeit so klar und verständlich geschriebene Buch Wislicenus’, des tapfern Forschers auf dem Gebiete der Theologie, fortfährt sich der ungetheilten Anerkennung seiten der Kritik zu erfreuen und mehr und mehr das ihm gebührende Bürgerrecht in den deutschen Häusern und Familien erobert. Auch werden bereits mehrere Uebersetzungen des Werkes vorbereitet.




Neue Ausgabe von Karl Herloßsohn’s Schriften. Unlängst erst hat die Gartenlaube das Andenken eines unserer liebenswürdigsten deutschen Dichter, Karl Herloßsohn’s, aufgefrischt. Wie dessen „Wenn die Schwalben heimwärts zieh’n“ den Rundlauf durch die ganze deutsche Welt gemacht hat, so sind auch seine vielen lebensvollen modernen und geschichtlichen Novellen und Romane einst besondere Lieblinge des Publicums gewesen. Es darf daher sicher als ein glücklicher Gedanke bezeichnet werden, wenn jetzt die Verlagshandlung von J. L. Kober in Prag eine Auswahl der besten Schriften Herloßsohn’s in absprechendem äußern Gewande veranstaltet, worüber die unserer heutigen Nummer beiliegende Anzeige das Nähere besagt.




Zur Kreuz- und Quer-Charade. Es wird uns unmöglich den vielen Auflösern der in Nr. 7 enthaltenen Kreuz- und Quer-Charade speciell zu antworten; wir wollen daher hier nur bemerken, daß die meisten richtig gerathen haben, wenn sie „Gartenlaube“ als das zu findende Wort angeben.

Die Redaction.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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