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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Die Verdienste, der Ruhm und die Anerkennung M. Müller’s stiegen ruhig und siegreich über alle Vorurtheile gegen den „Foreigner“, den Ausländer, so daß ihn die Universität Oxford 1856 zum ordentlichen Professor und „Master of Arts“, (Meister der Künste, ein englisch-eigenthümlicher Universitätsehrentitel) und darauf sogar zum „Fellow“, einer bestimmten Universitätsabtheilung (College of all souls,) ernannte. „Fellow“ heißt hier: ordentliches Mitglied und hat wissenschaftlich und materiell etwas zu bedeuten. da dieser Titel zur Theilnahme an den reichen Einkünften des „College“ berechtigt. Diese liberale That war ein Ereigniß in England. Max Müller war der erste und bis jetzt letzte Ausländer als Fellow. Auch war er der Erste, dem bei Ertheilung dieser höchsten akademischen Würden die neununddreißig Artikel der anglicanischen Kirche nicht zum Schwure darauf vorgelegt wurden, wie dies sonst unerläßlich vorgeschrieben ist.

Endlich war er der Erste, der sich verheirathen durfte„ ohne das Privilegium eines Fellow zu verlieren. Er verehelichte sich mit der Tochter einer angesehenen Familie, deren Haupt freilich nicht eher einwilligte, als nachdem er die Braut mit zehntausend Pfund Sterling lebensversichert hatte, so daß er seitdem jährlich dreihundert Pfund Prämie zahlen muß.

Im Jahre 1857 starb Wilson. Zu der erledigten Stelle – einer der wichtigsten der Wissenschaft in England – meldete sich Professor Dr. Max Müller, F., M. A. etc., da es nur noch einen Sanscrit-Gelehrten im ganzen englischen Reiche gab, der etwas verstand, Professor Cowell in Calcutta in Ostindien. Und dieser trat sofort von der Bewerbung zurück, als er vernahm, Max Müller habe sich gemeldet. Nun war unter den einsichtsvollen Gelehrten der Universität Oxford, die Wahlrecht hatten (über dreitausend mit Allen, die dort promovirt haben), nichts ausgemachter, als daß Max Müller die Stelle erhalten würde. Aber Jahre lang vorher hatte ein gewisser Williams, Verfasser einer Sanscrit-Grammatik, die in Oxford selbst als vollständig unbrauchbar verworfen worden war, mit seiner pietistischen Niederkirchen- (Low-Church) Partei gegen den Breitkirchner[1] Max Müller gewühlt und wußte jetzt die bekannte stockenglische Wuth gegen deutsche Vorzüge so geschickt und fanatisch und „praktisch“ mit pietistischen Verleumdungen gegen den wissenschaftlich unantastbaren Gegencandidaten in Zeitungen und Ansprachen loszulassen und pietistische Wähler für tausend Pfund Bestechung nach Oxford zur Wahl zu bringen und sogar Bischöfe gegen ihn öffentlich warnen zu lassen, daß die wissenschaftliche Partei Max Müller’s, zu siegesgewiß, die Gefahr zu spät erkannte und mit zweihundert Stimmen Minorität gegen die vereinigten Söldlinge und Sclaven der Bestechung, des Pietismus und der Stockengländerei erlag.

Ich habe den ganzen Scandal in England mit erlebt und erinnere mich genau, wie dieses Ergebniß von allen Gelehrten, Gebildeten und Gentlemen als eine nationale Schmach in dem Grade gefühlt ward, daß selbst die Times, sonst stets das Hauptorgan der Schmähung gegen Deutschland und deutsche Vorzüge, dem allgemeinen Unwillen einen Leitartikel widmete. Ebenso urtheilten alle wissenschaftlichen Organe des Auslandes, so daß diese Niederlage Max Müller’s ihm zu einem neuen Triumphe ward, der sch seitdem durch seine Werke und Vorlesungen immer fortgesetzt, vergrößert, erweitert hat. Seine „Vorlesungen über die Sprachwissenschaft“ haben die Engländer auf die wissenschaftlichste und anmuthigste Weise in einem musterhaften Englisch (das die besten Engländer selbst unvergleichlich schön nennen) mit den deutschen Schöpfungen und Entdeckungen eines Grimm, Kuhn, Wichmann etc. und seinen eigenen vertraut und diese bereits in allen gebildeten Kreisen so heimisch gemacht„ daß wir, im Originallande, uns unserer Unwissenheit schämend, die Augen niederschlagen müssen. Seine Vorlesungen wurden erst aus dem beredten Munde mit Begeisterung vernommen, dann kurz hintereinander in vier Auflagen zu fünftausend Exemplaren vergriffen. Diese Sprachwissenschaft stürzt alle alten Tempel der Grammatik, Etymologie und Mythologie und baut neue von wunderbarer Schönheit auf. „Der kühne, unabhängige Denker und Forscher mit dem ewigen Wunder seines Stils“ (The Reader vom 20. August) steht jetzt in England als der gefeiertste Priester einer ganz neuen Wissenschaft unangefochten in höchsten Ehren.

In Folge seines kühnen und klaren Worts (und zwar in der Times) für das tausendstimmig und brutal geschmähte Vaterland während des Kampfes um Schleswig-Holstein wurde er zwar von der Times selbst wieder angebellt und vom Punch mit Schmutz beworfen; aber die meisten Zeitungen schwiegen sofort und auch die beiden Hauptfeinde deutscher Vorzüge schämten sich fortan ihrer Gemeinheit. Sie lernten sich sogar über deutsche Angelegenheiten anständig ausdrücken. Dem Priester und Pionier deutscher Wissenschaft in London gebührt aber für diese Heldenthat – mitten unter einer deutschfeindlich fanatisirten Bevölkerung – ganz besonderer Dank des deutschen Volks, das ihm denselben freilich bis jetzt schuldig blieb, insofern wir uns nicht mit der begeisterten Dankesadresse begnügen, die ihm der deutsche Nationalverein in London durch eine Deputation überreichen ließ.

Das Ausland ist reich an großen und edeln Männern deutscher Abkunft und vielfach ungewürdigter Verdienste um’s Vaterland. Max Müller gehört zu den ersten unter ihnen. Wir können ihnen Allen den würdigsten Dank darbringen, wenn wir besser für unsere eigene Ehre zu Hause und für Zustände sorgen lernen, welche den Propheten, Pionieren und Priestern deutscher Wissenschaft und Cultur erlaubt, zu Hause zu bleiben und zu wirken.

H. B.     


Blätter und Blüthen.

Zur Versöhnung in der deutschen Schillerstiftung. Viel erbitterte und bittere Worte sind schon in dieser Frage gefallen, und die schöne Stiftung, die eigentlich dazu dienen sollte, uns ohnedies genug mit einander zerfahrene Schriftsteller zu vereinigen, scheint gerade dazu ausersehen, erst recht Haß und Zwietracht unter die „Ritter vom Geist“ zu werfen. Ist es denn gar nicht möglich das zu verhindern?

Wenn wir Alle den guten Willen haben, gewiß.

Die letzte Generalversammlung hat drei wichtige Beschlüsse gefaßt:

1. Die Oeffentlichkeit der vertheilten Gaben.

2. Die Abänderung des Paragraphen in den Statuten, nach dem der Vorort wechseln soll.

3. Die Einschiebung des kleinen Wörtchens „insbesondere“ in den ersten und Haupt-Paragraphen der Satzungen, der den Zweck der ganzen Stiftung behandelt und diesen klar ausgesprochenen Zweck dadurch allerdings total verändert.

Es ist unmöglich der Generalversammlung das Recht abzusprechen einzelne Paragraphen ihrer Satzungen, die sich als dem Ganzen hinderlich oder als nicht praktisch erwiesen haben, abzuändern, und die Minorität wird sich stets der Majorität fügen müssen.

Die erste Abänderung der Satzungen: Die Oeffentlichkeit der von der Stiftung gereichten Gaben, bedarf keines Commentars weiter. Gegen eine verschwindend kleine Minorität waren nicht allein alle Zweigstiftungen dafür, sondern wir Schriftsteller besonders können dem Verwaltungsrath für den Antrag und dessen Durchführung nur dankbar sein. Jede Gabe, welche die Schillerstiftung verleiht, ist eine Ehrengabe, deren sich der Empfänger nicht zu schämen hat.

Weit größere Opposition rief die zweite Aenderung, den Wechsel des Vororts betreffend, hervor. Betrachten wir uns die Sache ruhig.

§. 6 lautet allerdings:

„Derselbe Vorort kann nicht zwei Wahlperioden hintereinander zur Leitung der Schillerstiftung berufen werden“

und der Paragraph ist jedenfalls so gestellt, damit nicht ein Ort oder bestimmte Persönlichkeiten die Autokratie über die andern Zweigstiftungen gewinnen.

Wenn sich nun aber herausgestellt hat, daß solches vor der Hand noch nicht zu fürchten ist, und andere Verhältnisse dazu kommen, um es wünschenswerth erscheinen zu lassen, daß gerade Weimar noch länger der Vorort der Stiftung bleibe, kann das derselben etwas schaden? Ich glaube nicht.

So lange nur nicht ein bestimmter Ort als permanenter Vorort festgestellt wird; so lange die Generalversammlung nach Ablauf der fünf Jahre immer noch das Recht behält, einen Wechsel des Orts zu veranlassen, wenn sie Ursache dazu finden sollte, so lange kann keine Gefahr darin liegen.

Ein Uebelstand ist allerdings der: Ist der Wechsel durch die Satzungen bestimmt, so versteht er sich von selbst, muß er aber erst motivirt werden, so könnte man darin eine Kränkung fur den Platz finden, den man verlassen will, und man scheut sich vielleicht sie auszusprechen.

Aber dieses Bedenken wird kaum thatsächlichen Vortheilen die Wage halten können, die Weimar gegenwärtig in manchen ihm eigenthümlichen Verhältnissen zu bieten scheint, und ich bin überzeugt, die übrigen, bis jetzt noch differirirenden Zweigvereine würden darin nachgeben, wenn sie fänden, daß sie dadurch der schönen Stiftung ihre Einigkeit und ihr Zusammenwirken wieder verschaffen können.

Ebenso steht es, nach der anderen Seite hin, mit dem dritten Punkt.

Die Generalversammlung hat unstreitig das Recht, Umänderungen in den Paragraphen ihrer Satzungen vorzunehmen, aber sie kann unmöglich den ganzen ursprünglichen Zweck einer wohlthätigen Stiftung durch ein noch so kleines eingeschobenes Wort umstoßen, wie das hier geschehen ist.


  1. Broard-Church-Partei, kirchlich Liberale, die sich zwischen der Hoch- und Niederkirchenpartei unabhängig und wissenschaftlich verhalten.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 143. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_143.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)