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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

zu sorgen, die sich mit den Hindus verständigen könnten, mußte ein Deutscher aus dem kleinen Jena, wo Deutsch gesprochen wird, Lehrer des Hindustani in englischer Sprache werden. Auch fand sich trotz alles Suchens kein Anderer zum Sceretair des Präsidenten der asiatischen Gesellschaft in England, als Dr. Rost.

In Petersburg wären einmal viele Hundert Bücher und Mannscripte in ganz unbekannten Sprachen zum Vorschein gekommen. Es wurde in ganz Europa umhergefragt und geschrieben, ob Niemand diese wahrscheinlich hindustanischen Literaturschätze entziffern könne. Es fand sich Niemand, bis endlich an die Regierung in Petersburg geschrieben ward, in England sei Jemand, der’s vielleicht verstehe, Dr. Rost. Die geheimnißvollen Bücher wurden ihm also von der kaiserlichen russischen Regierung mit der Bitte geschickt, sie zu enträthseln und zu schreiben, zu drucken, was drin stehe.

Dr. Rost that so Monate lang mit angestrengtester Forschung und Genialität. Und so entstand sein berühmtes Buch, das ihm im Kreise der semitischen Sprachgelehrten einen ewigen Namen er warb. Die Bücher und die berühmte Enträtselung wurden nach Petersburg zurückgeschickt. Nach Jahr und Tag erhielt er – auf russische Staatsdienerweise – einhundert Thaler dafür. Es wäre gut, wenn diese Thatsache von hier aus dem russischen Kaiser zu Gesicht oder Ohren käme. Da würde dies „Versehen“ des russischen Vertreters in London gewiß gut gemacht werden. Von dem andern genialen Oberpriester alter und neuester vergleichender Sprachwissenschaft, dem deutschgebornen Professor Goldstücker in London, der ersten Autorität in der alten Ursprache des Sanscrit und dem Helden der vergleichenden Sprachwissenschaft, will ich nur erwähnen, was Bucher einmal Treffendes von ihm sagte: „Er riecht verborgene, unbekannte Sprachschätze und Worte, wie ein Trüffelhund die Trüffeln. Er braucht die Worte fremder Sprachen nicht zu lernen, sondern er kratzt sie aus der Tiefe seiner Wissenschaft.“

Wegen seiner Vorzüge in dieser Wissenschaft verhaßter war und ist nun beliebter Max Müller, jetzt wohl der berühmteste Vertreter deutscher Wissenschaft in England.

Max Müller (Friedrich Maximilian) ist ein geborner Dessauer und feiert im December seinen einundvierzigsten Geburtstag. Er ist ein Dichtersohn. Sein Vater war der berühmte Griechenfreiheitssänger Wilhelm Müller, der freilich schon dem vierjährigen Max starb. Die verwittwete Mutter, sein Großvater Basedow, Sohn des auch durch Goethe berühmt gewordenen Pädagogen, und die herzogliche Schule in Dessau, später Professor Carus in Leipzig und die Nicolaischule sorgten für gute Erziehung und die Elemente der Wissenschaft. Max aber noch mehr. Wenigstens konnte er schon im achten Jahre schön Clavier spielen und bald darauf dichten. Sein Gedicht zum Buchdrucker-Jubiläum in Leipzig (1840) fand ganz besondern Beifall, auch den des Componisten Mendelssohn, der ihm seitdem stets befreundet blieb. Von seinen Jugendfreunden nennen wir nur Professor Victor Carus und den Herausgeber dieses Blattes. Auf der Universität Leipzig studirte er zunächst Hebräisch und Arabisch, dann aber, durch Professor Brockhaus auf die Wurzel aller indogermanischen Sprachen aufmerksam gemacht, Sanscrit, die reiche Quelle seiner jetzigen Verdienste. Schon als Student machte er sich damit so vertraut, daß er die alte indische Fabelsammlung Hitopadesa übersetzte und herausgab.

Seit 1844 finden wir ihn eine Zeit lang auf der königl. Bibliothek zu Berlin, schwelgend in alten Sanscrit-Manuscripten, in den Hörsälen bei Böth, Heyne etc., angeregt und anregend bei Humboldt, überall frisch, froh, forschend, in Sprachwissenschaft und gelehrtem wie lernendem Eifer Achtung einflößend und die Freundschaft, die schönsten Hoffnungen gelehrter Männer gewinnend. Damals war auch der Dichter und Persisch-Kundige Friedrich Rückert zur Berliner Universität berufen worden, wo’s ihm aber durch und durch mißfiel. Er sollte Vorlesungen halten, wollte aber nicht. In der Hoffnung, daß sich Niemand als Zuhörer melden würde, kündigte er eine Vorlesung über die persische Sprache an. Es meldete sich Niemand, außer Max Müller. Rückert sagte, er müsse wenigstens drei Zuhörer haben (tres faciunt collegium), sonst thue er’s nicht. Max Müller ließ sich keine Mühe verdrießen, die beiden Fehlenden zu finden. Nun meldeten sich Drei und Rückert mußte verdrießlich anfangen. Aber der Eifer und die raschen Fortschritte der Zuhörer, besonders Müllers, machten ihn bald liebenswürdig und selbst eifrig.

Solch regem Fleiße in Jugendkraft und reicher Fülle von Geistesgaben ward es nicht schwer, eines schönen Morgens die liebende Mutter mit seinem in aller Stille glänzend erworbenen Doctordiplom aus Leipzig freudig zu überraschen. Bis dahin hatten Universität-Stipendien Nahrungssorgen fern gehalten. Aber von dem Rufe des berühmten Sanscrit-Gelehrten Burnouf nach Paris getrieben, mußte er, um ihn zu hören, zu studiren und zu leben, sogar bis zu kümmerlich bezahltem Abschreiben gelehrter Manuscripte herabsteigen und dies trotz der Empfehlungen Humboldts und der besondern Achtung und Freundschaft Burnouf’s. Dieser ermunterte ihn zu der schwierigsten, wenn auch ehrenvollsten Arbeit, der Herausgabe ältester Brahmanengesänge im Sanscrit, des Rig-Beda. Nachdem er ein Buch zu Stande gebracht und sich dabei sogar etwas Geld gespart hatte, ließen ihm die Sanscrit-Kostbarkeiten im britischen Museum zu London keine Ruhe mehr. Ohne Englisch zu verstehen, fuhr er hinüber und begab sich sofort zu dem damaligen Präsidenten der asiatischen Gesellschaft, der ersten Sanscrit Autorität, Professor Wilson. Derselbe stellte dem blutjungen deutschen Gelehrten – er war damals dreiundzwanzig Jahre alt – alle Manuscripte zur Verfügung. Diese brachten aber nicht sofort Geld, das man gleichwohl im modernen London alle Tage immer baar haben muß, und sollte man auch blos Manuscripte studiren wollen.

Als die kleine Casse bis auf den Betrag der Heimkehrkosten geschmolzen war, wollte er sofort Anstalt zur Rückfahrt machen. Dazu gehörte aber außer Geld auch ein von der Gesandtschaft visirter Paß. Glücklicherweise für ihn – und unzählige andere Männer der Wissenschaft – war damals Bunsen und nicht Graf von Bernstorff Gesandter. Bunsen hatte durch Humboldt von Müller gehört. Die Paßangelegenheit führte Beide persönlich zusammen. Bunsen fühlte sich sofort zu dem durch sein ganzes Wesen gewinnenden jungen Gelehrten hingezogen und überredete ihn, in London zu bleiben und an der Herausgabe des Rig-Veda weiter zu arbeiten; für Mittel werde er sorgen. Und er hat nobel Wort gehalten.

Während Müller mit Freuden die Rig-Veda-Arbeit wieder aufnahm, forderte Wilson die asiatische Gesellschaft in Ostindien auf, dasselbe Werk mit Unterstützung gelehrter Brahmanen herauszugeben. Aber unter allen gelehrten Engländern fand sich Niemand der Ausgabe gewachsen. Nun erbot sich Max Müller kühn, das Werk allein mit Mitteln der ostindischen Gesellschaft in Deutschland zu vollenden. Wilson lehnte dies ab und verstand sich endlich nur unter der Bedingung dazu, daß es in England erscheine und ihm die Uebersetzung übertragen werde. Der kühne einzelne deutsche Gelehrte mußte die Bedingung eingehen, da England ihm die Mittel bot und kein deutscher Staat Geld für dergleichen unmilitärische Dinge hat. Und so erschien das große Ursprachwerk als Heldenarbeit eines deutschen Gelehrten mit englischen Mitteln. (Wir müssen hier der Versuchung widerstehen, andere deutsche Heldenarbeiten für englische Rechnung, Barth’s, Overweg’s etc. zu würdigen.)

Im Jahre 1847 war ein Theil der Arbeit vollendet. Die englische Association von Männern der Wissenschaft, mit Bunsen als Mitglied, wußte sie zu würdigen und veranlaßte ihn, in der alten klösterlichen Universität Oxford über modernes Indisch, die bengalische Sprache, öffentlich Vorträge zu halten. Dies that er mit dem größten Beifall. Und da ihm Oxford auch sonst gefiel, beschloß er, einstweilen da zu bleiben. Er ahnte noch nicht, daß es die Stätte seiner größten Triumphe werden sollte, der herrlichste Triumph deutscher Wissenschaft in England.

Er trat zunächst als Stellvertreter eines Professors der europäischen Sprachen auf und erhielt nach dessen Tode diese Stelle. Dies war 1847, nachdem er noch einen vergeblichen Versuch gemacht, die großartige Arbeit in Deutschland herauszugeben und gar selbst zurückzukehren. Glücklicherweise hielt ihn England und rettete dadurch den Apostel einer ganz neuen, zukunftreichen Wissenschaft, der vergleichenden Sprachwissenschaft, der vergleichenden Mythologie und Phonetik. Er hielt darüber regelmäßig Vorlesungen und arbeitete mit riesiger Anstrengung an Fortsetzung der Herausgabe des Rig-Veda-Textes, der endlich zu vier Bänden, jeder von eintausend Quartseiten, anschwoll. Später half ihm dabei Dr. Aufrecht aus Berlin, da er in England Niemanden dazu fand. Dieser wurde später Sanscrit-Professor in Edinburgh, weil der Engländer oder Schotte, der für diese Stelle gesucht ward, auch nirgends zu finden war.

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