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System waren, – um die feindliche Armee zu decimiren, dadurch, daß man die nach tapferer Gegenwehr auf den Schlachtfeldern Gefangengenommenen in Mangel und Elend verkommen ließ oder wenigstens auf lange hin zu weiterem Kriegsdienste untauglich machte. Und der Plan war praktisch, man muß es den Sclavenbaronen zugestehen! Eine andere Erklärung der geschilderten Unmenschlickkeiten läßt sich nicht auffinden, denn was man hie und da als Beschönigung und Entschuldigung hat anführen wollen, daß die conföderirten Truppen selbst am Nothwendigsten Mangel gelitten hätten, hat sich als durchaus unbegründet erwiesen. Armeen, die mit Frost und Mangel kämpfen, sind nicht im Stande die unaufhörlichen forcirten Märsche, die unsäglichen Strapazen eines Krieges zu ertragen, der Beschwerden bot, wie kaum je ein anderer, noch weniger aber den tollkühnen Muth, die Kampflust, das Ungestüm an den Tag zu legen, welche fast allen Actionen der Conföderirten zuerkannt werden müssen! Daß die Barbarei auch kein Act der Wiedervergeltung war, auch das wissen wir. Durch unverwerfliche Zeugnisse, durch die unbeeinflußten Aussagen conföderirter Officiere und Soldaten, welche in die Gefangenschaft des Unionsheeres geriethen, ist unwiderleglich constatirt, daß die Gefangenen der Föderirten sich blos über den Verlust ihrer Freiheit zu beklagen hatten, im Uebrigen aber mit der ihnen werdenden Behandlung und Beilegung vollkommen zufrieden waren, nicht nur mit dem Nothwendigen ausreichend versehen, sondern selbst im Genusse von mancherlei Annehmlichkeiten und Bequemlichkeiten und in jeder Beziehung mindestens ebensogut versorgt, wie das Unionsheer selbst. Namentlich entsprach die Pflege der Kranken und Verwundeten in den Spitälern des Nordens nach jeder Richtung hin allen Ansprüchen, die man heutzutage an solche Anstalten zu machen berechtigt ist. Den allerbesten Beweis dafür liefert das Mortalitätsverhältniß unter diesen Gefangenen; während in den südstaatlichen Gefangnenstationen der Procentsatz desselben fort und fort wuchs und selbst fünfzig Procent überschritt, steht fest, daß Dank der guten Wohnung, Kleidung und Abwartung, z. B. in Fort Delaware im verflossenen Mai von acht Tausenden nur zweiundsechszig, im letzten Juli sogar nur zweiundvierzig starben. –

Diese Thatsachen wird der künftige Geschichtsschreiber des furchtbaren Bruderkrieges vor allem Andern hevorzuheben haben, denn es sind keine zufälligen, sondern sie stehen in unzertrennlichem Zusammenhange mit Ursache und Natur des Kampfes selbst. Die Barbarei, vor welcher die Leser geschaudert haben, ist, wie wir sehen, lediglich eine Consequenz der unmenschlichen Institution, für deren Erhaltung der Süden die Waffen ergriff. Was für Nebenursachen auch Anfangs in Mitwirkung gewesen sein mögen, nachgerade ist der Krieg zum Vernichtungskampfe wider die Sclaverei geworden, – er ist der Kampf der nämlichen Principien, welche in Europa seit langer Zeit um die Herrschaft streiten: der Kampf des modernen Bürgerthums, der Kampf von Handel und Industrie wider den Feudalismus, der Kampf der allgemeinen staatsbürgerlichen Gleichheit wider Anmaßung und Privilegien einer kleinen volksfeindlichen Kaste, – der Kampf der Freiheit wider die Tyrannei, – der Kampf der Humanität wider die Barbarei. Das ist die große weltgeschichtliche Bedeutung des gegenwärtigen amerikanischen Krieges, und darin liegt das Interesse, welches er für die ganze civilisirte Welt besitzt!

Auf welche Seite, wie im Allgemeinen, so hier in unserm besondern Falle, der endliche Sieg sich neigen wird, – darüber kann kein Zweifel obwalten. Schon haben mehrere Staaten des Südens, Missouri, Kentucky, Maryland, Tennessee, die Abschaffung der Sclaverei beschlossen, und wir dürfen uns jetzt, nach den neuesten Berichten vom Kriegsschauplatze, nach Sherman’s kühnem Zuge auf Savannah, nach dem Falle von Fort Fisher, und nachdem der Präsident der Conföderation selbst schon von Friedensanträgen spricht – der verzweifelten Anstrengungen ungeachtet, mit dem der Süden ein letztes va-banque versucht – der bestimmten Hoffnung hingeben, daß der gigantische Kampf seinem Verlöschen nahe, der Sieg dem Norden schon so gut wie gesichert ist. Die zerrissene Union wird wieder die einige werden, der Süden, reingewaschen von dem Schandfleck der Sclaverei und erlöst von dem Joche eines monopolisirenden Junkerthums, der freien Arbeit erschlossen, fortan Antheil nehmen an der Bewegung der modernen Welt und damit erst zur vollen Entwickelung seiner reichen Hülfsquellen gelangen.

S.


Die Neujahrsnacht auf der Sennhütte.[1]
Von Heinrich Noë.

Der Morgen des 31. December im Jahre des Heils 1864 hatte mit einem Morgen das gemein, was ungefähr der 21. März mit dem Frühlingsanfang: nichts als den Namen. Ein Nebel, wohlverstanden, eine Anhäufung herabgedrückter graubrauner Wolkenschichten, ein schwebender Regen, wie ihn nur die Hochthäler der Alpen kennen, hatte sich auch in die Klüftung eingezwängt, mit welcher der Achensee und sein Abfluß die gewaltigen Felswände des Unnütz und Seekar trennen. Durch den nächtlichen Dunst schaute ein fahler, trübseliger Schein, nicht heller, als der Wiederglanz des Schnees in einer Winternacht, deren Vollmond von lichten Wolken umschleiert wird. Wer das zum ersten Male sieht, wird traurig und giebt sich gern der herkömmlichen Melancholie hin, mit welcher die Lyriker aller Zeiten jede Sorte von Nebel besungen haben. Wer aber im Hochland zu Hause ist, macht sich nichts daraus; denn, abgesehen von der Gewohnheit, weiß er, daß nur tausend Fuß über der herabgesenkten Dunstbank die Sonne strahlt und der Himmel in glänzendem Tiefblau über der beschneiten Erde liegt. Er wird sich niemals von der beabsichtigten Besteigung eines Berges durch das Grau abhalten lassen, das beim Anbruch eines solchen Tages vor seinem vereisten Fenster schwebt; er wird sich vielmehr auf jene unbeschreibliche Empfindung freuen, die auch den Natursohn überkommt, wenn er plötzlich aus den obersten Lagen der Nebelschicht in den sonnigen, warmen Tag hinauf taucht.

Ich will damit nicht gesagt haben, dast es nicht dennoch immerhin eine kleine Ueberwindung kostet, um sieben Uhr eines solchen Wintermorgens sich aus dem warmen Bett mit der Aussicht loszureißen, draußen eine Temperatur von Minus zwanzig zu finden und über den Schnee eines siebentausend Fuß hohen Berges zu klettern; aber wie für die Griechen den Schweiß, so haben die Götter für uns auch den Frost vor die Tugend gestellt, und dann giebt es ja auch Viele, welche das Ungewohnte und die Gefahr mehr locken, als das weichste Bett und der wärmste Ofen.

Von der Gefahr erzählten mir die Wände des Juisen drüben, an welchen im August desselben Jahres, dessen Sonne ich von der Schneewüste eines Joches aus untergehen sehen will, ein reicher Wiener zerschmettert hinstürzte, als er der verhängnißvollen Blüthe des Edelweiß an den schwindelnden Rändern nachstieg. Wie leicht, dachte ich, kann dich die hereinbrechende Nacht, der emporsteigende Nebel, die trügerische Schneedecke dahin stürzen, wohin Jenen die Gier nach dem wolligen Gnaphalium! Du wirst glücklicher sein! antwortete ich mir selbst und schritt auf dem ächzenden Schnee weiter.

So kam ich an die gespenstisch aus dem Nebel aufragenden Gebäude, welche die Krone aller Tiroler Wirthinnen, die preiswürdige Scholastica, an dem Strand der Krone aller Tiroler Seen, des tiefblauen Achensees, erbaut hat. Da gilt es, zu rasten, noch diesen und jenen nützlichen Wink aufzufassen und vor Allem aus den Vorräthen des Hauses, welches auch in dieser öden Jahreszeit seinen Ruf nicht verleugnet, das Nöthige in möglichst compacter

Form einzusacken. Die Feldflasche füllt bald der rothe

  1. Die gesammte deutsche Presse, auch die Gartenlaube in Nr. 7 dieses Jahres, hat sich mit jener Winteralpenfahrt beschäftigt, die unserm geschätzten Mitarbeiter, dem Verfasser des fleißigen Buches: „In den baierischen Voralpen“ beinahe das Leben gekostet hätte. Die nachstehende Mittheilung, in welcher der kühne Wanderer selbst sein Abenteuer in fesselnder Weise schildert, wird daher sicher das allgemeine Interesse in Anspruch nehmen.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 137. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_137.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)