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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

„würden Sie dem armen Thiere nicht wenigstens ein Bündel Stroh unter den Kopf schieben? Würden Sie ihm im Todeskampfe sich die Glieder an den harten Holzblöcken zerschlagen lassen?“ Erst wenn dies Zelt so voll war, daß absolut Niemand mehr darin Platz fand, wurde die Uebersiedelung der Todkranken in das Hospital zu Richmond angeordnet; meist aber erst im letzten Augenblicke, wo menschliche Hülfe nichts mehr fruchtete. Ueber die Hälfte erlag schon auf dem Transporte, ja Viele starben in dem Augenblicke, wo die Träger sie zur Abbolung bereit machten. Auch in dem Richmonder Hospitale war von angemessener Behandlung und ordentlicher Pflege übrigens nicht im Entferntesten die Rede. „Die Unsauberkeit der Betten, auf welche man die blessirten Gefangenen brachte,“ berichtet ein Arzt, der selbst zu den letztern gehört hatte, „kann nirgends in der Welt ihres Gleichen haben. Eiter und andere Körpersecretionen, von verschiedenen Generationen von Kranken herrührend, besudelten Decken und Kissen, so daß schon der bloße Anblick übel und krank machte.“ Daß unter solchen Umständen das Sterblichkeitsverhältniß ein außerordentlich hohes war, wird Niemanden befremden. Von zweitausendachthundert Kranken starben in Richmond eintausendvierhundert, also gerade die Hälfte. –

Noch gräßlicher lauten die Nachrichten, die von einer andern südstaatlichen Militärstation einliefen. Seit längerer Zeit waren aus dem Gesammtgebiete der Rebellen die Kriegsgefangenen vorzugsweise nach Georgien zusammengeschleppt worden, die Officiere nach Macon, die gemeinen Mannschaften nach Andersonsville. In dessen Nähe befindet sich Camp Sumter, und daselbst war auf einem Areale von einigen dreißig preußischen Morgen, in dessen Mitte ein tiefer Morast pestilenzialische Dünste aushauchte, die ungeheuere Anzahl von fünfunddreißigtausend Gefangenen zu gleicher Zeit untergebracht, wenn man überhaupt von „unterbringen“ sprechen kann, wo von dieser ganzen Menge höchstens für ein paar Tausend Obdach – Obdach der jämmerlichsten Art – vorhanden war. Ueber Dreißigtausend besaßen nicht das geringste Obdach, keine Hütte, kein Zelt, gar keinen Schutz, Tag und Nacht dem Regen und dem Sturm wie der Gluth der hier schon mit nahezu tropischer Macht niederbrennenden Sonne preisgegeben. Die Meisten hatten nicht einmal eine Decke, in die sie sich einhüllen konnten, um sich gegen den kalten Thau zu schützen, der allnächtlich den Erdboden feuchtete und in diesen Klimaten lebensgefährlich wirkt.

Nirgends wurde die Ausplünderung der Gefangenen systematischer betrieben, als in Camp Sumter. Man kann sich daher wohl den kläglichen Aufzug vorstellen, in welchem die Unglücklichen einhergingen. Tausende waren ohne Rock, Tausende selbst ohne Beinkleider, Viele trugen nichts als ein in Fetzen herabhängendes Hemd auf dem Leibe. Die Verpflegung war alledem ebenbürtig: die täglichen Rationen, aus drei Viertel Pfund Brod oder Mehl und einem Achtel Pfund Fleisch bestehend, konnten den Hunger nicht stillen, der bald mit unaufhaltsamer Gewalt zu wüthen und Tag für Tag seine Opfer zu fordern begann. Ueberdies war das Mehl in der Regel schon in Gährung übergegangen und stets voller Unreinigkeiten, das Fleisch von einer Beschaffenheit, die es mehr für den Seifensieder, als zum Lebensmittel qualificirte. Wie dem Vieh ward diese Ration den Gefangenen vorgeworfen von hohen Wagen herunter, welche jeden Nachmittag die Portionen herbeifuhren: Anfangs hatten die Armen weder Topf noch Schüssel noch sonst ein Gefäß zu ihrer Verfügung. Später errichtete man zwar ein großes Kochhaus, allein für die Dreißigtausend und mehr reichte es in keiner Weise hin, und so geschah es, daß Hunderte voller Verzweiflung mit ihrer Ration umherliefen, die sie sich nicht zubereiten konnten, und Hunderte das Fleisch und Mehl, roh wie es war, mit Wasser hinabzuwürgen suchten. Ueber alle Worte widerlich war dies Wasser, dessen sich die Gefangenen bedienen mußten. Ein sumpfiger Bach floß durch das Lager, nachdem er vorher noch alle Arten von Zuflüssen von der um das Lager postirten Wachtstation, selbst die aus den Cloaken, aufgenommen hatte. Diese schwarze, dicke, faulige Flüssigkeit, mit der sich auch noch der Koth und Schmutz der Gefangenen selbst vermischten, war das einzige Wasser, welches die Unglücklichen zum Trinken und zum Kochen benutzen konnten.

„Es war eine Hölle, dies Camp Sumter!“ bezeugt einer der befragten Soldaten. Bald nahmen Hungertyphus und Fieber auf das Furchtbarste überhand und das Sterblichkeilsverhältniß wuchs mit jedem Tage. In der ersten Zeit waren täglich im Durchschnitte dreißig Mann ihren Qualen erlegen, später starben täglich einhundertundfünfunddreißig, ja, „ich habe“ – constatirt ein anderer Zeuge – „eines Tages einhundertundfünfzig Leichen gezählt, die sämmtlich des Transports nach dem Leichenhause harrten.“ „Daß man Morgens beim Erwachen seinen Nebenmann todt, erfroren oder verhungert an seiner Seite liegend fand, war eine zu gewöhnliche Erscheinung, als daß man sie groß beachtete.“ „Ich habe den Tod unter jeder Form im Hospitale sowohl als auf dem Schlachtfelde gesehen, ich kenne selbst die Schauerstätte von Belle-Isle in Virginien, allein die Scenen, die ich in Camp Sumter Tag für Tag vor Augen hatte, überboten Alles, was ich je von menschlichem Leiden und Elend erblickt oder nur als möglich gedacht hatte,“ – läßt sich ein Anderer vernehmen, der, obwohl selbst Kriegsgefangener, im Lazareth von Andersonsville mit zur Krankenpflege verwandt worden war. Daraus mag man versuchen sich ein ungefähres Bild des Jammers zu entwerfen, zu welchem die armen Gefangenen verdammt waren, des Zustandes, dem sich weitaus ihre Mehrzahl hingegeben sah. Alle packte die Verzweiflung, bei Vielen artete sie zuletzt in völligen Blödsinn aus, der sie auf immer untauglich machte für die Anforderungen und Geschäfte des Lebens.

Neben solchen Foltern des Leibes gefiel man sich darin, den Gefangenen auch noch Seelenmartern aufzulegen, zu deren Bezeichnung uns vollends alle Worte fehlen. „Nicht nur,“ sagt einer der Leidensgefährten aus, „daß man uns alles Schreibmaterial unbarmherzig versagte, auch die Briefe, die aus der Heimath an uns eingingen, kamen uns nur ausnahmsweise zu. Im letzten Sommer blieben Tausende – über Fünftausend – an uns nach Camp Sumter adressirte Briefe erst monatelang irgendwo unterwegs liegen, und als sie dann endlich an ihrem Bestimmungsorte anlangten, forderte man uns für jeden Brief ein Bestellgeld von zehn Cents ab. Die Meisten von uns besaßen ja auch nicht einen einzigen Cent, – und so erhielten wir unsere Briefe nicht nur nicht ausgeliefert, sondern hörten auch nicht, was mit ihnen nun weiter geschah! Einer meiner Cameraden erblickte unter den vorgewiesenen Briefen einmal drei, deren Aufschrift von der Hand seines Vaters herrührten, allein der arme Bursche hatte nicht so viel, sich die lang ersehnten, schmerzlich erwarteten Nachrichten aus dem Elternhause einzulösen, und all sein Flehen blieb ohne Erfolg: unerbittlich warf der Gefängnißbeamte die Briefe zu dem großen Haufen der andern, die für uns auf immer verloren waren!“

Enden wir aber mit Aufzählung dieser Scheußlichkeiten; der Leser wird ihrer längst müde sein und das Herz schwer haben im Gedanken, daß in unserm Jahrhunderte, in einer Nation, die zu den stimmführenden der Zeit gehört, in einer Republik, die bis jetzt vielfach als Vor- und Musterbild, gewissermaßen als Ideal staatlicher Verhältnisse aufgestellt worden ist, dergleichen Barbareien, die dem Menschenthume Hohn sprechen, überhaupt noch möglich sind. Das nur muß noch hinzugefügt werden, daß die nämlichen Scenen von Ausplünderung und Mangel, von Frost und Hunger, von Schmutz und Krankheit, von Aufseherwillkür und Schildwachensport, wie wir sie in Libby, auf Belle-Isle und in Camp Sumter kennen lernten, in allen Militärstationen der Conföderirten spielen und daß die Art und Weise, wie man den Transport von Kranken und Verwundeten in den Eisenbahnwaggons zu bewerkstelligen pflegte, dem Kannibalismus eines Königs von Dahomey Ehre machen würde. Zu Hunderten wurden Verwundete und Unverwundete, Kranke und Gesunde in die Vieh- und Gepäckwagen eingeschichtet; darin lagen und standen, hockten und starben sie mitten in Koth und im Blut, das von den unverbundenen Wunden strömte!

Genug, genug dieser entsetzlichen Bilder, die irre machen können an der Menschheit! Wie aber konnte dergleichen geschehen? fragt der Leser. War es frevelhafter Leichtsinn oder strafbare Nachlässigkeit, Rohheit der Unbildung oder Stumpfsinn geistiger Beschränktheit; war es ein Zusammentreffen unglücklicher Umstände, denen das Ungeheuerliche zur Last fällt? Nein, leider nein! Wie man auf Menschlichkeit der Kriegführung nicht hoffen darf, wenn der ganze Kampf nur um die Erhaltung der allergrößten Unmenschlichkeit geführt wird, so unterliegt es, nach den actenmäßigen Erhebungen, nach den unumwundenen Bekenntnissen von conföderirten Officieren und Behörden, keinem Zweifel, daß die verübten Grausamkeiten, welche diese Blätter zur Kenntniß auch des deutschen Publicums bringen wollen, ein wohlerdachter Plan, ein fein angelegtes und organisirtes

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