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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

„O dieses Wort!“ murmelte die Zurückbleibende.

Sie faltete die Hände, blieb so, den Blick auf den Kranken gerichtet, stehen und schreckte nur zusammen, wenn durch die wilden Fieberphantasien der Ruf: „Ingeborg! Ingeborg!“ als tiefster Klagelaut ertönte. – – –

Dies „Ingeborg“, einst vergebens erwartet, wurde es jetzt vergebens gehört?

Fast schien es so, als Erich Larsson endlich den Namen mit Bewußtsein aussprach und angsterfüllt auf die Gestalt an seinem Lager schaute, die bewegungslos gleich einer Statue am Bette saß und ihm kein Zeichen von Leben, von Liebe gab.

„Ingeborg, ich danke Dir, daß Du gekommen bist!“ rief er warm und herzlich.

Wie tonlos und wie trostlos klangen Stimme und Wort, als sie darauf entgegnete: „Der Arzt sagte mir, es sei Pflicht zu kommen.“

Trotz dieser äußeren Ruhe schlug ihr Herz laut und stürmisch, zitterte jede Fiber ihres Wesens, und um zu verbergen, was in ihr vorging, beeilte sie sich ihm den verordneten Trank zu bereiten. Als sie ihm den Becher reichte, wies er ihn zurück und sprach ernst:

„Wie ich auch nach diesem Trnnke schmachte, Ingeborg, noch mehr lechze ich nach dem einen Wort, um das ich Dich schon seit Jahren gebeten haben würde, wenn ich gewußt hätte, wo Dich finden! Sprich jetzt diese Wort aus, Ingeborg! sei der Engel der Milde, der Du einst warst, sage, daß Du mir vergeben hast, was ich in blinder Rache Dir und, ach, noch mehr mir selbst angethan! Gieb mir Ruhe, Frieden, Glück, gieb mir Leben durch Deine Verzeihung!“

„Ich vergab Dir lange, Erich! vergab Dir Alles, als ich aus dem Leben schied und – dies Gewand anlegte.“

Er sah sie starr, entsetzt an, sah erst jetzt, daß sie eine ihm bekannte geistliche Ordenstracht trug, und fragte tonlos: „Wann geschah das?“

„Nach meines Vaters Tode.“

„Ingeborg, wenige Monate nach seinem Tode war ich an der Pforte Eueres Gartens! ich fand sie verschlossen, Läden und Thüren des Hauses verriegelt und erloschen auch jenes kleine Licht, den Stern meiner Kinderjahre!“

„Es verlöschte in dem Augenblick, Erich, als ich das stille Asyl ,der Gestrandeten’ verließ, um in einem andern Bekenntniß – im Hafen des Klosters die Ruhe zu suchen.“

Beide schwiegen lange Zeit. Sie saß still an seinem Lager, er blickte unverwandt auf sie.

Wie klagte diese stumme Gestalt ihn so laut an! Welche tiefe Reue empfand er beim Anblick dieses farblosen Gesichts mit den verweinten Augen, mit jenem bittern Schmerzeszuge um die feinen Lippen, die einst so fröhlich gelacht, einst so flehend gebeten: „Laß mich wiederkehren!“

Nicht, wie Nanna Hansen, rief der laute Donner inmitten des Tobens der Elemente ihm zu: „Dies ist Dein Werk!“ nein, in stiller einsamer Nacht legte sich das drückende Bewußtsein: „Dies ist Dein Werk!“ immer furchtbarer um seine Seele und immer entsetzlicher wurde ihm der Gedanke, nicht ändern zu können, was einmal ohne Gnade und Erbarmen geschehen.

„Ingeborg!“ rief er plötzlich lebhaft, „wie ich mich auch darnach gesehnt, von Deinen Lippen das Wort der Vergebung zu hören, fast glaub’ ich, ich trüge es leichter, wenn Du mir grolltest.“

Sie schrak zusammen: sie heftete einen andern, seltsamen Blick auf ihn, in dem Nichts von Erbarmen lag, und griff, immer heftiger erbebend, nach dem am Gürtel befestigten Rosenkranze. In tiefes Sinnen verloren, ließ sie eine Perle nach der andern durch die schlanken Finger gleiten, da kam sie an’s Kreuz! Wieder auf Erich blickend, hob sie das Sinnbild des Christenthums empor und sprach feierlich: „Erich, ich will Dir beichten, was ich so oft meinem Gotte gebeichtet habe: wohl legte ich einst das Gewand stillen Friedens an, aber Frieden fand ich bis jetzt nicht! Tagtäglich betete ich vor dem Crucifix, an dem die Gestalt Dessen sich uns zeigt, der sterbend am Krenz noch voll Erbarmen gerufen: ‚Vater, vergieb ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun!‘ und trotzdem lernte ich kein Erbarmen! Ich verzieh Dir nur der Form nach, Nichts drang in’s tiefinnerste Wesen; ich grolle Dir fort und fort, klage Dich an, Tag und Nacht!“

Erich Larsson bedeckte das Gesicht mit beiden Händen und rief trostlos: „So ist’s denn gekommen, wie ich es stets gefürchtet!“

Dann noch einmal auf sie blickend, die in dem dunkeln Nonnenschleier so ernst, so düster vor ihm stand, setzte er leise hinzu: „Nein, schlimmer noch, als ich gefürchtet, weit schlimmer, als ich gedacht!“




In den nächstfolgenden Wochen hatte die Kunst der Aerzte Erich Larsson wieder hergestellt und seine gesunde Natur ihre Bemühungen wirksam unterstützt. War er auch noch bleich und noch schwach, im Vergleich zur frühern vollen, ungebrochnen Körperkraft, so sehnte er sich doch fort und hinaus auf den Tummelplatz des Kampfes, wo er leichter und besser die rastlosen Kämpfe seiner Seele zu besiegen hoffte. Ingeborg hatte er nicht wieder gesehen. Der Arzt hatte ihm gesagt, sie sei krank, was er indessen keinen Augenblick geglaubt. Gern hätte er sie noch einmal gesprochen und ihr ein letztes Lebewohl gesagt, wagte aber nicht darum zu bitten.

Alles war zu seiner Abreise gerüstet, denn er stand im Begriff, zu seinem Regimente zurückzukehren, das in den Laufgräben vor Düppel arbeitete. Jetzt hatte er auch die letzten Vorbereitungen vollendet und stand, des Wagens harrend, am Fenster, als Ingeborg zu ihm eintrat. Auf den ersten Blick sah er, wie krank sie gewesen sein mußte, um sich so verändern zu können. Die feinen Augenbrauen schienen jetzt wie auf Marmor gemalt, die Schatten unter den Augen waren tiefer und dunkler geworden, jedoch aus ihren lieblichen Zügen war jener erschütternde Ausdruck von Schmerz und Seelenpein gewichen.

„Du hast’s nicht geglaubt, daß ich krank bin,“ sprach sie freundlich, „doch sieh, man kann auch ohne Kugeln und Säbelhieb auf’s Krankenlager geworfen werden. Wär’ es nicht der Fall gewesen, so war ich längst wieder bei Dir, nicht allein, um Dir zu sagen, wie froh ich bin, Dich wiedergesehen zu haben, sondern auch, um einen Auftrag meines Vaters an Dich zu bestellen und Dir einen Brief von ihm zu geben. Hast Du Zeit mich anzuhören, so nimm Platz.“

Er setzte sich ihr gegenüber. Seine Hand ihr reichend, sprach er bewegt: „Könnte ich doch Etwas für Dich thun, Ingeborg!“

Ein zarter Anflug von Farbe überhauchte ihr klares, fast durchsichtiges Antlitz und sie sprach lebhafter: „O, Du thatest viel, Erich, ich fühlte es neulich nur nicht so tief. Du hast ja gethan, was Du einst verweigertest: vergeben und vergessen, und ich bin darüber so glücklich.“

„Ingeborg, Erbarmen! Mahne mich nicht an den Wahnsinn jenes Abends!“

„Ich thu es jetzt ohne Groll!“ entgegnete sie mit flüchtigem Lächeln.

„So grollst Du nicht mehr?“

„Nein, Erich, nun endlich habe ich Frieden.“

Er sprang auf und durcheilte das Zimmer. Dann blieb er vor ihr stehen und rief heftig: „Was ist Frieden? ein langsamer Tod! Ich aber möchte Dir so gern den vollen Pulsschlag des Lebens – Glück – geben und vermag’s nicht!“

Sie verbarg ihr mehr und mehr erglühendes Antlitz in den Händen. Rasch aufblickend, sagte sie danach mit feuchten Augen: „Sei jetzt zufrieden, Erich, denn Du hast mir jetzt Glück gegeben!“

„O Ingeborg!“ rief er erschüttert und wollte zu ihren Füßen hinsinken, da fiel sein Blick, der an dem Antlitz des geliebten Mädchens gehangen, auf das Gewand der Nonne und er wich zurück.

„O Leben! o Schicksal!“ rief er düster.

„Erich, es war licht und wir, wir haben es dunkel gemacht; doch traure darüber nicht also, schaue wieder froher in das Leben und, Erich, erfülle meine Bitte: schone jetzt Dein Leben mehr!“

„Wozu? und für wen?“ fragte er bitter.

Sie schwieg einige Secunden und sagte dann ruhig: „Willst Du mich jetzt anhören, Erich?“

Er nahm seinen Platz wieder ein, und sie fuhr fort:

„Mein Vater trug mir auf, Dir sein Schicksal zu erzählen, ehe Du den Brief hier liesest. – Als junger Mann kam er in das Haus des Grafen Adlersparre, um die ihm von seinem Vater zugedachte Braut, meine Tante Alma, kennen zu lernen. Diese hatte eine jüngere Schwester, Ulrike Eleonore, die so reizend, wie Alma schön, so liebenswürdig war, wie Jene klug und gebildet.

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