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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Wie ein Lächeln wollte es um seinen Mund gleiten, doch der finstere Geist in ihm behielt die Oberhand..

„Ja, das weiß Gott!“ sprach er bitter, „und Sie, Baroneß Fordenskiöld, gaben in Wahrheit den ausgiebigsten Beweis, was tiefe, innige Liebe nicht Alles zu ertragen vermag! In plötzlicher Erinnerung all dessen erlauben Sie mir jetzt, Ihnen mein aufrichtiges Bedauern über das traurige Ende Ihrer so bewährten Liebe auszudrücken!“

Sie sah ihn ruhig an und sprach dann ernst: „Ja, Du hast Recht, Erich; ich gebe den Beweis, was wahre Liebe erträgt. Trotz Allem, was Du mir heute angethan an Hohn und Bitterkeit, an bösem Wort und harter Rede, liebe ich Dich doch! lieb’ Dich so heiß, wie all die langen, langen Jahre!“

„Ingeborg!“ schrie er wild, drohend, voll Zorn und Leidenschaft.

„Ja, Erich, ich liebe Dich! Die Probezeit Oscar’s war auch die meine, für jene Liebe zu Dir, die in mir erwachte an dem Abend, wo Du die Deine mir vergebens bekanntest. Nie, Erich, nie wär’ ich Oscar’s Weib geworden! Dem Vater sagt ich’s, eh’ dieser kam, und er bat mich, noch seine Rückkehr abzuwarten. Am Tage, eh’ wir auf’s Meer fuhren, fragte er mich, wie’s nun sei, nachdem ich Oscar wiedergesehen, und war nicht böse, als ich sagte, ich sei entschlossener denn zuvor, mit ihm zu brechen, und würde nach der Wasserfahrt noch am nämlichen Abend mit ihm sprechen. Als ich von ihm schied, rief er mir zu: ,Geh’ mit Gott!’ und, Erich, ,Geh’ mit Gott!’ waren auch vorhin meines Vaters Worte, als ich ihm eröffnete, daß ich Dich aufsuchen, mit Dir reden wolle.“

Erich Larsson schwieg, schwieg zu Ingeborg’s Jammer auch jetzt. Gesenkten Blicks sah er zu Boden, sah sie erst wieder an, als sie leise zu seinen Füßen niederglitt und angsterfüllt fragte: „Ging ich mit Gott, oder – kam ich vergebens?“

Wie anders war das Schicksal dieser beiden Menschen, hätte sie vor drei Jahren nur den tausendsten Theil dessen empfunden, was jetzt so mächtig ihr ganzes Wesen durchströmte! Spurlos, mindestens äußerlich spurlos gingen jetzt die Worte an ihm vorüber, die einst ihn in den Himmel erhoben haben würden.

„Ingeborg!“ sagte er, „fern sei’s von mir, Dich mit solchen harten Worten zu entlassen, wie Du sie einst, in gleicher Lage, für mich hattest; aber dringend, inständig bitte ich Dich, steh auf! Du kamst vergebens! Verlaß ein Haus, Ingeborg, das so verödet, leer und ausgestorben ist, wie das Herz, das Du einst zermalmtest.“

„Kannst Du denn nicht vergessen, Erich?“

„Nein! doch um dieser Stunde willen – werde ich versuchen, Dir zu verzeihen, was Du in jener Stunde thatest.“

„Erich, eine letzte Bitte: laß mich in Jahren wiederkehren, vielleicht hast Du den Groll besiegt, vielleicht lernst Du vergessen im Vergeben.“

„Nie! und kämst Du tausend Mal, es wär’ vergebens!“

Sie schauderte, sah ihn an mit erloschnem Auge, mit schmerzzerrissenen Zügen, fühlte die trostlose Wahrheit dessen, was er gesagt, nur noch tiefer beim Anblick seines strengen, fest entschlossenen Gesichts und verließ langsam das Zimmer. – –

Sehr langsam durchschritt Ingeborg auch den kleinen Hof, den hübschen Garten und immer und wieder hielt sie inne, stand, mit angehaltenem Athem wartend, lauschend da.

Auch diese Hoffnung vergebens! Auch hier bitterste Enttäuschung. Sie vernahm nicht, was sie von Moment zu Moment mit immer lauterem, immer bangerem Herzschlag ersehnte: den Ruf ihres Namens von seiner Stimme!




Sechs Jahre sind vergangen. Der letzte Krieg in Schleswig-Holstein hatte seine ersten schweren Opfer bei Missunde gefordert. Zu den schwer Verwundeten, die wochenlang wenig Hoffnung gegeben hatten, gehörte Erich Larsson. Er hatte gekämpft, wie Einer, der unter dem Donner der Kanonen aufgewachsen, nicht wie ein Neuling, dem dieser Krieg erst die Feuertaufe des Soldaten gegeben hatte.

Vorsichtig war der Verwundete von einigen jungen Kieler Studenten aus dem heftigen Feuer getragen, wohin diese sich während des ganzen Kampfes mit Aufopferung ihres eigenen Lebens gewagt, um jene stillen Heldenthaten der Menschenliebe zu vollbringen, die so schwer wiegen, wie die tapfersten Thaten auf dem Schlachtfelde. Gleich allen andern Verwundeten wurde Erich so schnell wie möglich von dem ersten, nur provisorisch errichteten Verbandplatz im Schulhause zu Kosel fortgeschafft und für seine Pflege alle jene Sorge getragen, die Pflicht und Menschenliebe nur denkbar machten.

Wochen waren vergangen. Er hatte lange im Fieber gelegen, endlich erwachte er nach glücklich überstandener Krisis zum ersten Male wieder zu vollem klarem Bewußtsein. Aufmerksam blickte er die ernste Nonne an, die an seinem Bette saß und zu der Anzahl jener barmherzigen Schwestern gehörte, die aus weiter Ferne zum Kriegsschauplatz geeilt waren und dort in Lazarethen und Privathäusern zur Pflege der verwundeten Krieger verwendet wurden. Der Doctor bemühte sich augenscheinlich, seinen nachdenkenden Patienten vom Anblick der frommen Schwester abzuziehen, sprach von den Kriegsereignissen mit großer Lebendigkeit, verstummte aber völlig, als Erich Larsson ruhig, klar und ernst fragte: „Wo ist die Andere, die mich während der vergangenen Wochen gepflegt hat?“

Eine tiefe Pause trat ein, Arzt und Nonne wechselten inhaltschwere Blicke, Erich Larsson wartete scheinbar sehr geduldig; doch als der Doctor anfing die anwesende Krankenpflegerin als ganz vorzüglich anzupreisen, rief er laut und heftig:

„Wo ist jene Andere, die mich pflegte?“

„Nun, Gott sei Dank, Brust und Lungen wären wieder gesund!“ sprach lachend der Arzt, „und regten Sie sich nicht auf, so könnten Sie bald ganz genesen sein.“

„Wollen Sie mir auf meine Frage antworten?“

„Wenn Sie gesund genug zum Reden sind, ja! jetzt sind Sie krank.“

„Ich will aber jetzt Antwort haben, jetzt! und sage Ihnen, daß, fürchten Sie von Aufregung für mein Leben, mir eben an diesem Leben ohne Nachricht von ihr Nichts liegt.“

„Diese Versicherung ist überflüssig nach Ihrem Benehmen, bester Herr Larsson; denn schreien Sie noch zehn Minuten so fort, so sind Sie vielleicht schon morgen aller Erdensorgen überhoben.“

„Und wenn ich gleich nach Ihrer Antwort sterben sollte, so frage ich doch nur wieder: Wo ist sie?“

„Von wem reden Sie denn eigentlich?“

„Von der, von welcher Sie nicht reden wollen.“

„So – nun – hm – es waren so Manche bei Ihnen.“

„Ich meine nur Jene, die ich zuerst hier sah, die ich immer und wieder erblickte, ob ich am Tage oder in der Nacht erwachte.“

Erich Larsson hatte sich aufgerichtet und sah den Arzt mit solchen Blicken an, daß dieser hastig entgegnete:

„Sie ist hier im Hause.“

„Wird sie wieder kommen?“ fragte er leise und kraftlos in die Kissen zurücksinkend.

„Ja, ja! Doch nun – Ruhe!“

„Ruhe? Ruhe werde ich erst haben, wenn ich sie gesprochen. Sagen Sie ihr das!“

Der Doctor ging; der Kranke wandte seine großen dunkeln Augen mit allen Anzeichen heftigster Spannung nach dem Eingang. Seine Züge nahmen mehr und mehr den Ausdruck banger Erwartung an und die bleichen Wangen begannen sich tief und dunkel zu röthen. Die, auf welche er harrte, trat nicht ein, und nach kaum drei Stunden lag er von Neuem im Delirium.

Während seiner wilden Fieberphantasien beugte sich ein anderes Antlitz über ihn, als das der ernsten Nonne, ein Gesicht mit dem Ausdruck tiefsten Schmerzes und dazu völlig farblos.

Der Arzt, der sinnend am Bette stand, sagte, nachdem der Kranke immer und wieder den Namen „Ingeborg“ gerufen:

„Wollen Sie sein Leben vollends retten, so bleiben Sie bei ihm, wenn das Bewußtsein zurückkehrt.“

Ein Ausdruck höchster Seelenpein glitt über das bleiche Gesicht der Angeredeten und erst nach langer Pause entgegnete sie ernst: „So werde ich denn bleiben.“

Der Arzt verordnete Verschiedenes und setzte hinzu: „Will er sprechen, so lassen Sie ihn reden. Ermahnungen helfen bei dem Nichts und er scheint einen Kopf von Eisen, einen aus Ez gegossenen Sinn zu haben.“

Die schlanke Gestalt am Bett des Kranken erzitterte bei den Worten, die lichten Augen wurden dunkel und über das durchsichtig zarte Antlitz verbreitete sich ein schwacher Schein von Farbe.

„Gott mit Ihnen!“ rief der davoneilende Arzt herzlich.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_131.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)