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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Lächeln sprach: „Sie vergessen eine Hauptbeschuldigung, gnädiges Fräulein, die der Unhöflichkeit! Bot ich Ihnen doch noch nicht einmal einen Stuhl, holte ich nicht einmal Licht, obschon ich dadurch der Freude beraubt werde, Sie, die Jugendgespielin, wiederzusehen. Unsere Begegnung auf dem Meere war zu tragischer Art, als daß sie Zuspruch auf den Namen ‚Wiedersehen‘ machen könnte, und als Zeit war, Sie zu begrüßen, wir festen Boden unter unsern Füßen hatten, mußte ich eilen, hierher zu kommen.“

Er stockte, überwältigt von einer Erinnerung, und sie rief bewegt:

„Du rettetest mich, während Deine Mutter starb, und ich habe Dir noch nicht einmal danken können.“

„Gnädigstes Fräulein,“ sagte er rauh, „ich bemerkte Ihnen schon einmal, Ihr Herr Vater veranlaßte mich zu der That, er dankte mir auch, und ich gehöre nicht zu den Menschen, die übermäßige Ansprüche machen, bin demnach vollkommen befriedigt! – Erlauben Sie mir, jetzt Licht zu holen.“

Erich Larsson verließ das Zimmer. Ein genauer Beobachter der Zeit würde vielleicht gefunden haben, daß er ungewöhnlich lange ausblieb, ehe er mit der Lampe zurückkehrte.

Als er eintrat, sah er Ingeborg auf den Knieen am Boden liegen, das zarte Antlitz weißer denn der Schnee, die Augen auf den letzten bleichen Schimmer des Abendroths gerichtet, das durch das dunkle Grün der Taxusbäume zitterte; in ihren lieblichen Zügen, die einst so freudig geleuchtet, lag ein Schmerz, ein an tiefste Seelenqual grenzendes Weh, daß die Eisrinde geschmolzen sein würde, die sich in den drei Jahren bittern Grames um sein Herz gelegt, wenn Erich sie ein wenig länger betrachtet hätte. Er that das aber nicht, er wandte sich an das entgegengesetzte Fenster, das die Aussicht nach der schäumenden See bot, starrte düster auf die dichten Nebelmassen, die aus dem Meere aufstiegen, und lehnte sich mit verschränkten Armen an die Wand, während in seinen wie aus Granit gemeißelten Zügen sich einzig Ruhe, entsetzliche Ruhe und kalte, strenge Entschiedenheit ausprägten. Er regte sich auch nicht, als Ingeborg sich erhob; bewegte sich nicht, als sie leise, wie ein Geist, durch’s Zimmer glitt; sah sie fest, unverwandt an, ohne daß eine Muskel seines Gesichts zuckte, als sie die gefalteten Hände auf seine Arme legte, mit trüben, verweinten Augen flehend zu ihm emporblickte und flehend sagte:

„Um der alten Zeiten willen, sei anders, sei wieder gut, Erich!“

Wie dehnte sich jede Secunde, die sie, seiner Antwort bang entgegenharrend, dastand, zu Ewigkeiten!

Hätte sie aber auch so bis an’s Ende der Welt vor ihm gestanden – er würde ihr keine Antwort auf diese Bitte gegeben haben, denn gerade die alten Zeiten machten ihn zu Dem, der er heute war. Die lange, furchtbare, qualvolle Pause unterbrach endlich seine ernste Mahnung:

„Gehen Sie nach Hause, Baroneß Fordenskiöld!“

Sie schüttelte verneinend den Kopf, es war, wie wenn sie nicht sprechen könnte, dann rief sie plötzlich:

„Ich kann so nicht fort! Ich muß Dir erst Alles sagen!“

Er näherte sich dem Tische, aber nichts als Ungeduld lag in seinem Blicke, als er kurz und gleichgültig sagte, wie Jemand, der sich in sein Schicksal zu ergeben hat:

„So nehmen Sie mindestens Platz, Baroneß Fordenskiöld.“

Ob sie ihn nicht hörte? fast schien’s so. Den Kopf gesenkt, die schlaff herabhängenden Hände ineinander faltend, schritt sie im Zimmer auf und nieder und bemerkte nicht, wie er ihr aus dem Wege trat, den vorgeschobenen Stuhl bei Seite stellte und sich selbst aus dem Bereich ihres Ganges brachte, indem er in der entferntesten Ecke des Gemachs, sich an den Kachelofen lehnend, seine alte Stellung wieder einnahm, die Arme über der Brust verschränkt. Sein Blick mied sie, der ihre suchte ihn, und zu ihm tretend, sagte sie, wie in Gedanken verloren:

„Das Leben ist so lang, wenn man unglücklich ist! Die Tage dehnen sich zu Jahren und die Nächte – o, die sind entsetzlich!“

„Seit wann machten Sie diese trüben Erfahrungen, gnädigstes Fräulein?“

Sie sah ihn ernst an und antwortete ruhig: „Seit jenem Abend, Erich, wo Du mich im Groll an der Mooshütte verließest und auf meinen Flehensruf nicht zurückkehrtest!“

Alle Ruhe wich ihm aus Blick und Zügen, hastig wandte er sich ab und durchmaß rastlos das Zimmer. Sie lehnte sich bleich und erschöpft an die Wand. Aber wiederum hatte er die flüchtige Aufregung schnell beherrscht, seine Stimme war nur weniger hart, als er ernst sprach:

„Was Sie auch thun und sagen – es ist vergebens! Hier, hier, Ingeborg, wo einst ein Herz für Sie schlug, ist’s todt! Darum genug und – leben Sie wohl.“

„Dein Herz todt!“ rief sie mit aufleuchtendem Blick, „o nein, Erich! Meinst Du, ich hätte Deine Augen vergessen, als Du mir neulich die Hand entgegenstrecktest, um Dein rettend Boot zu betreten; als uns im selben Moment die Wogen wieder auseinander rissen, wo kaum unsere Schiffe sich genähert und der Sturm von Neuem mit unserem Leben spielte? Meinst Du, Erich, ich hätte jenen Blick vergessen, als, endlich vereint, Du mich umfaßtest und schützend hieltest im Toben der Wogen? O nein, Erich, vergessen hab’ ich das nicht und nie wird es aus meiner Erinnerung schwinden! Du nimmst mir auch nicht den Strahl dieses Lichts, den nach drei endlos langen Jahren voll Nacht und Finsterniß ein Gott mir sandte in seinem Erbarmen, den Strahl dieses Lichts, der mir auch als Stern leuchtet im bangen Dunkel dieser Stunde.“

Auch bei diesen Worten des Mädchens blitzte es in ihm auf; es war ein anderer Blick, als vorhin, aber rasch verglomm der Schein.

„Sie täuschen sich, Baroneß Fordenskiöld,“ entgegnete er kühl, „wenn Sie in meinem Blick Etwas lasen, wovon das Herz nichts weiß. Bewundert, ja, bewundert hab’ ich Sie, von der Minute ab, wo wir, Ihrem Boote nah, Sie so muthig mit Wog’ und Welle am Steuer ringen sahen, während der Mann neben Ihnen, dem Ihre Stelle gebührt hätte, in Todesangst und Verzweiflung den Mast umklammert hielt, den der Sturm schon gebrochen hatte. Doch, ich will dessen nicht spotten, den Sie lieben, da ja möglich, daß die Rücksicht auf die beglückende Erkenntniß, wie theuer Ihnen sein Leben ist, ihn zu all den angewendeten Vorsichtsmaßregeln getrieben hat und –“

„Still, Erich!“ rief Ingeborg leise und wie von heftigem Frost geschüttelt, „was an ihm ist, das habe ich nicht erst neulich im Kampfe mit den Elementen gesehen, das weiß ich schon lange; jetzt aber, Erich, wollen wir ihn einzig Dem überlassen, vor dessen Richterstuhl er nun steht und der die Fehler der schwach gebornen Menschheit milder beurtheilt, als wir.“

„Wie hab’ ich das zu verstehen? Was geschah?“

„Oscar Fordenskiöld ist gestern Abend, am achten Tage nach unserer unsel’gen Meeresfahrt, am Nervenfieber gestorben.“

„Jene wahnsinnige Angst trieb ihn in den Tod!“ rief Erich rasch; „doch, um Gott – wo ist Nanna?“

„Sie war bei ihm bis zum Tode! Sie hoffte von Stunde zu Stunde auf einen Moment erwachenden Bewußtseins, um seine Verzeihung anzuflehen, vergebens! er starb besinnungslos, wie er die ganze Zeit gewesen.“

„Wo ist sie jetzt?“

„Noch immer bei uns.“

„Was macht sie?“

„Sie sitzt still da und sagt nur: ,In acht Tagen!‘“

„So ist sie irrsinnig?“

„Der Doctor fürchtet es.“

„Entsetzlich!“ rief er schaudernd.

„Erich, trage ich Schuld daran?“ rief sie bebend.

„Welcher Gedanke, welch’ unseliger Gedanke!“

„So meinst Du nein, und Gott sei Dank dafür!“

„Tausendmal nein, Ingeborg!“ rief Erich lebhaft und voll warmen Eifers. „Du warst ja schuldlos, denn Niemand von uns hatte eine Ahnung von dem Verhältnisse der Beiden.“

„Doch als – ich’s wußte, Erich?“ fragte sie bange.

„Da hatte sie ihn bereits aufgegeben, Ingeborg! Das weiß ich genau.“

„Sie schlug mindestens meinem Vater gegenüber seine Hand aus.“

„Ich weiß, ich weiß; doch darum eben ist’s mir so unfaßlich, daß sie nach alledem, was geschehen, ihn noch lieben konnte und so in Verzweiflung gerathen, als sie ihn in Gefahr auf dem Meere wußte.“

„Ja, siehst Du, Erich! Die starren Friesinnen sind auch nicht anders, als jedes andere Weib. Wo Eine einmal erst tief und innig liebt, ist’s mit dem Hasse nicht weit her.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_130.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)