Seite:Die Gartenlaube (1865) 129.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

No. 9. 1865.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.

Friesenliebe.
(Schluß.)


Was ist der Leere, der Oede vergleichbar, die ein Raum auf uns macht, aus dem auf ewig die Gestalt geschieden, welche ihn einst belebte, wo Jedes und Alles nicht allein in Zusammenhang mit ihr stand, sondern einzig Halt und Werth durch sie erhielt? Diese traurige Leere, diese gräßliche Oede lag mit Centnerschwere auf Erich Larsson’s Herzen und in dem ausgestorbenen Hause seiner Mutter war ihm zu Muthe, wie wenn die Welt selbst ausgestorben sei. –

Es war der letzte Tag, den Erich auf Sylt zubringen sollte; gesenkten Hauptes trat er in das Gemach, das der Dämmerschein des Abends umhüllte. Wie schrak er aber zusammen, als aus diesem ungewissen Licht sich plötzlich eine Frauengestalt hervorhob und leise seinen Namen rief.

„Wer ist da?“ rief er wild.

„Ich! Ingeborg Fordenskiöld!“

Wie gebannt blieb er stehen, und trotz des Dunkels sah sie das Funkeln seiner Augen, noch mehr aber fühlte sie die Schärfe dieses Blickes. Nach kurzer Pause fragte er mit schneidender Kälte: „Was verschafft mir die Ehre Ihres Besuches, Baroneß Fordenskiöld?“

„Um Gott – Erich, nicht so, nicht so!“

„Nicht so?“ wiederholte er scharf, „ah, ich verstehe, gestern war der Hochzeitstag des gnädigen Fräuleins, und ich habe demnach die Ehre, die Frau Baronin nach ihren Befehlen zu fragen.“

„Um des Himmels Barmherzigkeit, Erich, sei anders!“ rief sie schmerzlich, und sich an die Lehne des Stuhles klammernd, setzte sie hinzu: „hättest Du mir einmal aufgemacht in den langen acht Tagen, wo ich so oft an Deine Thüre klopfte, oder hättest Du die Briefe angenommen, die ich und mein Vater Dir sandten, dann, Erich, dann würdest Du wissen, daß man in unserm Hause nicht an Hochzeit dachte!“

„Nicht? Dann haben der Herr Bräutigam sich wohl erkältet? Ich spreche mein innigstes Mitleid aus, gnädigstes Fräulein, den frohen Tag hinausgeschoben zu sehen.“

Sie rang einen Moment die Hände, erfaßte dann seinen Arm und fragte leidenschaftlich, während sie ihm fest in die Augen sah: „Wolltest Du so gegen mich sein, Erich, o, warum ließest Du mich dann nicht sterben?“

„Ihr Herr Vater, Baroneß Fordenskiöld, bat mich, Sie zu retten; ich würde mir sonst schwerlich erlaubt haben, in Ihr Schicksal einzugreifen, nachdem ich einmal so unglücklich gewesen, es in ungeschicktester Weise zu thun.“

„Da Du mir nun aber das Leben gerettet –“

„Verzeihung, gnädigstes Fräulein, daß ich sie unterbreche: mein Großvater ist wohl vielmehr der Glückliche, dem’s gelang, Ihr Boot zu erreichen.“

„Nun gut, Erich, hat Dein Großvater mir das Leben geschenkt, so gieb Du mir – nicht den Tod!“

Er machte einen Gang durch das Zimmer, blieb in ihrer Nähe stehen und sagte kühl:

„Sie kamen wohl nicht, um Derartiges mir zu sagen. Darf ich daher noch einmal fragen: was verschafft mir die Ehre Ihres Besuches?“

„Allmächtiger Gott!“ stieß sie mühsam heraus, „so, so bist Du geworden?!“

„Ich habe drei Jahre in der Residenz gelebt, Baroneß Fordenskiöld, und die Zeit benutzt, mir einige Formen anzueignen, um nicht abermals Fiasco zu machen, wenn mich mein Glücksstern noch einmal wieder in Berührung mit Damen der vornehmen Welt bringen sollte. Es würde mich freuen, wenn Sie mir das Zeugniß geben wollten, daß ich mindestens Etwas gelernt und nun weiß, was man einer Tochter aus so edlem Hause schuldig ist, wie das der Fordenskiöld’s sich rühmen kann zu sein.“

„Erich!“ sagte Ingeborg langsam, „hast Du gelernt, das Wort zum Pfeile zu spitzen und diesen in Gift zu tauchen – dann ist Dein Studium von glänzendem Erfolg begleitet worden. Hab’ ich, Dir einst mit einem Wort das Herz zerrissen – Du hast mir's reichlich heimgezahlt. Laß es genug sein, Erich!“

Er schwieg eine Secunde, dann lachte er bitter auf. „War das ein Wort,“ fragte er spottend, „als Sie Schmach und Schande über mich riefen? War’s nicht das Gift der Gifte, als Sie mein Herz falsch, mein Gewissen belastet, meine Ehre befleckt nannten und mir die furchtbarste aller Beleidigungen zuschleuderten, indem Sie sagten, der Ruhm unseres Volkes bestände in falschen, glatten Worten?“

„Alles das habe ich gethan, Erich, ja! Aber Erich, willst Du gerecht sein, so hab’ ich wiederum nichts von dem Allen gethan, denn ich wußte nicht, was ich sprach, ich war aufgeregt und heftig. Du, Erich, Du bist aber jetzt kalt, ruhig, leidenschaftslos und häufst Hohn auf Hohn.“

Sie wandte sich traurig ab, sah nicht das tiefe, dunkle Roth sein bleiches Gesicht überströmen, sah nicht die Leidenschaft, die in dem Antlitz dessen aufflammte, den sie kalt, leidenschaftslos nannte. Er preßte die Hand über Stirn und Augen, die kurze, aber gewaltige Aufregung war vorüber. Ruhig kühl war sein Ton, verbindlich wie das eines Weltmannes sein Wesen, als er mit unbefangenem

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 129. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_129.jpg&oldid=- (Version vom 10.7.2022)