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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

verschlechterte die Kost sich dergestalt, daß bald offenbare Hungersnoth eintrat. Das gelieferte Brod war nicht mehr zu genießen, voller Hülsen und Kolben, die Rinde hart wie Eisen; die Erbsen, die von Zeit zu Zeit an die Reihe kamen, saßen voller Würmer und Larven, die in dicken Schaaren auf der Suppe schwammen, welche man daraus zu kochen versuchte. Wer nicht Freunde und Angehörige im Norden hatte, die ihn dann und wann mit Lebensmitteln versorgten, fiel bald Tag und Nacht den furchtbaren Qualen anheim, von denen der Hunger begleitet ist, um unter peinigenden Phantasien und Delirien langsam dahin zu siechen. „Das Feuer, das mir in Magen und Eingeweiden brannte, war entsetzlich,“ erzählte ein Hauptmann, als man ihn zum Zeugniß aufrief. „Von Stunde zu Stunde schwanden meine Kräfte mehr und mehr und ich wurde so schwach in meinen Gedanken, daß ich mich mit den bittersten Selbstanklagen marterte, nicht mehr gegessen zu haben, als ich frei und daheim war. Essen, essen, essen – an Anderes dachte ich nicht mehr. Einer meiner Mitgefangenen hatte von Freunden in der Heimath ein Stückchen Schinken empfangen. Stundenlang starrte ich mit fieberheißen Wangen und gierigen Augen auf diesen Schatz und sann und sann, wie ich ihn meinem Cameraden entwenden konnte.“ „Ich träumte von Nichts als von Essen und Trinken,“ deponirte ein Anderer. „Gedeckte Tische mit allen Leckerbissen besetzt, die ich mir erdenken konnte, gaukelten beständig vor meiner wirren Phantasie – alle Tafelfreuden, die ich je genossen, zogen an meiner Erinnerung vorüber und steigerten die Pein, die ich litt.“

Die Noth war furchtbar; Hunderte delirirten im Hungerwahnsinn, Hunderte wanden sich unter dieser grausamsten aller Torturen; Alle hatten jenen traurigen Herzergreifenden Blick im Auge, der sich nicht beschreiben läßt, aber nicht wieder vergißt. Und zur selben Zeit lagen die Keller unter dem Gefängniß – voll von Lebensmitteln, voller Kartoffeln, voll des schönsten Mehls, voller Gemüse, wie man eines Tags beim Aufheben einer Diele entdeckte!!

Das Alles war indessen noch nicht genug der Barbarei, das Raffinement der Grausamkeit ging noch weiter. Bisher waren die Gaben, die mit Eßwaaren und Genußmitteln gefüllten Kisten und Fässer, die für die Gefangenen aus der Heimath einliefen, regelmäßig an die Empfänger vertheilt worden, mit einem Male fand man ohne allen Grund für gut, diese Vertheilung zu sistiren. So stapelten sich jene Kisten und Fässer zu mehreren Tausenden in einer angrenzenden Niederlage auf und ihr Inhalt verdarb und verfaulte. Man kann sich die Tantalusqualen der Hungernden vorstellen, die Tag für Tag diese Gegenstände ihres heißesten Verlangens vor Augen hatten und nicht erreichen konnten! Und wenn es dann dem Inspector beliebte, etwa fünf oder sechs von den Tausenden von Kisten auszuliefern – was höchstens einmal in der Woche geschah – so verfuhr er dabei in einer Weise, welche nur zu einer neuen Grausamkeit wurde. Womit die trauernde Gattin, die bange Mutter den fernen Gefangenen zu erfreuen gedacht, was sie sorglichst gesondert und bestens verpackt und verwahrt hatte – in buntem Gemisch wurde es auf die Decke geschüttet, welche der Empfänger aufhalten mußte, Fleisch, eingemachte Früchte, Tabak, Gemüse, condensirte Milch, gepökeltes Fleisch, Alles durcheinander, so daß das Ganze eine ekelhafte Mischung bildete und kaum dem Ausgehungerten noch genießbar blieb.

Die kleinsten Vergehen, die leiseste Ueberschreitung der unmenschlichen Disciplinarvorschriften wurden mit Einsperrung in unterirdische Zellen geahndet, an deren Wänden das Wasser herabrieselte und dicker Schimmel wuchs. Manchmal war die darin campirende Menschenmenge so groß, daß die Meisten Tag und Nacht stehend zubringen mußten. In diesen schauerlichen Verließen hielt man auch die Geiseln fest! Daß mit dem Leben die Barbarei noch nicht endete, daß auch die Todten noch von ihr betroffen wurden, die sich nackt und bloß in offenen Kellern und Ställen anhäuften, wo Ratten und Mäuse, selbst Schweine ungestört an ihnen nagten und fraßen, sei nur angedeutet; die Feder sträubt sich, bei solchen Scenen zu verweilen.




Im Angesickt des Libby erhebt sich eine kleine Insel, Belle-Isle geheißen, aus dem St. Jamesflusse. Hier auf niedrigem, kahlem Sandplatze, der, ohne Baum und Strauch, den sengenden Strahlen der südlicken Sonne ausgesetzt ist, hatte man die gefangen genommenen gemeinen Soldaten zusammengetrieben, oftmals bis zu zwölf Tausend. Der Platz glich einigermaßen einem Feldlager, indem eine Anzahl von Zelten in regelmäßigen Reihen ihn bedeckten. Diese Zelte, morsch und zerfetzt, durch welche Regen und Frost ungehinderten Eingang fanden, waren das einzige Obdach, welches man den Gefangenen bot, allein es reichte nur für einen kleinen Theil von ihnen hin; den Uebrigen blieb zum Quartier nichts als die nackte Erde unter dem freien Himmel. Da lagen nun Tausende, ohne den geringsten Schutz gegen die Witterung, oft mitten im Wasser, oft auf eisigem Boden aneinandergepackt wie die Häringe, so daß Niemand sich rühren und regen konnte. Und die ganze Gegend ist voller Wald; das Holz zur Aufführung von Hütten und Baracken war in nächster Nachbarschaft zur Hand, dennoch ist seit dem Beginn des Krieges bis heute nicht der geringste Versuch gemacht worden, die Gefangenen derart nur auf’s Nothdürftigste unter Dach und Fach zu bringen.

Was müssen sie gelitten haben, wenn die Sommersonne den Sand zu ihren Füßen erhitzte und auf ihre Scheitel brannte! was, wenn die Herbstregen mit ihren gewaltigen Güssen kamen! was, wenn eisiger Wind ihre halbnackten frostzitternden Leiber peitschte! Ohne Decken, ohne Mäntel, meist ohne Hut, oft ohne Schuhe und Strümpfe – denn Alles, was sie davon besessen, war ihnen genommen worden, als sie in Gefangenschaft geriethen – in zerrissenen Hemden und Röcken kauerte sich Einer dicht an den Andern, um sich zu wärmen oder sonst die Unbilden des Wetters minder peinlich zu empfinden. Das Elend überstieg alle Begriffe. Dazu kam die ungewöhnliche Strenge des letzten Winters. Fußtief lag rund um Richmond der Schnee, der St. James starrte in dicken Eisbanden – und die Armen nach wie vor unter freiem Himmel!

Vergeblich suchten sie sich mit allen Kräften und Mitteln gegen den andringenden Tod zu wehren, legten sich Nachts Einer auf dem Andern in den Graben, der hinter einem Walle rund um den Platz lief, da wo er am meisten Schutz gewährte, drückten sich zusammen wie Schweine im Winter; trotz alledem aber fand jeder neue Morgen eine Reihe lebloser Gestalten hingestreckt, die in ihren letzten Schlaf hinübergeschlummert, die erfroren waren. In Angst und Verzweiflung rannten Schaaren der Unglücklichen die ganze Nacht auf und nieder, um sich den Feind vom Leibe zu halten, denn das gleiche Schicksal drohte Allen, umsomehr, als sie sammt und sonders Hunger litten. Die Kälte erstarrte sie, weil sie hungerten, der Hunger verzehrte sie, weil sie froren. Zu gleicher Zeit nagten so diese beiden grausamen Geier an ihren Eingeweiden; man wußte das nur zu gut im Congreß der Conföderirten, und dennoch erbarmte sich Niemand des Jammers. Die einzige Stimme, die sich einmal gegen solche Barbarei zu erheben wagte, „eine Barbarei, die den amerikanischen Namen auf ewig schände“, verhallte ungehört.

Schweine werden besser, rücksichtsvoller gefüttert, als die Gefangenen auf Belle Isle. Ein Stück unausgebackenen Brodes, muffig, voller Risse, als sei es nur an der Sonne geröstet, in dem noch ganze Körner und Hülsen saßen; ein Mundvoll übelriechenden, unappetitlichen Fleisches; ein paar Löffel verdorbener Bohnen; widerliche, dünne, ranzige Suppe, auf der in der Regel Schaaren schwarzer Insecten sich tummelten, – das variirte den Küchenzettel. Denn immer gab es nur einen dieser Leckerbissen auf einmal und immer kaum die Hälfte des zur Ernährung eines gesunden Menschen nöthigen Nahrungsquantums. Trotzdem geriethen die Leute in den Zustand wilder Aufregung, wenn die elenden Rationen ausgetheilt wurden, und fielen mit einer Gier darüber her, die sich nur dem Toben wilder Bestien vergleichen läßt, wenn in der Menagerie die Fütterungszeit gekommen ist.

Wer könnte die kunstlosen, ungeschminkten Aussagen der Gequälten lesen, ohne davon im Innersten seines Herzens ergriffen zu werden, ohne die Faust zu ballen in stillem Ingrimm über die Teufel in Menschengestalt, die geflissentlich – wie wir bald sehen werden, geschah dies Alles in wohlberechneter Absicht – solchen Ueberschwang von Noth und Elend verschuldet?

„Es giebt keinen Ausdruck für unsern Hunger!“ sagte der Eine. „Einmal wachte ich Nachts auf und fand, daß ich am Aermel meines Rockes kaute. Und wenn ich hier vor Ihnen, meine Herren Commissare, eine ganze Woche sitzen wollte, – ich könnte Ihnen noch lange nicht auch nur die Hälfte unserer Leiden erzählen.“

(Schluß folgt.)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_122.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)