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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Form, der nationale Impuls, der politische Sarkasmus und die schlagende Pointe zur Verfügung. Wäre Deutschland uniformer und, wie Frankreich in Paris, in irgend einer Hauptstadt centralisirt, Glaßbrenner’s Wirkung würde der des französischen Dichters nichts nachgeben. Er würde ebenso der allgemeine Liebling der Nation, ihr Ruhm und ihr Abgott sein. Hat er doch in seiner Begabung wie in seinem ganzen Wesen alles Zeug dazu. Laßt in Wien, in München, Stuttgart, Köln, Leipzig und Hamburg dieselben Zeitströmungen stattfinden, wie in Berlin, dieselben Ansichten und Meinungen herrschen, dieselben Sympathien und Antipathien, und augenblicklich wird unser Dichter der unbestrittene Günstling der großen Masse sein.

Seine Individualität ist ganz danach angelegt und dafür gestaltet worden. Geburt, Erziehung, Bildung – Alles hat Adolf Glaßbrenner zum Manne des Volks gemacht.

Seine Eltern waren kleine Bürgersleute, Inhaber einer Schmuckfederfabrik, die sich in der Leipziger Strafte im sogenannten „Fliegenden Roß“, dem jetzigen Hotel de Prusse, befand. Hier verlebte unser Schriftsteller seine ersten Lebensjahre unter einer zahlreichen Geschwisterschaar. Man rühmt ihn als einen muntern, aufgeweckten Knaben, der sich mit Franzosen wie Russen, die damals abwechselnd Berlin besetzten, wohl zu vertragen wußte. Unberührt von den großen Ereignissen der Geschichte, deren verhängnißvolle Bedeutung das Kind natürlich noch nicht zu fassen vermochte, fesselte und beschäftigte ihn nur das fremde und Außergewöhnliche, das sich in rascher Folge seinen Blicken zeigte und wohl nicht wenig dazu beitrug, seine Entwickelung zu fördern. Lustig und voll Uebermuth, den Schelm im Nacken, konnte er doch zugleich auch ernst und fromm der Gewohnheit des Hauses folgen. In der Schule, in der er neben Karl Gutzkow saß, machte er Epigramme auf seine Lehrer sowohl, wie auf seine Mitschüler; daneben vermochte der kleine blonde Pausback aber auch daheim ganz gravitätisch auf einen Stuhl zu steigen und „Predigten zu halten“.

Theologie studiren zu dürfen, war denn auch später der sehnlichste Wunsch seines Herzens. Wäre ihm derselbe in Erfüllung gegangen, so säße unser Poet vielleicht als behäbiger Pastor in irgend einer Pfarre, um die Muse im Lande der Mark waten zu lassen. Die Bilder aus dem Berliner Volksleben aber hätte er dann wohl nicht geschrieben, denn um diese zu verfassen, war doch wohl nöthig, daß seine Familie, durch beengende Verhältnisse gedrängt, ihn für den Kaufmannsstand bestimmte. Hinter dem Ladentische irgend eines Band- oder Zeuggeschäfts hat Adolf Glaßbrenner seine eigentlichen Jünglingsjahre verschmachten müssen. In den karg gemessenen Mußestunden schuf er seine ersten poetischen Versuche, von denen schon 1827 einige in Berliner Blättern erschienen. Zwanzig Jahr alt, fühlte er sich literarisch bereits so weit flügge geworden, daß er Gott Mercur Valet zu sagen und wohlgemuth in den Dienst der Belletristik zu treten unternehmen durfte. Seine launigen Verse, seine Einfälle und seine ganze muntere Schreibart gefiel dem Publicum und verschaffte ihm Anhang. Zweiundzwanzig Jahr alt, redigirte er das Sonntagsblatt „Don Quixote“, das er mit den später vom „Kladderadatsch“ adoptirten Worten ankündigte: „Dieses Blatt erscheint täglich mit Ausnahme der Wochentage“.

Es ist deswegen wichtig, weil es gewissermaßen den Berliner Witz zuerst zu Worte kommen ließ und in die Literatur einführte. Der Berliner Witz war bis dahin nur ein Gassenjunge gewesen, ein Element, das auf allen Brunnenschwengeln, Treppengeländern und Fenstersimsen saß, mit den Beinen schlenkerte und „schnodderige“ Redensarten machte, aber von Niemand recht beachtet wurde, ausgenommen von denen, welchen er seine Schabernacke spielte. Adolf Glaßbrenner erlöste ihn aus dieser etwas unbequemen Situation, um ihn in eine epochemachende Stellung zu bringen. Er wusch dem Burschen die Hände, kämmte ihm das Haar und ließ ihm die Hosen flicken. Soweit zugestutzt, nahm er ihn vor, um ihm begreiflich zu machen, was er eigentlich sei. Berliner Witz, du bist kein bloßer dummer Junge, sagte er ihm; du bist das Genie Berlins, der souveraine Geist der Bevölkerung. Wenn du deiner selbst bewußt wirst, so kannst tu es zu etwas bringen und so zu sagen ein Mann bei der Spritze werden. Du mußt dich nur gewöhnen, deine Blicke höher und über die sogenannten Kellerhälse der Häuser hinauszurichten. Du mußt dich um Gott und die ganze Welt, zuletzt auch ein wenig um Politik und Geschichte kümmern.

Der Berliner Witz ist nicht auf den Kopf gefallen und „roch,“ wie die Berliner Redensart sagt, „Lunte,“ wenn er auch schon keineswegs gleich soweit war, die ganze Tragweite der Glaßbrenner’schen guten Lehren inne zu werden. Er fing von da an, sich in Alles zu mischen, was in Berlin sich ereignete. Er setzte sich mit den Stammgästen der Kneipe zu der „kühlen Blonden“, schlich sich in’s Theater ein, kroch dem Prediger in den Aermel seines Talars, dem Staatsrath in’s Portefeuille, dem Humoristen in die Feder, dem jungen Mädchen in’s Wangengrübchen, ja, es gab eine Zeit, in der er sogar courfähig war und verstohlen unter den Stufen des Thrones hockte. In jener Epoche war Kaiser Nikolaus von Rußland ganz vernarrt in ihn und kam nie nach Berlin, ohne ihm Audienz zu geben. Wenn der Zaar zu St. Petersburg guter Laune war, pflegte er stundenlang von den Unterhaltungen zu plaudern, die er mit dem Berliner Witze gehabt.

Der Berliner Witz wurde selbstverständlich durch diese Erfolge noch weit übermüthiger, als er von Haus aus war. Hatte er doch sogar seinen Censor, den alten närrischen Dichter Langbein gewonnen, der ihn klätschelte und streichelte, oft dabei die verhängnißvolle Scheere vergessend, die drohend in seinen Händen blinkte.

Da der Schelm das wohl merkte und die Gunst seines Inquisitors sich in Glaßbrenner’s „Don Quixote“ so weitgreifend zu Nutze machte, daß dieser drei Mal wöchentlich zu erscheinen anfing, so ward sein Gebahren endlich der Regierung lästig und sie genöthigt, die Zeitschrift durch den damaligen Minister des Innern, von Brenn, verbieten zu lassen; das erste Verbot dieser Art, das Preußen erlebte, und um so eigenthümlicher, als man damals sich eben noch in der Zeit der Censur befand. Aber die Censur war ohnmächtig dem Berliner Witze gegenüber, das fühlte man nur zu wohl. Man sah ein, daß man dem politischen Ernste und der ganzen öffentlichen Meinung bis zu einem gewissen Grade den Daumen auf’s Auge drücken konnte, aber nicht jenem lächelnden Schalke, dessen Bosheiten aus jedem Satze kicherten, hinter jedem Gedankenstrich kauerten. Vor dem konnte man sich nicht anders sicher stellen, als daß man ihn unterdrückte. So unterdrückte man ihn denn – als Journal, aber er kam wieder in Heften.

1832 fing Adolf Glaßbrenner an unter dem Namen Brennglas jene Reihe kleiner Schriftchen erscheinen zu lassen, die unter dem Titel: „Berlin, wie es ist und – trinkt“ von so ungeheuerer Bedeutung wurden, daß in Deutschland beinahe keine größere Stadt ohne deren Nachahmung blieb. Man zählte gegen zweihundert derselben. Der Hauptwerth dieser Werkchen bestand darin, daß in ihnen gewissermaßen das Volk als solches eine Stimme bekam. Sie stellten im modernen Schauspiel der Zeit gewissermaßen die antike Institution des Chores her. Die Reden der Könige und staatlichen Hauptpersonen erhielten nicht nur ein Echo, sondern auch Erwiderungen. Es entstanden Strophen und Gegenstrophen. Die Nation ließ sich vernehmen, zunächst nur mit Einfällen, Späßen und Witzen, aber auch in diesen schon zeigte sich eine gewisse Macht, eine Art von Souverainetät, die im Jargon sich kund that. Der Berliner Jargon war eine Zeit lang die Modesprache in Deutschland, das herrschende Idiom, das sich in die Presse, in die Kunst, in die exclusivsten Kreise, ja, bis in den Umgangston der Monarchen erbob. Noch Friedrich Wilhelm der Vierte nahm es an, wenn er seinem Geist ein Fest bereiten wollte. Freilich hat dieser Monarch damals nicht geahnt, daß der Berliner Witz sich empören und Revolution machen könne. Er hatte den Berliner Witz für harmlos gehalten und demselben nichts Böses zugetraut, obschon ihn Oesterreich da längst eines Besseren hätte belehren dürfen. Oesterreich ließ durch den Bundestag für ganz Deutschland die „Bilder und Träume aus Wien“ verbieten, die Adolf Glaßbrenner als die Frucht eines siebenmonatlichen Aufenthaltes in der deutschen Kaiserstadt im Jahre 1835 bei Otto Wigand in Leipzig herausgab.

Sicher ist, daß der Berliner Witz das Seine zu dem gewaltigen Umschwunge unsers Jahrhunderts mitgeholfen, auch dann noch, als Adolf Glaßbrenner sich gewissermaßen davon losgesagt. Dieser hatte am 15. September 1840 die schöne, feingebildete und geistvolle Schauspielerin Adele Peroni geheirathet und war mit dieser in deren Engagement nach Neu-Strelitz

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