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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

gefrorene Verzweiflung nannte. Der Freund hielt es in ihrer Nähe nicht länger aus. Am Tage nach Sigfrid’s Bestattung ließ er sich bei Brunhild melden und sagte ihr: „Gnädige Frau, ich bin kraft des Testaments meines hingegangenen Freundes zum Vollstrecker desselben ernannt.“

Sie saß still und stumm und wandte nicht das Haupt.

„Madame,“ fuhr er fort, „ich bedauere, Sie mit dieser Sache behelligen zu müssen; aber ich kann und will meine Abreise nicht länger verschieben und wünsche daher, wenigstens das Wichtigste dessen, was mir aufgetragen ist, möglichst rasch zu erledigen. Das Geschäft ist auch einfach genug. Der arme Sigfrid hat nämlich, mit Ausnahme verschiedener, allerdings nicht unbedeutender Legate, welche er seiner Dienerschaft aussetzte oder gemeinnützigen Anstalten zuwandte, sein ganzes Vermögen, liegende und fahrende Habe, Schloß, Gut und Geld Ihnen vermacht.“

„Das Schloß?“ entgegnete sie mechanisch, als hätte sie nur dies eine Wort aufgefaßt. „Es mag in Trümmer fallen; sein Herr ist todt.“

„Sie werden darüber zu verfügen haben, wie es Ihnen beliebt. Was das übrige Vermögen …“

„Gebt es den Armen. Gebt es, wem ihr wollt … Aber sagen Sie mir, verehrter Freund, sind der Architekt und der Bildhauer noch immer nicht aus der Stadt angelangt?“

„Doch, eben vorhin; allein ich bitte …“

Brunhild stand rasch auf und schritt an Schwarzdorn vorüber aus dem Zimmer.

Das war nun ihre Sorge, ihre Arbeit, das Einzige, wofür sie noch Sinn hatte, des Todten Grab zu schmücken. Als Hauptschmuck wurde zu Füßen desselben ein gewaltiger, unbehauener Granitblock aufgerichtet mit der Inschrift:

Sigfrid von Lindenberg.
Gefallen im Zweikampf für seines Landes Ehre.
August 1864.




8. Der Mond geht unter.

Die Herbstnacht ist still, klar und mild. Groß leuchten die Sterne über dem mitternächtigen Schweigen und der Vollmond gießt sein silbern Licht auf den kleinen Hochsee und die Burgruine mit dem halbzerfallenen Wartthurm.

Auf der Bank am Fuße desselben sitzt eine weibliche Gestalt, in dunkle Gewänder gehüllt. Die zurückgeschlagene Kapuze des Mantels läßt das gespensterhafte Weiß ihres Antlitzes sehen und den blassen Goldschimmer ihres üppigen Blondhaars. Die dunkeln Augen ruhen unbewegt auf der spiegelglatten Wasserfläche, regungslos liegen die ineinander geschlungenen Hände auf den Knieen und festgeschlossen, wie zu ewigem Schweigen, ist der Mund.

Eine Stunde vergeht. Dann erhebt sich die Gestalt und ohne Hast schreitet sie den Fußpfad hinunter zum See. Sie umgeht denselben zur Hälfte und verschwindet für eine kurze Weile in einem Weidengebüsche am östlichen Ufer. Wieder hervorgetreten, steht sie im vollen Schein des Mondes, welcher, zum Niedergang sich schickend, schon den Gipfeln der Hochgebirge im Westen nahe gekommen ist.

Ihr Obergewand ist hinaufgeschlagen und der weite Saum über den Hüften festgebunden. In schweren, straffen Falten hängt es über dem weißen Untergewand bis zu den Knieen herab, als bärge es eine gewichtige Last.

So muß es auch wohl sein, denn sie legt die wenigen Schritte, welche sie noch am Ufer hin thut, augenscheinlich nur mühsam zurück. Sie steht einen Augenblick still. Dann schreitet sie, mit fest an die Lenden gedrückten Händen, langsam in das Wasser hinein. Immer weiter hinein. Kein Zug ihres Gesichtes ändert sich auf diesem Todesgang. Die festgeschlossenen Lippen beben nicht, kein Zucken in den düster flammenden Augen, überall nur die Ruhe und Sicherheit einer eisernen Entschlossenheit. Immer weiter hinein. Schon umspielt die kalte Fluth die Brust, worin ein stolzes Herz so unbändig geschlagen, bis es unter dem Hammerschlag des Schicksals gebrochen wie spröder Diamant. Immer weiter hinein. Nur noch das schöne Haupt ist sichtbar auf der Wasserfläche, als läge es auf einem ungeheuren Silberteller.

Ein Schritt noch, ein letztes, blitzschnell schwindendes Aufschimmern des Goldhaars, dann ein leises Zusammenrauschen des Wassers über der Stelle, wo es zuletzt geschimmert.

Wellenringe zittern an das Ufer, ein Windhauch geht durch die Weiden und Föhren und hinter den Bergen versinkt der Mond.




Blätter und Blüthen.


Für junge Frauen von jungen Frauen. I. In dem Bräutigam sieht zumeist jedes junge Mädchen das Ideal verkörpert, wovon es geträumt, seit es zu träumen versteht. Sei mir dieser gewagte Ausdruck verziehen, es giebt jedoch im Leben jeden Mädchens eine Zeit, wo dieses süße Treiben sich entwickelt und die Seele erfüllt; ein Gemisch von Unschuld, Neugierde, hinter den Vorhang zu schauen, der so rosig die Zukunft verhüllt, und einer Ahnung des eigntlichen weiblichen Berufes, das ist die Zeit des mädchenhaften Träumens, und gewiß sieht jede Frau noch mit Wonne zurück in dieses Heiligthum ihres eigenen unschuldigen Mädchenherzens und ist im Andenken daran nachsichtig gegen die heranwachsende Tochter, wenn dieser einmal die Arbeit in den Schooß sinkt und – sie träumt.

Die Verlobung, der Brautstand giebt diesen Traumgestalten eine Wirklichkeit; die Gefühle, die als lose Schmetterlinge ohne Ziel und Zweck herumflattern, haben einen Gegenstand gefunden, auf den sie sich concentriren können, die ganze Wärme eines jungfräulichen Herzens strömt aus, den geliebten Gegenstand zu überschütten und mit dem Schönsten und Besten zu schmücken, was der herrlichste der Mädchenträume der Phantasie vorgegaukelt. Da kommt es denn häufig vor, daß der also Geschmückte nach der Hochzeit, in seiner Alltäglichkeit gesehen, viel von seinem Heiligenschein verliert, und es hat alsdann eine junge Frau die glänzendste Gelegenheit, den Grad ihrer Herzens- und Geistesbildung zu zeigen. Die naivsten Beispiele sind mir bekannt, wie junge Bräute sich ihren zukünftigen Ehemann ausgemalt haben und wie anders er ihnen nach der Hochzeit erschienen ist. Ich rede hier natürlich nur von den harmlosesten Täuschungen, von denen ich einige kleine Beispiele anführen will.

Eine junge Freundin verlobte sich mit einem wohlhabenden Kaufmann, der in einer mehrere Meilen entfernten Stadt wohnte. Jede Woche kam der Herr Bräutigam zum Besuch und stets in der feinsten Toilette. Er trug die sauberste Wäsche, die schönsten hellen Glacehandschuhe, hatte einen allerliebsten Henri-quatre, und das Haar, schwarz und glänzend und immer genau in derselben Anordnung, war der besondere Gegenstand des Entzückens der achtzehnjährigen Braut; er kam stets aus seiner Wohnung im obern Stockwerke am frühen Morgen schon schön frisirt und geputzt zum Kaffee, wo das Bräutchen am Familientische im Morgenhäubchen die Honneurs machte. Das Mittagessen wurde gleichfalls im Kreise der Familie genommen und mit musterhafter Artigkeit fand der liebe Bräutigam Alles ausgezeichnet; nur von einem Gerichte bat er ihn zu dispensiren, und dieses Gericht war – eine Nudelsuppe. Er versicherte, daß es sein ästhetissches Gefühl verletze, die prosaischen Nudeln möglicherweise seinen wohlgewichsten Henri-quatre berühren zu sehen, und daß er lieber auf den Genuß verzichte.

„Nicht wahr, das ist doch nett von ihm?“ sagte meine junge Freundin, als sie mir von dieser liebenswürdigen Schwäche des Geliebten erzählte. Sie selbst machte es nicht anders. Nie durfte in Gegenwart des Bräutigams von der Ausstattung gesprochen werden, denn es gab doch gar zu unästhetische Dinge dabei, als da sind: Hemden, Beinkleider, Röcke, Mieder etc. Ganz erschrocken und roth bis unter das Haar versteckte sie einst, als er in’s Zimmer trat, ein zusammengewickeltes Paket, das einen angefangenen Flanellrock enthielt, und nie, so versicherte sie, würde sie ihre Ansichten in solchen Dingen ändern.

Die Hochzeit den jungen Paares wurde gefeiert, und unter tausend Segenswünschen der Zurückbleibenden verließen die Neuvermählten das Elternhaus, den eigenen Heerd zu gründen. Nach einigen Monaten kam ich zum Besuche hin; meine junge Freundin war ein liebreizendes Weibchen geworden und die frohe Herzlichkeit, mit der sie mich empfing, der Ausdruck von Befriedigung in den anmuthigen Zügen zeigten mir, daß sie auch ganz glücklich sei und ihre Wahl nicht bereue.

Nachdem die ersten Begrüßungen vorüber und die Fragen der jungen Frau nach jedem noch so unbedeutenden Gegenstande in dem lieben Heimathstädtchen erledigt waren, bei denen auch der Hund, des Nachbarn Katze und der Großmutter Canarienvogel die größte Theilnahme erweckten, kam die Reihe des Fragens an mich, und ich fragte nicht aus bloßer Neugierde. Lag mir doch das Wohl dieses jungen Wesens am Herzen, da ich für sie die Gefühle einer ältern Schwester hegte. Ich war begierig, wie sie sich das Frauenleben gestalten, wie sie überhaupt sich entwickeln werde, denn sie war begabt mit Verstand und Klugheit. Da kam denn mancherlei zu Tage, was mich höchlich amüsirte, und ich will zum Troste für meine jungen Leserinnen, die sich etwa in ähnlicher Lage befinden, wie die kleine Frau, zu schildern versuchen, wie es ihr nach der Hochzeit ergangen ist.

„Denke Dir,“ erzählte sie mir mit größtem Ernste, „mein Mann trägt hier niemals helle Glacéhandschuhe; selbst als er mit mir die ersten Visiten machte, konnte ich ihn nicht dazu bewegen, und im Comptoir trägt er – nein, ich mag’s gar nicht erzählen – ein schwarzseidenes Oberhemd und einen häßlichen, abgetragenen Rock! Als ich ihn das erste Mal unten besuchte,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_111.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)