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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

des Stückes kam, so verkündete ein gewaltiges Jubeln und Trampeln der wilden Horde schon zum Voraus seine Ankunft.

Die spätern Schicksale des Prinzen sind aller Welt bekannt; weniger bekannt dürfte aber sein, daß dem braven Hausmeister Rousseau, einem Franzosen aus der Napoleon’schen Zeit vom Scheitel bis zur Zehe, einige Tage nach dem Empfange der Nachricht, daß der Prinz bei seiner versuchten Landung in Boulogne gefangen worden sei, das treue Herz brach.




Wild-, Wald- und Waidmannsbilder.
Von Guido Hammer.
Nr. 20.     Auf der Pürschfahrt.

Vergangenen Herbst folgte ich einer Einladung zur Jagd nach der wald- und wildreichen Herrschaft X. in Schlesien, um namentlich am Abschießen von Damwild, dessen Bestand sich dort weit über den innezuhaltenden Etat vermehrt hatte, Theil zu nehmen. Da der betreffende Jagdherr, außer bei einigen alljährlich veranstalteten Convenienzjagden für seine dazu geladenen hohen Gäste, ein Treiben auf Roth- oder Damwild nicht stattfinden läßt, so konnte ich um so mehr nach Herzenslust beim Pürschfahren, dieser reizendsten aller Jagdarten, das mir bewilligte Wild erlegen. Manchen Tag war ich in dieser Weise schon das an hunderttausend Morgen weite, ausschließlich mit Wald bedeckte Jagdgebiet durchstreift, und schon manchen Schaufler hatte dabei das tödtliche Blei meiner Büchse niedergestreckt, so daß oft am Abend drei bis vier Hirsche genannter Gattung, hinten auf dem Pürschwagen aufgebunden, als gute Jagdbeute heimgebracht wurden. Diese paradirten dann im Schloßhofe an dem sogenannten Wildgalgen so lange neben allerhand sonst noch eingeliefertem Haar- und Federwild der hohen, mitteln und niedern Jagd, bis der Wildhändler einer nicht zu fern gelegenen Stadt den ganzen Transport, das für die herrschaftliche Küche bestimmte Deputat abgerechnet, übernahm. Vorher aber wurden den zu zerwirkenden Roth- und Damhirschen sowohl, als den Rehböcken die Geweihe ausgeschlagen, die dann entweder von den betreffenden Schützen als waidmännische Siegeszeichen mit nach Hause genommen oder als solche, je mit dem Namen des Erlegers versehen, in den die schönsten Punkte der Forsten zierenden Waldhäusern aufgehangen wurden. Diese Waldvillen aber, aufgeführt in einem ihrer Umgebung angepaßten Style, dienten als Zusammenkunftsorte bei großen Jagden oder zu Sammelplätzen nach denselben, wo alsdann dinirt wurde. Die Geweihe von Edelhirschen hingegen, welche der Jagdherr selbst geschossen hatte, fanden ihren Platz im sogenannten Hirschsaale des vielgethürmten Schlosses, einem Baue ursprünglich aus dem zwölften Jahrhundert, so daß darin schon nahe an fünfzehnhundert dergleichen Trophäen von der eigenen Hand des Gebieters erlegter Beute hängen.

Kehren wir aber lieber wieder zurück in den frischen, grünen Wald!

In diesen fuhr ich denn wieder eines Morgens hinaus, und zwar in Begleitung des Jagdherrn. Es war so recht ein Tag der stillen verschleierten Spätherbstzeit, die mit ihrem wehmuthsvoll lächelnden Scheideblick mir stets das Herz mit ganz eigenthümlicher Wonne erfüllt. Bei einer Pürschfahrt darf man indeß solchen Gesichten nicht allzusehr nachhangen, will man nicht Manches verpassen. Darum ließ ich denn das Auge frisch und frei umher schweifen und tief in Wald und Dickicht eindringen, nur um Wild zu erspähen. Und nicht vergeblich geschah dies; denn als der Mittag herangekommen und auf des gastlichen Herrn Befehl ein mitgenommener Imbiß, Brod und kaltes Wildpret, durch einen Schluck feurigen Portwein gewürzt, eingenommen wurde, da barg der Pürschwagen bereits drei Damhirsche und ein altes geltes Thier, welches nebst zweien der Vorgenannten mein Beuteantheil war. Nicht gar lange wurde der frugalen Waidmannstafel im schwellenden Moose unter den alten Fichten, die mit ihren dunkeln tiefhängenden Zweigen das trauliche Dach bildeten, zugesprochen, denn die Tage waren kurz und wir tief drinnen im Forste, so daß, da die Jagd noch fortgesetzt werden sollte, nicht lange gesäumt werden durfte. So ging es denn weiter auf stillen Wegen durch den duftigen Wald, und bald gelang es dem mitfahrenden Wildmeister seinen Gebieter an einen ganzen Trupp Damwild, der durch ein dichtes Stangenholz gezogen kam, auf Schußweite heranfahren zu lassen. Ein starker, weißer Schaufler, dem schon halb und halb die Brunst im Kopfe stecken mochte, zog dem gemischten Truppe nach. Plötzlich kam nun das Kopfthier, jedenfalls durch den Pürschwagen rege gemacht, in’s Trollen und mit ihm die ganze Sippschaft, so daß auf das flüchtige Wild durch die allzu engen Lücken des Holzes mit Sicherheit nicht zu schießen war. Aber sie nahmen ihren Wechsel einem alten Wege zu, vor dem sie, wie das in der Regel geschieht, erst einen Moment Halt machten, ehe er von ihnen überschritten wurde. Hierbei kam der weiße Hirsch in eine etwas breitere Lücke zu stehen, so daß vom Pürschwagen aus ein Schuß auf ihn wohl als angebracht erschien. Aber schon setzte sich das Wildpret wieder, und zwar flüchtig, in Bewegung; nur der Hirsch äugte noch stehend einen Augenblick nach uns herüber. In diesem Moment traf ihn aber auch schon die Kugel aus dem sichern Rohre des Gebieters, und mit einer mächtigen Lançade flog der Getroffene nun über den Pfad, drüben im Dickicht verschwindend. Dennoch hatten wir Alle deutlich gesehen – auf dem weißen Haare des Hirsches leicht erkennbar – wie die Kugel dicht hinter dem Blatte gesessen, und wußten daher mit Bestimmtheit, daß er tödtlich verwundet war. Deshalb beschloß der Jagdherr, den mitgenommenen Hunden eine Jagd zu bieten.

Sofort wurde nun das Dächsel, ein niedliches, erprobtes Thierchen, auf die frische Fährte gesetzt, um den Angeschossenen zu stellen. Mit zitternder Gier schoß die kleine Krabbe, laut wie ein Glöckchen, dahin, bis sie ziemlich weit drinnen im Walde standlaut wurde. Der Hirsch hatte sich also vor dem giftigen „Gretel“ gestellt. Jetzt wurde mit einer noch jungen Schweißhündin von der eigenthümlichen langhaarigen Coburger Race zu ihrer Uebung am Leitseil auf der Fährte fortgearbeitet. In dieser Weise ging’s vom Anschuß aus zuerst durch die schon erwähnte Dickung, dann durch einen Jahrhunderte alten Fichtenbestand, wo das suchende Auge noch dann und wann ein Tröpfchen Schweiß im Moos, an Halmen oder den Nadeln der Streu fand und man daher ohne Täuschung so recht beobachten konnte, wie der Hund die Fährte hielt. Aber auch über ein weites Gehau, das mit seiner rothbraunen Haide, goldigen Schmälen und silbergrauen Stöcken, von der durchgebrochenen Sonne grell beleuchtet, vor uns lag, führte der Hund, ohne den frischen Schweiß, der hier gänzlich aufhörte, zum Leiter zu haben, sicher fort. Drüben am andern Rande der weiten Blöße empfing uns wieder der geschlossene Wald. Hoch empor strebten hier die alten bemoosten Tannen, in deren dunkeln Wipfeln die frische Herbstluft spielte, daß es von oben leise rauschend erklang, während unter ihnen friedliche Stille herrschte, nur durch das Bellen des Dachses, der noch immer den Hirsch stellte, zeitweilig unterbrochen. Bald leuchtete uns auch die weiße Haut des sich Vertheidigenden durch den Unterwuchs des Holzes entgegen. Schnell ward nun auch Diana, so hieß die Schweißhündin, vom Riemen gelöst, um sie am Stellen theilnehmen zu lassen. Gleich darauf unterschied man denn auch an ihrer Stimme, daß sie an den Angeschossenen herangekommen. Rasch eilten wir jetzt nach dem Kampfplatz, um hier den Hirsch vor den Hunden todtzuschießen, mußten aber, um dies bewerkstelligen und die ganze Scene übersehen zu können, durch den die Streitenden deckenden Unterwuchs dazu gezwungen, fast ganz hinanpürschen. So geschah es, daß wir bis auf ungefähr zehn bis fünfzehn Schritte unbemerkt herangeschlichen waren, als der Angegriffene plötzlich die zu hitzig auf ihn eindringende Coburgerin unter das Geweih bekam und mit diesem an die Erde bohrte, so daß man nicht anders konnte, als den Hund für immer verloren zu geben.

So sanften Blickes das Damwild, besonders das weiße, im gewöhnlichen Leben darein schaut, so zornwüthig ist der Ausdruck eines Schauflers, wenn er im Kampfe, sei es nun zur Brunstzeit mit seines Gleichen oder, wie hier, gegen Hunde, begriffen ist.

Es gewährte daher diese Scene einen wahrhaft drastischen Anblick. Denn während der zum Sterben Getroffene mit bitterster

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_107.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)