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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

sagte er phlegmatisch. „Leben und Freiheit sind in den Händen des Convents. Warum bedenken die Leichtfertigen das nicht? Der Convent ist die Stimme der Nation; sie schreit laut und gewaltig. Ich kann es nicht begreifen, daß so Viele sie nicht hören wollen. Noch unbegreiflicher sind mir Menschen, wie Deine Freunde. Wie – sehen sie denn nicht unser Leben? Schau um Dich, dies einfache Zimmer ist mein ganzes Reich; mein Tisch ist der meines Wirthes, eines Handwerkers, ich besitze keine Güter, keine Schätze; was Du hier erblickst, ist Alles, was ich mein nenne; kein Makel liegt auf meinem Leben und dem meiner Freunde – nun, geht doch hin und vergleicht damit die Orgien der Emigrirten in Coblenz; hört, mit welcher Verachtung selbst die fremden Truppen der Preußen von jenen vekommenen, erbärmlichen Franzosen sprechen, die eine Plage sind für das Land, wohin sie sich geflüchtet – hört es und dann sage mir: wie ist es möglich, daß sich französische Patrioten dazu hergeben können, solche Leute gegen die Nation zu unterstützen? Dieser Erbärmlickkeit haben sich Deine Freunde schuldig gemacht.“

Er setzte mir nun weitläufiger auseinander, was Lebas nur flüchtig erwähnt. Sein Ton wurde schneidend, als er sprach; er hielt die Augen fest auf mich geheftet und ich konnte meinen Blick nicht von ihm wenden; unwillkürlich dachte ich an jene Sagen von Bezauberung, durch welche das Opfer gebannt wird.

Lebas merkte, wie ich, der Fluth von Robespierre’s Worten unterliegend, immer wirrer und befangener ward. Er kam mir zu Hülfe. „Maximilian,“ sagte er, sanft den Arm des Sprechenden berührend, „hör’ auf, Dich zu ereifern. Die Leute sind so vieler Worte nicht werth.“

„Nein, beim Heile der Nation, sie sind es nicht!“ schrie Robespierre, „und bist Du es denn werth,“ rief er mir zu, „daß ich so viele Zeit verschwende, so Vielerlei in den Wind rede? Wenn Du es nicht schon längst begriffen hast, daß sie schuldig sind, so bist Du ein schlechter Bürger, ein Verdächtiger!“

Die Sache wurde gefährlich. Lebas parirte den Stoß.

„Maximilian, gehe nicht zu weit,“ sagte er, „ich habe Dir schon auseinandergesetzt, warum unser Freund Mesnard also handelte. Du selbst hast zugegeben, daß es gefährlicher ist, eine Bitte für Compromittirte zu wagen, als sich auf die Feinde zu stürzen – nun denn, verdient dieser Muth unsers Freundes nicht eine Belohnung? Wir haben keine äußerlichen Ehrenzeichen, belohne die republikanische Aufopferung Anatole’s, die den Tod nicht scheute, durch einen Befehl zur Freilassung der Gefangenen. Anatole kehrt nach Arras zurück – soll er voll Jammer, mit Seufzen, tagtäglich an Deinem Geburtshause vorübergehen, weil Du ihm die Freilassung eines Weibes und eines armen, verleiteten, verblendeten Jungen abgeschlagen? ihm, der sein Haupt gewagt hat? François Lepelletier und seine Schwägerin sind wohl der Gnade des Convents zu empfehlen; lasse sie zurückkehren in ihre, in Deine Vaterstadt, lasse sie einziehen als freie Bürger in jene Mauern, aus denen Du zur Rettung der Nation gekommen bist.“

Robespierre dachte einen Augenblick nach; dann warf er Lebas einen ernsten Blick zu und ging an den Tisch. „Danke dem Geschicke,“ sagte er zu mir, „daß Du aus Arras kommst und Lebas zum Freunde hast.“

Er ergriff ein gestempeltes Papier und tauchte die Feder ein. Ich begann leichter zu athmen. Plötzlich erhob sich der bis zu diesem Augenblicke eifrig lesende Mann. Es war St. Just. Nie habe ich eine interessantere männliche Schönheit gesehen. So viel Sanftmuth, gepaart mit so vieler Energie, zeigten wenig Gesichter. St. Just war damals sechsundzwanzig Jahre alt. Er hatte das Aussehen eines Märtyrers; solchen Ernst, solche Schönheit hatten die alten Maler ihren Helden aufgedrückt, wenn sie deren Ende am Marterpfahl, den Tod zur Ehre des Glaubens, darstellten. Dennoch war dieser schöne Mann der Furchtbarste von Allen, und mein Haar sträubte sich, als er mit fast tonloser Stimme sagte: „Halt, keine Uebereilung! Der Knabe – ja. Es mag drum sein. Das Weib – nimmermehr.“

Marion Lepelletier war verloren.

„Wie, Du meinst, Antoine, ich dürfe es nicht?“ fragte Robespierre.

„Du darfst es nicht,“ sagte Saint Just fest. „Weiber sind die Schlimmsten. Diese hier hat mit voller Ueberlegung gehandelt. Soll es heißen, die Leute von Arras machen eine Ausnahme vor dem Gesetze? Obenein ist das Weib geborne Aristokratin, die mit ihrem patriotischen Gatten nicht zusammenleben konnte. Solch Geschmeiß wollt Ihr retten? Lebas, willst Du die Verantwortung übernehmen?“

Saint Just war schrecklich anzusehen, seine grauenhafte Schönheit imponirte so gewaltig, daß mir Bitte oder Entgegnung in der Kehle stecken blieben. Lebas zuckte die Achseln und schwieg. Robespierre schrieb einige Zeilen; während des Schreibens sagte er: „Genug der Reden. Das Weib stirbt.“

Saint Just las wieder in seinem Journale. Lebas winkte mir zu und ich schloß meinen Schmerz in meine Brust. Robespierre gab das Papier an Lebas. „Laß dies durch Simon in den Luxembourg tragen. Der junge Mensch wird frei sein. Möge er sich eine Erinnerung bewahren. Man kommt nicht zwei Mal so glücklich davon, wenn man sich an dem Vaterlande versündigt.“

Ich stammelte mit thränenden Augen meinen Dank. Robespierre reichte mir die Hand. „Grüße mir Arras, Bürger Mesnard, und Deine Eltern. Seid nicht nachlässig in Eueren Pflichten. Nun guten Morgen. Du hast mich lange genug aufgehalten.“

Lebas gab mir einen Wink. Die Thür von Robespierre’s Zimmer schloß sich bald hinter uns. Leichter, gewürziger, balsamischer kam mir die Luft vor, freier und hochgewölbter der Himmel, strahlender die Sonne. Hatte ich doch wenigstens ein Menschenleben gerettet, und die Höhle des Löwen, Robespierre’s Zimmer, lag glücklich hinter mir!

„Danke dem Himmel,“ sagte Lebas, „daß Du Einen losgebeten hast. Die Frau, ich wußte es gleich, sie war nicht zu retten.“

Noch an demselben Nachmittage verließ ich um vier Uhr mit meinem Schützlinge Paris. Am folgenden Morgen um sechs Uhr lag er in den Armen seiner Mutter. Die Freude der Mutter, der Jubel meiner Eltern, lassen sich nicht beschreiben; sie wurden nur schmerzlich getrübt durch Marion’s furchtbares Loos. Sie endete am 18. April unter der Guillotine, ebenso ihr Hauswirth, der Schneider. An demselben Tage starben noch einundzwanzig Verurtheilte durch das Fallbeil.

Drei Monate später hatten Robespierre und Saint Just aufgehört die Welt in Schrecken zu setzen. Auch diese Lieblingskinder hatte die Revolution gefressen. Mein armer Lebas erschoß sich. Seine liebenswürdige Frau aber lebt noch heute; sie wird von Vielen unterstützt, und ich habe oft mit ihr jene für mich bedeutungsvollen Stunden einer schreckensvollen Zeit besprochen.




Das Dreikönigsfeuer auf dem St. Lorenzthurm zu Nürnberg.[1]

Nach längerem Aufenthalte in der Fremde saß ich endlich im Coupé, um nach meiner schönen und vielgeliebten Vaterstadt Nürnberg heimzukehren. Schon waren wir ihr nahe, immer und immer wieder zog mich es an das Wagenfenster und meinen Blick der Gegend zu, wo bald die alte Kaiserburg, die gleich einem schirmenden Wächter über die Stadt emporragt, sowie diese letztere selbst aus der mondhellen Nacht hervortreten mußte.

Je näher wir der Heimath kamen, je peinlicher ward meine Ungeduld, und es war mir darum nur erwünscht, daß mein Nachbar, ein gar liebenswürdiger Reisegefährte, mich noch einmal in ein interessantes Gespräch verwickelte. Plötzlich aber schnitt ein Ausruf des Staunens und des Schreckens unsere Unterhaltung ab. Rasch, wie unwillkürlich, bog ich den Kopf zum Wagenfenster hinaus. Großer Gott, ein greller Feuerschein zuckt mir in’s Auge!


  1. Bekanntlich entlud sich am 6. Januar d. J. ein merkwürdiges elektrisches Gewitter über einen großen Theil von Deutschland, zumeist von einem heftigen Sturme begleitet. Unter den mannigfachen Verwüstungen, welche dies Unwetter an verschiedenen Orten, namentlich in Süddeutschland, anrichtete, wo ihm u. A. die Burg Hohen-Rechberg in Schwaben und mehrere Kirchthürme in der Nähe von Würzburg und Erlangen zum Opfer fielen, ist vor allem die Zerstörung eines der schönen Thürme der herrlichen St. Lorenzkirche zu Nürnberg zu beklagen, dessen obere schlanke Spitze, vom zündenden Blitzstrahl gegtroffen, bis auf die Steingiebel ein Raub der Flammen wurde.
    Die Redaction.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_091.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)