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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

in Fluß zu bringen. Endlich schloß Sigfrid damit, daß er dem Freunde die Frage zuschleuderte: „Was ist denn dermalen in dem Fröbel’schen Kleinkindergarten deutscher Politik das Hauptspielzeug?“

„So viel ich weiß, eine Nähmaschine, worauf, da wir derartiger Costüme niemals genug haben können, ein neuer Herzogsmantel nach allen Vorschriften der Legitimität und Heraldik verfertiget werden soll,“ versetzte der Pastor. Dann plötzlich den Ton ändernd, fügte er ernst und theilnehmend hinzu: „Lieber Freund, Du bist offenbar nicht in der Verfassung, ein ruhiges und wohlbemessenes Urtheil über die deutschen Sachen hören, geschweige fällen zu können. Deine Worte riechen nach Galle, das Unglück macht bitter und ungerecht, und gestehe nur, Du bist kein glücklicher Mann.“

„Es wird sich geben.“

„Es wird sich leider nicht geben! Denn eher und leichter bringst Du zehn Kameele zumal durch ein Nadelöhr als den Eigensinn und die Halsstarrigkeit eines Weibes zur Anerkennung eines Unrechts und einer Verfehlung. Diese Brunhild hat, gerade herausgesagt, etwa Satanisches an sich. Sie wird Dich unfehlbar zu Grunde richten, wenn Du sie nicht zeitig von Dir thust.“

„Bah, warum nicht gar? Ich sag’ Dir, ich will und werde sie doch noch zähmen, die schöne, stolze Wilde …“

Wunderbare Tyrannin, Convenienz die Große, die Größte! Selbst die unbezähmbare Brunhild fügte sich ihr, als ob da von einem Widerstande nur gar keine Rede sein könnte. Sie fügte sich ihr, indem sie gegenüber dem Gaste in aller Form die Frau vom Hause darstellte und beim Abendtisch die Obliegenheiten der Wirthin anmuthig erfüllte. So anmuthig, daß Sigfrid’s Stirn hell aufglänzte, Schwarzdorn’s Humor in prasselnden Raketen sich entlud und ein rechtes Behagen über den kleinen Kreis sich verbreitete. Auch Brunhild fühlte sich davon berührt und horchte mit Theilnahme dem Gespräche der beiden Männer, welche, jeder in seiner Art bedeutend, so sehr von einander verschieden waren und doch einander so von Herzen zugethan.

Schwarzdorn äußerte seinen Entschluß, die ungewöhnlich günstige Witterung zu benutzen, um gleich morgen eine kurze Rundreise durch altbekannte und geliebte Hochgebirgsgegenden anzutreten, und Sigfrid erklärte, daß er den Freund begleiten wolle.

„Darf ich auch mit?“ fragte Brunhild. Das unbewachte Wort war heraus, aber blitzschnell kam die Reue hintendrein. Sie biß sich auf die Lippe, sie hätte sich mögen die Zunge abbeißen. Als Sigfrid voll freudiger Verwunderung die Fragerin ansah, blickte ihm schon wieder nur das unbewegliche Marmorantlitz der sprödesten, stolzesten aller Walküren entgegen. So sagte denn der Angekältete artig, aber in kühlem Scherzton: „Wer wird erst noch fragen! Von mir gar nicht zu reden, selbst der knorrige Schwarzdorn da wird zu Blüthen der Liebenswürdigkeit ausschlagen, falls er die Ehre und das Glück hat, Ihren Reisecavalier machen zu dürfen.“

Auf ihrem Zimmer angekommen, sagte Brunhild halb unbewußt vor sich hin: „Das war ein lieber Abend … Wie gut und schön er spricht und wie viel Seele in seinem Auge!“ Und sie seufzte tief auf.

In dieser Nacht bethaute sie ihr Kissen mit brennenden Zähren.




6. Ein Mann.

Die kleine Reisegesellschaft hatte ein halb Dutzend Tage lang jene Alpenlandschaft durchzogen, die unbedingt zu den erhabensten und zugleich anmuthigsten Landschaftsdichtungen der Schöpferin Muttererde gezählt werden muß. Auf der Heimkehr zum Schloß am See hatten die Reisenden einen Rasttag in dem berühmten Fremdenstandlager und Curort gemacht, allwo vor Jahresfrist die erste Begegnung zwischen Sigfrid und Brunhild stattgehabt.

Schwarzdorn, dessen scharfer Blick in dem Benehmen, welches die stolze Schöne während der Gebirgsfahrt eingehalten, gelesen hatte, daß Etwas in ihr arbeitete, was vielleicht eine glückliche Veränderung zu Gunsten seines bedauerlichen Freundes zuwege bringen könnte, war auf den Einfall gekommen, gerade an diesem Orte, wo die Beiden sich zuerst gesehen, einen entschiedenen und entscheidenden Versuch zu machen, sie zusammenzubringen. Er hatte daher den Vorschlag gemacht, etliche Tage hier zu verweilen, um altvertraute, erinnerungsreiche Pfade wieder zu begehen, wie er andeutungsvoll sagte. Der Vorschlag war gebilligt worden und der pastorliche Mephisto, welcher, aller seiner Skeptik und Sarkastik zum Trotz, gleich allen seinen „engeren Vaterlandsleuten“ ein gut Stück Romantik im Leibe hatte, mühte sich mit dem Gedanken ab, wie es zu machen wäre, daß er die Beiden möglichst zwanglos und unversehens zu der Burgruine an dem kleinen Hochsee hinaufbrächte, wo er seinen „großen Schlag“ thun wollte …

Die beiden Freunde waren bei hereingebrochenem Abend nach dem Zeitungslesecabinet gegangen, und Brunhild saß, nach dem heißen Tage die Nachtkühle zu genießen, auf der kleinen Veranda, auf welche sich eine Thür ihres Zimmers öffnete, das gegen den Garten des Hotels hinauslag, welcher sich mit seinen Blumenbeeten und Gebüschen in die Schatten der Nacht hindehnte. Es war still. Das Gesumme der Schwärme von den in der großen Allee bei Laternenschein Lustwandelnden drang nicht hierher. In das leise Rauschen des hinter dem Garten vorbeiströmenden Flusses mischten sich, von der Anlage beim Curhause herabkommend, einzelne verlorene Geigen- und Flötentöne.

Brunhild, hinter der Fülle des Laubgewindes der wilden Rebe, welches die Veranda bekleidete und bedachte, in sich zusammengeschmiegt, ließ die Erlebnisse der letzten Tage an ihrer Seele vorübergehen, und sie sträubte sich, wie ihr Stolz noch vor wenigen Monaten oder Wochen gethan hätte, schon nicht mehr gegen die wohlige Nachempfindung der Befriedigung, womit das zartsinnige Gebahren Sigfrid’s während der Reise sie erfüllt hatte. Sie empfand es daher mißmuthig als einen störsamen Eingriff in ihre Träumerei, als eine Gesellschaft von Engländern, der sonstigen steifleinenen, ungeselligen Gewöhnung dieser „rothhaarigen Barbaren“ ganz entgegen, unten im Garten an einem Tische lärmend debattirend sich etablirte. Kellner stellten Kerzen mit Glasglockenschirmen auf den Tisch, brachten Weinflaschen und eine dampfende Grogbowle. Die Gentlemen, sammt und sonders schon über das jugendliche Mannesalter hinaus, mochten alte Bekannte sein, sich zufällig am hiesigen Orte getroffen haben und in der Freude hierüber zu dem Entschlusse gekommen sein, „die Flasche heunmgehen zu lassen“, wie dieselbe vor Zeiten zu Oxford oder Cambridge unter ihnen herumgegangen war. Ein stattlicher Mann von militärischer Haltung, dem von jeder seiner Wangen eine ungeheure, brandrothe Haarcotelette herabhing und den die Andern mit „Colonel“ anredeten, war augenscheinlich der Mittelpunkt und so zu sagen die Respectsperson des Kreises, in welchem es hinlänglich laut herging.

Brunhild war aufgestanden, um sich in ihr Zimmer zurückzuziehen, als der Gegenstand des Gespräches der Engländer – sie verstand Englisch – sie zurückhielt, obschon sie gar nicht hatte hinhören wollen. Sie bedauerte aber sofort, einer mechanischen Regung von Neugier nachgegeben zu haben.

Es war gerade die Zeit, wo das moderne Carthago sich einbildete, für die „Rose von Dänemark“ zu schwärmen, und der britische Leopard, in mehr oder weniger künstlicher Erhitzung, seine Flanken kriegerisch mit dem Schweife peitschte, mit demselben Schweife, welchen er bald darauf, als es hätte zum Klappen kommen sollen, so kläglich schmählich zwischen die Hinterbeine geklemmt hat. Kein Wunder daher, daß die zechenden Gentlemen das „feigste und niederträchtigste Volk der Erde“ – so betitelten ja die englischen Zeitungen die vierzig und mehr Millionen Deutsche Tag für Tag – zum Gegenstand ihrer Unterhaltung und zum Stichblatt ihres Grog-Humors machten. Allen voran der Colonel, welcher seinen Kumpanen im Groteskstyl die Erlebnisse einer Reise schilderte, welche er soeben in deutschen Landen gemacht hatte. Da er sehr laut sprach, konnte Brunhild hinter dem Laubvorhang der Veranda alle die Hohn- und Schmachreden, womit er Deutschland bedachte, deutlich verstehen, und nun ging etwas Seltsames in ihr vor.

(Schluß folgt.)



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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 84. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_084.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)