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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

„Ich habe Alles bedacht,“ gab sie zurück. „Nur nicht, wie sich die Sclavin ihrem Besitzer gegenüber anzustellen hat. Aber,“ fügte sie mit unbeschreiblich höhnischer Betonung hinzu, „darum brauche ich mir wohl keine Sorge zu machen. Der Käufer wird schon wissen, daß und wie er über die Waare disponiren kann und will!“

Den Augen des schwer beleidigten Mannes entfunkelte ein Zornbliiz und seinem Munde entfuhr ein halbunterdrückter Fluch. Aber Sigfrid von Lindenberg war allzeit, in der Studentenkneipe wie auf der Rednerbühne der Volksversammlungen, auf dem Schlachtfelde wie im Kerker, ein Gentleman gewesen und er war es auch jetzt.

Obzwar im Innersten aufgestürmt und empört, wußte er sich zu zwingen und zu stimmen, um gehaltenen Tones die Thörichte zu fragen:

„Brunhild, ist das Ihr letztes Wort?“

„Ja.“

Ohne Heftigkeit, aber fest faßte er ihre Hand und zog sie an’s Fenster.

„Fräulein von Hohenauf, sehen Sie dort drüben am Scheitel des Schreckhorns die zwei so nahe beisammenhängenden und doch ewig getrennten Schneewolken?“

„Was soll das, mein Herr?“

„Das Volk nennt die beiden Schneeflecken dort die zwei verdammten Seelen und erzählt eine schaurige Sage von ihnen. Sehen Sie genau hin! Das Bild unserer Zukunft steht vor Ihren Augen.“

„Sie dichten, mein Herr.“

„Nein, ich prophezeie. Wir werden als zwei verdammte Seelen neben einander stehen und doch hätten wir mitsammen zwei selige sein können. Sie hätten mich – o, mit wie wenig Mühe! – zum glücklichsten Manne gemacht und ich, für welchen Frauen, so schön wie Sie, das Leben und mehr als das Leben hingegeben hätten, ich würde Sie auf den Händen getragen und wie eine Mutter geehrt, wie eine Schwester beschützt, wie eine Tochter behütet und wie eine Geliebte geliebt haben … Vorbei!“

Er ließ ihre Hand los, trat zurück und sagte noch mit einer tiefen Verbeugung: „Ich habe die Ehre, Ihnen eine gute Nacht zu wünschen. Morgen werde ich Ihnen meine Ansichten mittheilen und die Ihrigen entgegennehmen, wie wir unser Nebeneinanderleben möglichst wenig unbehaglich einrichten könnten. Für heute nur noch dies Eine: Fräulein Brunhild von Hohenauf, Sie haben mich einen Käufer, Ihren Käufer, gescholten. Wohlan, jetzt und immer verschmäht der Käufer, über die Waare zu disponiren!“

Damit ging er, und als er gegangen, da brach ihre Stärke, ihr Stolz, ihr Wahnwitz doch zusammen. Vernichtet sank sie auf einen Stuhl und die unnatürliche, ja frevelhafte Gespanntheit ihres Wesens suchte und fand einen vulcanisch-heftigen Ausbruch in krampfhaftem Schluchzen.




5. Neben einander.

Aus den zwei verdammten Seelen wurden nicht zwei selige. Sie lebten neben einander hin, bis, wie Sigfrid am Morgen nach der trübseligen Hochzeitsnacht seiner Frau, die nicht seine Frau war, vorgeschlagen hatte, „eine schickliche Lösung sich fände.“

Er benahm sich gegen sie mit vollendeter Courtoisie. Selbst der leiseste Schatten von Zwang war aus ihrem Dasein entfernt und sie mochte sich in vollster Freiheit bewegen. Die Dienerschaft zollte der Herrin ehrerbietigste Aufmerksamkeit und pünktlichsten Gehorsam. Jedem Wunsch, den das verzogene Glückskind launenhaft hinwarf, geschah mit fast zauberhafter Raschheit Genüge. Sie zwang sich, heiter zu erscheinen, geräuschvoll das Leben zu führen, und derweil verzehrte sich ihr stolzes Herz in der Brust.

Denn sie liebte diesen Mann, der ihr mit so gleichmäßig höflicher Kühle begegnete, liebte ihn mit brennender Gluth und Eifersucht. Sie ertappte sich auf Unmöglichem; denn für unmöglich hätte sie es doch fürwahr gehalten, daß eine Zeit kommen könnte, wo sie, wie sie that, heimlich die Armstuhllehne küssen würde, worauf Sigfrid’s Hand geruht, wo sie, so es ungesehen geschehen konnte, zärtlich seinen alten morosen Pudel, der mancherlei Fata mit seinem Herrn durchgemacht, liebkosen, wo sie in den Stall sich schleichen würde, um das Lieblingspferd dessen zu streicheln, den sie so übermüthig verschmäht, so tödtlich gekränkt hatte.

Möglich, wahrscheinlich sogar, daß die Energie ihrer Leidenschaft den Eiswall ihres Hochmuths einmal unversehens durchbrochen und niedergeworfen haben würde, falls Sigfrid nicht so streng innerhalb der Schranken kühler Gemessenheit sich gehalten hätte. Die Beiden sahen sich meist nur bei Tische und bei diesen Begegnungen gefiel sich der Schloßherr in einem Tone, welchen die Frauen und vollends leidenschaftliche Frauen am allerwenigsten ertragen können, in dem Tone gleichmüthiger Ironie nämlich, die sich mitunter in allerhand krausen Bildungen des Humors ausließ. „Er verschmäht mich,“ grollte es in der tiefsten Seelenfalte des stolzen Weibes; „er verschmäht mich und glaubt mir zeigen zu dürfen, daß er mich verschmäht. Eher sterben, als dem Uebermüthigen durch ein Wort, durch einen Blick verrathen, was“ … nun was sie vor sich selbst verbergen wollte und doch nicht konnte, nämlich, daß sie diesen Mann anbetete.

Vielleicht hätten ihre heimlichen Monologe doch anders gelautet, so sie mit angehört hätte, wie der alte Hausmeister eines Abends zu seiner alten Lebensgefährtin sagte: „Höre, Lise, der arme Herr ist in letzter Zeit auffallend gealtert. Vor etlichen Monaten hatte er noch kein weißes Härchen auf dem Kops und im Bart, und jetzt hat es recht ordentlich drein geschneit.“

„Ich hab’s wohl bemerkt,“ gab die Lise zur Antwort. „Der gute Herr ist recht unglücklich, obgleich er sich’s nicht anmerken lassen will. Warum hat er aber auch so ne Lucifera heimgeführt?“

„So ’ne was für Eine?“

„Nun ja doch, Alter, so ’ne Lucifera, sag’ ich, die Dam’ ist ja stolzer und hochmüthiger als Lucifer selber. Gieb Acht, lange thut das nicht gut …“

Zu Ende des Hochsommers kam Pastor Schwarzdorn zum Besuch. Sigfrid holte den Freund auf der nächsten Eisenbahnstation ab. Sie hatten demnach mehrere Stunden mitsammen zu fahren, und so langte Schwarzdorn, der ein Künstler im Ausholen war, ziemlich vollständig über den Stand der Sachen im Schlosse unterrichtet daselbst an. Der kaustische Verächter von Menschen und Dingen war aber doch lange nicht Mephistophel genug, sich darüber zu freuen, daß der „Romantiker“ Sigfrid seine Prophezeiung nicht Lügen gestraft hatte. Wunderlich aber war es anzusehen, daß der zwanglose Sarkastiker bei Tafel der Schloßherrin gewissermaßen zu imponiren, ja sogar fast ihr Wohlgefallen zu erregen verstand.

Nachher zeigte Sigfrid dem Freunde die neuen Wirthschaftsgebäude, die er gebaut, und die ausgedehnten Parkanlagen, die er bis zum Hochwald des Bergrückens, an dessen Fuß das schöne Besitzthum gelegen ist, hinaufgeführt hatte. Sie verbrachten mit der Besichtigung des Gutes den Nachmittag, und auf dem abendlichen Heimweg zum Schlosse äußerte der Gast: „Ich mach’ Dir mein Compliment, alter Junge. Dein Gut darf sich sehen lassen, und Du scheinst in der Verwaltung desselben eine angemessene und fruchtbare Thätigkeit gefunden zu haben. Es ist auch gescheidter und lohnender, hier Aecker zu verbessern, Wiesen zu entsumpfen, Bäume zu pflanzen und Gartenanlagen zu schaffen, als daheim bei uns politisches Phrasenstroh mit zu dreschen.“

Sigfrid, welcher das Bedürfniß fühlte, seine Seele ihrer schweren Bürde wieder einmal in einem heftigen Ausbruch zu entladen, ergriff die gebotene Veranlassung, um sich mit äußrster Leidenschaftlichkeit und Bitterkeit über die deutschen Zustände auszulassen. „Dieses Deutschland, das zu vergessen und dem zu entfremden mir – Dank den Göttern! – nachgerade gelungen ist,“ rief er aus, „dieses Deutschland würde die Schlafstube der Weltgeschichte sein, wenn es nicht ihre mit Hunderttausenden von unnützen Scharteken angefüllte Bücherei wäre, wohin sich Dame Historia zurückzuziehen pflegt, um, ermüdet von Thaten, die sie mit anderen und für andere Völker gethan, im Halbschlummer über philosophischem und theologischem Nonsens und literarischem Lumpenkram zu duseln und zu dämmern.“ In diesem Tone ging es lange fort; denn Ehren Schwarzdorn, welcher merkte, daß die Explosion dem Freunde Erleichterung verschaffte, trug Sorge, die „Gemüthsausschleimung“, wie er das Ding bei sich nannte, durch sarkastisch hingeworfene Widerspruchsworte noch mehr zu reizen und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_083.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)