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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

müßte sie sich Gewalt anthun, vorwärts zu kommen. Und nach etlichen hundert Schritten stand sie abermals still, um wie selbstvergessen vor sich hinzusprechen: „Und doch!“ Dann warf sie, wie über sich erzürnt, trotzig die Lippen auf, legte den Rest ihres Weges rasch zurück, überschritt die Brücke und bog jenseits derselben in die Nußbaumallee ein, an welcher ihr Quartier lag.

Im Vorzimmer zu ihrem Gemache harrte ihr Kammermädchen der Herrin. Die Dienerin stand auf, als Brunhild eintrat, und sagte schüchtern: „Gnädiges Fräulein, sind Sie unwohl?“

„Unwohl? Wie so?“

„Sie sehen so angegriffen aus, so blaß.“

„Bah, ich bin ganz wohl. Hast Du Georg zur Post geschickt?“

„Ja, und er brachte einen Brief zurück,“ versetzte das Mädchen, die Thür zu dem inneren Zimmer öffnend.

Brunhild trat ein, nahm den Brief vom Tische und legte ihn wieder gleichgültig hin, als ihr die Adresse die Handschrift ihres Vaters gezeigt hatte. Sie ging an’s Fenster und stand eine Weile nachdenklich, die Blicke mehr in das eigene Innere als in die Landschaftspracht draußen tauchend. Mit einem Male trat sie heftig zurück, sie hatte den „Narren“ oder „Gecken“ erblickt, welcher, aus dem Hotel kommend, drunten rasch über den Vorplatz schritt. Wie sie sich vom Fenster wegwandte, fiel ihr Blick zufällig auf den großen Spiegel an der Seitenwand und dieser zeigte zu ihrer Ueberraschung, daß ihr Antlitz, welches doch nach Aussage der Zofe soeben noch blaß gewesen, mit Purpurröthe bedeckt war. Unwillig kehrte sie sich von der ärgerlichen Glasfläche ab, nahm zerstreut den Brief auf, öffnete den Umschlag und begann mechanisch zu lesen. Plötzlich jedoch erweiterten sich in Staunen und Schrecken ihre Augen, sie wankte auf ihren Füßen, schwankte bleich wie der Tod auf einen Stuhl zu, ließ sich auf denselben niederfallen und preßte, das Papier in ihren gerungenen Händen zerknitternd, halb athemlos hervor: „Eine Bettlerin! Eine Bettlerin!“ Tonlos fügte sie nach einer Weile hinzu: „Ah, wie sagte denn der … der … der Mann? ‚Wenn die Götter dir die Pforte zum Himmel aufthun‘ … Zum Himmel? … Aber schon ist sie zugeschlagen, unwiederbringlich!“

Nach Verlauf einer Stunde ging im Vorzimmer draußen die Klingel. Die eintretende Zofe fand ihre Herrin in gewohnter Fassung und Haltung. Fräulein Brunhild sagte kurz und kalt: „Rasch die Koffer gepackt, Hanne! Laß Georg die Rechnung fordern und bereinigen. Wir reisen mit dem zunächst abgehenden Dampfboot.“




4. Verkauft und gekauft.

Auf dem von zwei reichvergoldeten Karyatiden getragenen Marmorgesims des Kamins brennt eine aus Silber getriebene dreiarmige Lampe und erhellt ein Schlafgemach, welches mit anmuthvoller Pracht auszuschmücken und zum Empfange der Hochgeliebten herzurichten zärtliche Fürsorge und künstlerisch gebildete Einbildungskraft gewetteifert haben.

Aber die Augen Brunhild’s schweifen gleichgültig über alle diese Liebeserweise des Mannes hin, dem sie heute mittels eines frostigen Kopfnickens vor dem Altar zum Weibe sich gelobt hat.

Im vollen Brautstaat, das Myrthenreis noch im Haare, liegt sie, den Rücken der von einem maurischen Hufeisenbogen überwölbten Nische zugewandt, in welcher hinter einer Wolke von dunkelrother Seidendraperie die weißen Atlaspfühle des Brautbettes hervorschimmern, in einem Lehnstuhl, den Blick starr auf einen mächtigen Spiegel geheftet, der ihre Gestalt voll widerspiegelt.

Ihr Antlitz ist bleich bis zur Fahlheit und zu dieser Blässe steht das düstere Feuer der großen dunkeln Augen, steht das Fieberroth der trotzig zusammengepreßten Lippen in einem unheimlichen Contrast. Zuweilen hebt sich ihre Brust unter dem weißen Spitzenkleid und dann legt sie die schöne schlanke Hand darauf, wie um den Sturm der Gefühle, die da drinnen ihre Wogen schlagen, niederzupressen.

Dann wendet sie, als ob ihr Spiegelbild ihren Widerwillen erregte, mit einer Gebehrde der Ungeduld den Blick vom Spiegel ab, steht auf und geht an das hohe Bogenfenster, dessen Doppelflügel geöffnet sind.

Aus den Blumenbeeten drunten hauchen Veilchen und Jasmin ihren Duft zu der schönen, bleichen, dämonisch bewegten Braut empor. Sie achtet nicht darauf. Theilnahmlos tauchen ihre Augen in die laue, mondhelle, leise athmende Frühlingsnacht. Fernher klingt das Singen stürzender Gletscherbäche. Wie in träumerischem Kosen plätschert das leichte Wellengekräusel des Sees an dem Ufersaum des Parkes. Weithin über die prächtige Wasserfläche zittert ein silberner Strahl, der Widerschein der Mondsichel, die in der dunkelblauen Wölbung der Himmelsglocke über dem Hochgebirge schwebt. Ihr geisterhaftes Licht rieselt auf einen Bergkoloß von höchster Mächtigkeit nieder, welcher jenseits des Sees, gerade dem Fenster des Brautgemachs gegenüber, hinter vielfach abgestuften Vorbergen seine furchtbar schroffen, schwarzen, eisumpanzerten Felsenglieder hoch in die Lüfte hebt. Mechanisch fällt ihr Blick auf die finstere Bergmajestät, mechanisch haftet er an den beiden blendend weißen Firnschneeflächen, welche an der Scheitelkrone des dunkeln Riesen wie zwei Diamanten funkeln.

Ihre Seele ist weit von hier; ist daheim im nie zwar geliebten, jetzt aber gehaßten Vaterhause, zur Stunde, wo ihr Vater, händeringend, Angstschweiß auf der Stirn, flehend zu ihr gesagt hatte: „Es kostet Dir nur ein Wort, nur ein Ja, um mich vom Bettelstab, um mich von Schmach und Selbstmord zu retten!“ Und sie hatte dieses Wort gesprochen, hatte dieses Ja gegeben, dem Manne gegeben, welchem schon in dem Moment, als sie zuerst ihn gesehen, ihr Herz stürmisch entgegengeschlagen und welchen, so wollte es ihr infernalischer Stolz, sie tödten möchte, könnte, müßte, weil ein tückisch Verhängniß ihm gestattet hatte, so um sie zu werben, so sie zu erwerben …

Die schweren Sammetgardinen, welche die Thür des Zimmers verbargen, wurden zurückgeschlagen und die stattliche Gestalt des Bräutigams erschien auf der Schwelle.

Sigfrid’s Mund lächelte, aber dennoch lag eine leichte Wolke von Ungewißheit und Sorge auf seinem offenen, mannhaft schönen Gesicht. Er blieb einen Augenblick zögernd stehen, den Blick zu der am Fenster stehenden und in sich versunkenen Braut hinübersendend. Dann schritt er geräuschlos über den weichen Teppich, trat ihr zur Seite und legte sanft seinen rechten Arm um die prächtig-schlanke Gestalt.

Sie wandte das schöne Haupt zu ihm um und blickte ihn an, so kalt, so abweisend, so verachtungsvoll, als hätte sie sich auf diesen gefürchteten Moment seit lange mühsam, aber mit Erfolg vorbereitet. Er hielt ihren Blick aus, und als nun sein Auge so lieb und gut und zärtlich auf ihr ruhte, als sie seinen Athem auf ihrer Wange fühlte und sein Arm mit zarter Schonung sie gegen seine Brust hinzog, da schrie es in ihr auf: „Ich liebe Dich, Mann!“ und das Jauchzen und Frohlocken ihrer Seele machte sie unwillkürlich die Arme erheben, um sie dem Bräutigam heiß um den Nacken zu schlagen.

Aber sie that es nicht. Sie fand in ihrem Hochmuth die Kraft, die fast übermenschliche Kraft, es nicht zu thun. Sie hatte sich eine Rolle vorgebildet, die Unselige, und diese Rolle mußte gespielt werden. Doch nein, es war nicht etwas künstlich Zurechtgemachtes, was sie zu handeln trieb, wie sie handelte. Es war vielmehr ihr eigenstes Wesen, ihre von früh auf genährte, nahezu an den Wahnsinn streifende Verschrobenheit, Verdrehtheit und Verbildung, ihre Genialitätsaffectation – die Schwaben haben dafür einen viel derberen, aber auch viel bezeichnenderen Ausdruck: – ihre Großweibssucht, die ihr zur Natur gewordene Unnatur.

Der Zornschrei des sterbenden Talbot: „Unsinn, du siegst!“ ist ja der unaufhörlich und unzählig oft wiederkehrende Grundbaß in der großen Narrensymphonie des Lebens…

Mit einer Stimme, deren leises Beben seine tiefe Empfindung verrieth, sagte Sigfrid: „Und so hätten gütige Götter doch vollendet, was in den Sternen geschrieben stand – Brunhild ist das Weib Sigfrid’s geworden.“

„Das Weib?“ entgegnete sie schneidend, mit einer herbspröden Bewegung seinem Arm sich entziehend. „Die Waare, wollen Sie sagen, mein Herr! Man hat mich verkauft und man hat mich gekauft, das ist Alles.“

Hoch aufgerichtet stand sie ihm gegenüber. Ihre Augen sprühten Feuer und ihre Schönheit war die der Medusa.

Ein dunkles Roth überfuhr Sigfrids Wangen und Stirn und seine Lippe bäumte sich zornig empor. Aber er bezwang sich, wie denn – faselnde Psychologen mögen sagen, was sie wollen – im Sinne der Vernunft der Mann immer weit mehr sich zu bezwingen, zu bezähmen und zu beherrschen weiß, als das Weib.

„Brunhild,“ sagte er mild und freundlich, „bedenke, was Du thust! Diese Stunde schließt unsere ganze Zukunft in sich.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_082.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)